Durch fallende Preise und einfachere Handhabbarkeit der Hardware werden VR-Technologien für die Automobilindustrie zunehmend interessant.
Beim Thema VR-Technologien (Virtual Reality) wird derzeit verstärkt am Schlüsselaspekt Prozess-integration gearbeitet,um mit VR endlich breitflächig Vorteile wie Fehlerminimierung, Zeitersparnis und verbesserte Kommunikation zu erschließen. Zunehmend werden Synergieeffekte gehoben: Auch in Vertrieb und Marketing spielen Simulationen eine immer größere Rolle.„Der technologische Reifegrad von VRSystemen ist bereits recht hoch“, sagt Andreas Wierse, technischer Geschäftsführer der Visenso GmbH. Virtuelle Abnahmeprozesse und Quality Gates gehören heute bei vielen OEMs zur Tagesordnung. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Ergebnisse aus den Simulationen verlässlich sind. Durch Visualisierung und Simulation vereinfacht sich die Arbeit von Entwicklern und Designern erheblich: Das gilt insbesondere für die Kommunikation in Meetings. Schon beim Nachdenken über das Karosseriedesign lässt sich beispielsweise durch Berechnungen prüfen,ob die Form mit aerodynamischer Effizienz kompatibel ist. Arbeiten mehrere Entwicklergruppen zum Beispiel an den Komponenten des Motorraums, wird zeitnah geprüft, ob die einzelnen Bausteine Platz finden und zueinander passen – bevor kostenintensive Prototypen gebaut werden.
Neben dem Schutz vor Fehlern, die später zu hohen Kosten und Imageverlust durch Rückrufaktionen führen könnten, gelten als wesentliche Argumente für VR die erhöhte Flexibilität sowie Zeit- und Kosteneinsparungen,zum Beispiel durch die Reduktion von physischen Prototypen. Mercedes hat dies bereits bei der Einführung der aktuellen C-Klasse bewiesen. Virtual Prototyping eignet sich auch, um die Variantenvielfalt rascher zu beherrschen.
„Die VR-Technologie hat den klassischen Hype-Zyklus durchlaufen und ist jetzt nach anfänglicher Euphorie und dem ‚Tal der Tränen‘ auf dem besten Weg zur Produktivität“, sagt auch Ludwig A.Fuchs, Vorstand der RTT AG. „Die Hersteller haben sich stärker in Richtung kommerzieller Anbieter orientiert, statt auf Eigenentwicklung und interne Investitionen zu setzen“, so Fuchs. Das trage auch zu höherer Standardisierung bei. Seiner Einschätzung nach wird die schwierige wirtschaftliche Situation zum intensiveren Einsatz von VR-Technologien beitragen. Hinzu komme die breitere Nutzung von VR-Modellen in Vertrieb und Marketing, beispielsweise wenn es um interaktive Verkaufspräsentationen oder die verständlichere Darstellung komplexer Produktteile gehe. „Derzeit ist eine mobile VR-Anlage ab etwa 50 000 Euro zu haben. Eine fest installierte Projektionsanlage mit optischem Tracking-System für Team-Besprechungen kostet rund 150 000 Euro,inklusive Software“, sagt Wierse, der sich seit 20 Jahren mit Visualisierungstechnologien beschäftigt. Im Verlauf des Jahres werde es produktiv nutzbare Systeme einschließlich Software ab 100 000 Euro geben. Angesichts der rasanten Entwicklung von Massentechnologien – man denke an 3D-Fernseher von Samsung oder 3D-Mäuse wie bei Nintendos Spielkonsole Wii – ist nach Wierses Ansicht damit zu rechnen, dass innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre VR-Technologie sehr viel erschwinglicher wird. Dann könnten selbst die Entwicklerbüros mit entsprechenden Geräten ausgestattet werden. Auch die Preise für Projektoren, Rückprojektionsleinwände und Trackingsysteme sinken. Statt Spezialrechnern kommen heute fast ausschließlich PCs zum Einsatz. Die Handhabung und Betreuung wird einfacher und dadurch auf kurze Sicht für mittelgroße Zulieferer interessanter. Dennoch bleibt VR auch Forschungsthema: „Im Bereich des dreidimensionalen Greifens hat die Forschung noch zu tun – bisher wird mit drahtlosen 3D-Mäusen gearbeitet, mit denen sich Objekte bewegen und drehen lassen“, so Andreas Wierse. Der gemeinnützige Verein ASCS (Automotive Simulation Center Stuttgart) verfolgt das Ziel, mit der Förderung numerischer Simulationstechnologien zur Senkung der CO2-Emission beizutragen.Hauptaugenmerk liegt auf den Punkten Strömungssimulation, Fahrzeugleichtbau sowie Elektro- und Hybridfahrzeuge.„Unser Ziel ist es, Wirtschaft und Wissenschaft näher zusammenzubringen, damit sich die Zeit zwischen wissenschaftlicher Innovation und der Umsetzung in anwendbare Softwaretools und Produkte verkürzt“, sagt Erich Schelkle, Geschäftsführer des ASCS. Mit Hilfe der Supercomputer des Höchstleistungsrechenzentrums der Universität Stuttgart soll die virtuelle Fahrzeugentwicklung vorangetrieben werden. Zu den rund 20 Vereinsmitgliedern zählen nebender Wissenschaft namhafte Automobilhersteller sowie Soft- und Hardwareanbieter.
Ebenfalls bei Stuttgart ansässig ist das Virtual Dimension Center (VDC) Fellbach, das sich mit Technologien und Dienstleistungen rund um VR befasst. Auch in angrenzenden Bereichen wird gearbeitet: Forscher des Fraunhofer Instituts entwickelten eine Komprimierungstechnologie für Simulationsdaten. Pro Tag entstehen beispielsweise bei Crashtests Datenmengen in Terabytegröße,deren Archivierung entsprechenden Speicherplatz schluckt. Mit Hilfe der Komprimierung lassen sich die Daten aufein Zehntel schrumpfen.In puncto Prozessintegration läuft die Entwicklung im Anbieterlager auf Hochtouren. Um im zunehmend vom Time to-Market-Zeitdruck geprägten Ingenieursalltag zu bestehen, muss alles auf Knopfdruck funktionieren. Rund eine halbe Stunde dauert es heute Wierse zufolge noch, die Daten für eine Besprechungzusammenzustellen, an der Performance wird weiter gefeilt. „Durch die Etablierung von PDM/PLM-Systemen hat die Integration einen deutlichen Schub erhalten. CAD-Daten können aus dem PLM automatisiert in die Virtual-Reality-Anwendungen übernommen werden“, so Fuchs.
Autorin: Daniela Hoffmann