Ein Mensch steht vor einem virtuellen Sportwagen. Die Digitalisierung hält immer mehr Einzug ins Fahrzeug.

Das Auto der Zukunft wird vom elektrischen Antrieb und Software geprägt sein. Auf Mitarbeiter der Branche kommen neue Anforderungen zu. (Bild: Adobe Stock / Ярослав Антонюк)

Elektrifizierung und Digitalisierung verändern die Automotive-Arbeitswelt grundlegend. „OEMs benötigen zunehmend Experten bei der Entwicklung von Software für das Auto. Schätzungsweise 100 Millionen Programmzeilen Softwarecode stecken in einem heutigen Fahrzeug“, wirft Steffen Rilling nur ein Schlaglicht auf den Wandel. Der Principal in der Automotive & Manufacturing Industries Practice von Oliver Wyman sieht etliche neue daten- und technologiegetriebene Jobprofile: Dazu zählen etwa Data Lake Manager, Big Data Analysten oder (Digital) Service Interface Designer in der Software-Entwicklung, Batteriesystem-Ingenieure in der Hybrid- und Batterietechnik beziehungsweise Elektrifizierung, Roboterkoordinatoren in der Sensorik sowie Produktionstechnologen im Leichtbau oder der Werkstoffkunde. Ergänzen lassen sich unter anderem KI- und Machine-Learning-Spezialisten, User-Experience-Designer, Robotik-Ingenieure sowie Blockchain-Spezialisten.

Autohersteller werben um IT-Fachkräfte

„Das Auto der Zukunft wird immer mehr zum Mobile Device und so verändern wir auch unsere Entwicklungsprinzipien mehr und mehr in Richtung einer Tech Company – Software vor Hardware oder Konzeption der Fahrzeuge von innen nach außen“, erklärt Marc-Oliver Schell, Leiter Strategische Personalplanung und -steuerung, Projektmanagement Transformation bei Audi, „Daher liegen die Zukunftsarbeitsplätze klar in den Bereichen IT, Automatisierung und Elektromobilität.“ Bei Audi seien aktuell zum Beispiel Softwareentwickler, Data Analysts, IT Security Officer und Architects oder Fachkräfte im Bereich der Batterietechnologie besonders gefragt.

Neben neuen technischen Anforderungen veränderten sich zunehmend auch die Anforderungen an die Soft Skills der Mitarbeiter, ergänzt Rilling: „Agile, kollaborative Arbeitsweisen, kombiniert mit Kommunikations- und Sozialkompetenz, werden immer wichtiger, um in Teams unterschiedlicher Größe und an unterschiedlichen Standorten effektiv zusammenzuarbeiten.“

Wie sich Jobprofile in der Autoindustrie wandeln

Fachlich findet ein mitunter deutlicher Shift hergebrachter Jobprofile statt. Schell nennt einige Beispiele, etwa für den Wandel vom klassischen Entwickler, mit Fokus Mechanik, hin zum Entwickler mit Schwerpunkt virtuelle Entwicklung oder System- und Funktionsentwicklung. Oder vom klassischen Entwickler für Verbrennungsmotoren hin zum Entwickler für Elektromotoren oder Batteriezellentwicklung. Oder vom klassischen Mitarbeitenden im Bereich Sales hin zum Themenschwerpunk E-Commerce Management und Direktvertrieb. Oder auch vom klassischen hin zum datengetriebenen Marketing.

Entsprechend passen Audi und andere OEMs Ausbildung und Qualifizierungsmaßnahmen an die Zukunftsthemen Digitalisierung, Vernetzung und Elektromobilität an. Bei Audi würden deutlich mehr Ausbildungen in digitalen Berufen als noch vor ein paar Jahren angeboten. So gibt es seit 2020 den Ausbildungsberuf Fachinformatiker_in mit Fachrichtung Digitale Vernetzung. Hier lernen junge Menschen, an der Schnittstelle zwischen IT und Produktion komplexe Prozesse mitzuentwickeln. „Darüber hinaus gibt es neue Methoden und Tools, deren Anwendung und Nutzung es zu schulen gilt“, berichtet Thomas Hasenbank, Leiter Recruiting, HR Beratungscenter, Audi Akademie, von einer umfassenden Qualifizierungsoffensive. Ziel es sei „die Schlüsselkompetenzen für die Zukunftsfelder von Audi durch Upskilling weiterzuentwickeln und kontinuierlich durch Reskilling neue Kompetenzen aufzubauen“.

