Früher wollten Unternehmen mit Patenten vor allem ihre Innovationen schützen. Inzwischen sind viele bereit, diese Ressource zu einer Basis für den Austausch von Wissen zu machen.
Als sich Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries in der letzten Februarwoche auf den Weg nach Paris machte, um ihren französischen Kollegen Michel Sapin zu konsultieren, standen die Zeichen auf Sturm. Über beiden Ländern tobte Orkantief Thomas. Obendrein wirbelte die bekanntgewordene Übernahme von Opel durch Peugeot-Citroën die Seiten der internationalen Wirtschaftspresse kräftig auf. In Sapins Amtssitz, einem markanten Betonbau an der Rue de Bercy, tauschten die beiden Spitzenpolitiker ihre offiziellen Positionen zu Standort- und Beschäftigungsgarantien aus.
Was beide zu diesem Zeitpunkt nicht wussten: Auf den letzten Metern vor Abschluss des Deals waren die Verhandlungen noch einmal ins Stocken geraten. Als möglicher Grund wurden Tage später ungeklärte Patentfragen kolportiert, insbesondere rund um das Elektroauto Ampera-e – eine Technologie, die sich der Opel- Mutterkonzern General Motors gerne sichern wollte.
als strategisches Unternehmensinstrument heute mehr Bedeutung denn je – nicht nur in der Automobilbranche, dort aber besonders. Einerseits versuchen immer mehr branchenfremde Unternehmen sich ein dickes Stück vom Umsatzkuchen abzuschneiden, andererseits verbauen Hersteller verstärkt Technologien, die früher keine Rolle im Fahrzeug gespielt haben. Die Stichworte lauten autonomes Fahren, Elektroantriebe, Konnektivität oder Shared Mobility. Auf diesen Feldern können OEMs und Zulieferer anders als in der analogen Fahrzeugtechnik nicht auf jahrzehntelange Erfahrung zurückgreifen und treten in scharfen Wettbewerb zu finanzkräftigen Konzernen aus der digitalen Welt. Die sind ebenfalls bestrebt, ihr geistiges Eigentum zu schützen. Patente und andere technische Schutzrechte gehören deshalb auf beiden Seiten zur Standardmunitionierung.
Beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) ist die Anzahl der 2016 erteilten Patente gegenüber dem Vorjahr gestiegen und lag bei 15.652 – was DPMA-Präsidentin Cornelia Rudloff-Schäffer bei Vorstellung der Jahresbilanz zuversichtlich stimmte: „Jedes erteilte Schutzrecht sichert die Ergebnisse von Forschung und Entwicklung ab. Patente und Marken, Designs und Gebrauchsmuster sind geistiges Eigentum und immaterielle Vermögenswerte. Dass die bei unseren Patenterteilungen und Markeneintragungen seit Jahren ansteigenden Ergebnisse im Jahr 2016 sogar noch übertroffen wurden, zeigt das ungebrochene Vertrauen der Innovatoren in deutsche Schutzrechte und deren hohe Qualität.“
Was Rudloff-Schäffer nicht sagte: Deutschland spielt im internationalen Vergleich zahlenmäßig nur noch in der vierten Patent-Liga, wenn überhaupt. Denn es gibt viele neue Märkte, in denen technische Schutzrechte en masse entstehen. Beispiel China: Dort werden jedes Jahr rund eine Million Patente angemeldet – so viele wie in Europa, Japan und den Vereinigten Staaten zusammen.
Aktuell sind beim Patentschutz zwei Stoßrichtungen zu erkennen: Exklusivität bei der Nutzung technischer Innovationen und – in Zukunft noch wichtiger – ein rechtlich abgesicherter Handlungsspielraum, der sogenannte „Freedom to operate“. Durch die Offenlegung von Innovationen, insbesondere durch Patente, wird ein Stand der Technik geschaffen, den sich kein anderes Unternehmen mehr schützen lassen kann. Auch für die Automobilbranche ist dabei Schnelligkeit wichtig: Wer- den neue Themen rasch geteilt, entfalten sie schneller Dynamik und Schlagkraft.
Außerdem ist es immer eine strategische Festlegung, Technologien oder Verfahren exklusiv zu schützen: Patente – weltweit durchgesetzt – können Innovationen teuer für alle machen. Würde beispielsweise die Radar- und Sensottechnik, die für autonomes Fahren erforderlich ist, sich im Besitz nur eines OEMs befinden, müssten dafür Lizenzen bezahlt werden, die eine Serienfertigung kostspielig machen. Zudem beobachten Anwälte auf der ganzen Welt den Trend, aus neuen Technologien und Innovationen keine großen Betriebsgeheimnisse mehr zu machen.
Tesla zum Beispiel hat im Juni 2014 seine Patente werbewirksam der Öffentlichkeit übergeben, um die Verbreitung seiner Technologie aktiv zu fördern. „Alle unsere Patente gehören euch“, schrieb Tesla-Chef Elon Musk seinerzeit in einem Blog-Beitrag. Seine Firma habe im Geiste der Open-Source-Bewegung die Rechte an ihren Patenten aufgegeben, um die Verbreitung der Elektroautotechnologie zu erleichtern. Das Unternehmen will keine Patentrechtsklagen einreichen, wenn andere Firmen die von Tesla entwickelte Technologie einsetzen, versprach Musk. Bis heute hat er Wort gehalten. „Patentabteilungen waren in der Vergangenheit eher reaktiv unterwegs“, berichtet Ralf Lamberti, der bei Daimler den Bereich Intellectual Property, Trends & Innovation leitet.
Die Fachbereiche wollten ihre Innovationen geschützt haben und suchten Expertenrat, wie sich das am besten bewerkstelligen lässt. In den letzten ein, zwei Jahren aber hat ein Umdenken eingesetzt. Auch Daimler hat den Spieß umgedreht und richtet seinen Patentbereich strategisch neu aus. Heute analysieren Mitarbeiter frühzeitig internationale Schutzrechte, gehen aktiv auf die Fachbereiche zu und diskutieren mit ihnen, ob und wie Daimler sich inhaltlich positioniert. Erklärtes Ziel: Transparenz über neue technologische Entwicklungen und geeignete Antworten des Unternehmens.
Einfacher ist die tägliche Arbeit im Patentbereich nicht geworden, zumal in Zeiten der Digitalisierung. „Software und Algorithmen lassen sich in Europa – anders als in den USA – nur mit hohem Aufwand schützen“, sagt Ralf Lamberti und weiß, dass immer ein direkter Zusammenhang mit einer technischen Funktion im Fahrzeug dargestellt werden muss. Selbst dann aber sind Softwarepatente leicht zu umgehen – oft reicht es schon, einige Zeilen Code umzuschreiben. Ob und wie Daimler, andere OEMs und Zulieferer Neuentwicklungen in diesem aufstrebenden Bereich schützen können, wird in der Branche eifrig diskutiert.
Streit scheint auch bei einigen sogenannten standardessenziellen Patenten programmiert: Bekannte Standards wie 2G, 3G und 4G im Mobilfunk oder Wifi , Bluetooth und USB – all diese Technologien drängen mit großer Macht ins Fahrzeug, sind aber patentrechtlich geschützt durch Firmen wie BlackBerry, Nokia, Ericsson oder Qualcomm. Die gesamte Autobranche muss sich die Frage stellen, wie sie diese Technologien in ihren Produkten sauber lizenzieren kann. Der Teufel steckt – wie so oft – im Detail: Während die Tech- Unternehmen zur Berechnung der Lizenzgebühren gerne den Gesamtfahrzeugpreis heranziehen würden, drängen die OEMs darauf, den deutlich niedrigen Preis für die Chips anzusetzen, auf denen die Schnittstellen verbaut sind.
Eine branchenweite Lizenzlösung zu sogenannten FRAND-Bedingungen (Fair, Reasonable and Non-Discriminatory) muss das Ziel sein. Kein Hersteller wird es sich leisten können, auf Dauer sämtliche Einzelpatente zu lizenzieren, die sich irgendwie in der Nähe seiner Produkte bewegen und potenziell gefährlich werden können. Daimler hat nach einem rund zehn Jahre andauernden Rechtsstreit um den Nackenföhn Airscarf, der in vielen Mercedes-Cabrio-Modellen verbaut ist, im Juni letzten Jahres letztlich eine Lösung gefunden und sich mit dem Lizenzinhaber geeinigt.
Ein Beispiel, das der alten Diskussion um das Für und Wider von Patenten neues Leben eingehaucht hat. Die Stuttgarter sind nun einigen Konsortien beigetreten, darunter LOT (License on Transfer), OIN (Open Invention Network), FSA (Fair Standards Alliance) und UP (United Patents). All diese Verbände gehen zielgerichtet gegen Patenttrolle und klagefreudige Verwertungsfirmen vor oder bieten Zugang zu einem Patentpool. Damit eröffnen sie neue Möglichkeiten, Produkte vor Patentangriffen Dritter zu schützen. Ob dieses Vorgehen tatsächlich eine Patentlösung ist, bleibt abzuwarten.
Autor: Ralf Bretting
Fotos: Tesla, Daimler
Dieser Artikel erschien erstmals in der automotiveIT 03/04 2017