Weiterbildung wirkt IT-Fachkräftemangel entgegen

Nachdem es kaum 'fertige' Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt gibt, müssen Unternehmen selbst vorhandene Wissenslücken schließen. So investiert Mercedes-Benz bis 2030 mehr als 1,3 Milliarden Euro in die Qualifizierung von Beschäftigten. Im Mittelpunkt steht eine Turn2Learn genannte Offensive, die neben klassischen Angeboten stark auf eLearning-Plattformen setzt. „Jede und jeder kann sich zeit- und ortsunabhängig weiterbilden – über alle Bereiche und Ebenen hinweg. Wir setzen dabei vor allem auf Lernpfade, die uns bei Digitalisierung und Elektrifizierung voranbringen“, sagt Sabine Kohleisen, Personalvorständin und Arbeitsdirektorin der Mercedes-Benz Group AG.

Das Angebot im eLearning umfasst Themen wie Softwareentwicklung, Data Science, Cloud-Computing und agile Arbeitsmethoden. Für die Data Worker im Konzern werden spezifische Lernpfade wie Data Scientist oder Data Architect aufgelegt, die individuell ergänzt und angepasst werden können. Beschäftigte in der Produktion werden in den Themen der Digitalisierung und Elektrifizierung weitergebildet, so dass sie beispielsweise als Data Specialist Anlagen eingehender analysieren und effektiver nutzen können. Herausforderungen und etwaige Störungen im Produktionsprozess können so in Zukunft noch früher erkannt und Unterbrechungen vermieden werden. Mercedes-Benz hat zudem weltweit das virtuelle Weiterbildungsprogramm Digital Readiness ausgerollt, mit dem der gesamten Belegschaft digitales Grundwissen vermittelt werden soll - von Machine Learning über das Internet der Dinge bis zur Blockchain-Technologie.

Autoindustrie und Hochschulen müssen kooperieren

OEMs wie Audi suchen gezielt die Partnerschaft mit Hochschulen, um die eigene und externe Ausbildung den aktuellen Anforderungen anzupassen. „Wir treiben die Personaltransformation von innen heraus und sind davon überzeugt, dass das nur mit starken Partnern geht. Deshalb setzen wir auf eine starke Vernetzung mit Verbänden, Hochschulen und Bildungseinrichtungen“, betont Hasenbank. So bieten die Ingolstädter seit Oktober 2022 neue Duale Studienprogramme an, wie den Masterstudiengang Cloud Applications and Security Engineering an der Technischen Hochschule Ingolstadt, und den Bachelor of Engineering Maschinenbau – Virtual Engineering an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Mosbach. „Und die Anzahl der Studienplätze für die dualen Studiengänge wird bei uns in den kommenden Jahren weiterwachsen“, verspricht Hasenbank.

Wie sich Jobprofile künftig mit welchen Folgen weiter wandeln, bleibt eine spannende Frage. Branchenexperte Rilling umreißt, vor welchen Herausforderungen OEMs stehen: Wie kann mit bestehenden Kapazitäten umgegangen werden, die überflüssig werden? Wie kann bestehendes Personal umgeschult oder weiterbildet werden? Wie kann man ein attraktiver Arbeitgeber bleiben? Und wie können neue Fähigkeiten und Kompetenzen aufgebaut werden? „Traditionell haben Unternehmen aus der Autobranche auf einen kurz- bis mittelfristigen Planungshorizont gesetzt, üblicherweise an bestehenden Hierarchien, Karrierestrukturen und Gehaltsstufen orientiert“, sagt Rilling. „In Zukunft müssen sich Unternehmen agil auf mittel- bis langfristige Planungshorizonte einstellen.“ Was heißt: Beständig ist nur der Wandel – auf den die Autoindustrie schnell und flexibel reagieren muss.

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