Die Automobilbranche im Wandel – von der produzierenden zur Dienstleistungsindustrie.

Der Automobilsektor ist seit jeher von Veränderung und Umbruch geprägt, vor allem in den letzten zwanzig Jahren. Der Verdrängungswettbewerb und mehrere Übernahmen haben die Zahl der Anbieter drastisch verringert. Von ursprünglich 500 selbstständigen Automobilherstellern weltweit im Jahr 1910 sind fast hundert Jahre später nur noch dreizehn Unternehmen übrig. 

Im Bereich der Zulieferbetriebe ist die Vielfalt noch deutlich größer. Auch hier ist jedoch der Trend, dass die absolute Zahl an Zulieferunternehmen sinkt und nur die stärksten übrig bleiben. Selbst im Automobilhandel ist eine Konsolidierung zu erkennen. Händlernetze werden gestrafft und ausgedünnt. Verantwortlich dafür sind vor allem zwei Ursachen: der enorme Kostendruck, dem die Branche unterworfen ist, und sinkende Entwicklungs- und Herstellungszeiten, die von Kundenseite gefordert werden. Die Hersteller reagieren, indem sie sich zum einen auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und sich zum anderen verstärkt an Kundenerwartungen orientieren. Zu den Kernkompetenzen der Hersteller gehören markenprägende Bereiche. Bislang zählen dazu Entwicklung, Produktion, Integration und Montage. Die Hersteller arbeiten bzw. produzieren hier in Eigenleistung. Aufgrund der hohen Fixkostenbelastung werden diese Aufgaben jedoch immer unattraktiver. Technologische Innovationen treten daher als Element der Produktdifferenzierung in Zukunft in den Hintergrund. Für die Hersteller heißt das, neue Kernkompetenzen aufzubauen, z.B. spezifische Serviceangebote.

Zum kritischen Erfolgsfaktor der Zukunft werden der Kontakt zum Kunden und das Wissen über ihn. In dem Maße, in dem sich Hersteller an den Erwartungen ihrer Kunden orientieren, vollzieht sich in der Automobilbranche ein Wandel: Von einer produzierenden Industrie wird sie zur Dienstleistungsindustrie.

Bereits seit geraumer Zeit investieren OEM (Original Equipment Manufacturer) massiv in eigene Vertriebsorganisationen und zusätzliche Dienstleistungen, um sich neue Wertschöpfungsquellen und Marktanteile zu erschließen. Das Dienstleistungsspektrum der Hersteller lässt sich bereits jetzt in fahrzeugbezogene und nicht fahrzeugbezogene Dienstleistungen differenzieren. Zu den fahrzeugbezogenen Dienstleistungen zählen komplementäre Services wie Mobilitätsangebote, Fuhrparkmanagement oder Informations- und Telekommunikationsdienste.

Diese Dienstleistungen werden passend zur Automarke ausgestaltet. Die nicht fahrzeugbezogenen Dienstleistungen umfassen Fahrzeugvermietung, Eintrittskartenservice, Verkehrsservice, Routenempfehlung  (oder Hol- und Bringservice. Darüber hinaus erwägen viele Automobilhersteller, Universalbanken aufzubauen, um ihren Kunden umfassende Angebote zu unterbreiten. Einige OEM halten es für wahrscheinlich, dass Kunden es in Zukunft bevorzugen, mehrere Fahrzeuge bedarfsorientiert zu nutzen, statt ein eigenes Fahrzeug zu besitzen.

Was geschieht jedoch mit den Bereichen, die nicht zu den Kernkompetenzen der OEM gehören? Hier zeigt sich ein Auslagerungstrend: Wertschöpfungsanteile, die nicht markenprägend sind, werden von den Automobilherstellern an die Zulieferer übertragen. Der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) geht heute davon aus, dass die Zulieferer bis 2010 rund 80% des Wertschöpfungsanteils und 50% der Entwicklungsleistung erbringen. Diese Verschiebung bringt es mit sich, dass die Produktion eines Automobils nicht in einer Region allein stattfindet, sondern dass unter Umständen auf drei verschiedenen Kontinenten Teile entwickelt und gefertigt werden. Solche unternehmensübergreifenden Netzwerke stellen hohe Anforderungen an die Kooperation und Koordination der Beteiligten. Konkret heißt das, Arbeitsleistungen der Partner in einer Wertschöpfungskette werden nicht mehr unabhängig erbracht, sondern müssen effektiv miteinander verzahnt und auf das gemeinsame Ziel hin orientiert werden. Was zählt, ist nicht nur die optimale Leistung eines Partners, sondern die des gesamten Netzwerks. Erst eine globale Perspektive auf das ganze Netzwerk macht es möglich, den Kunden mit international wettbewerbsfähigen Leistungen und Preisen gegenüberzutreten. Entscheidend für den Erfolg solcher Netzwerke ist neben der jeweiligen technologischen Kompetenz ein hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen, bedingt durch einen fairen Umgang der Unternehmen miteinander.Wie lassen sich konkret Kosten senken und gleichzeitig Leistungen für die Endkunden verbessern und erweitern?

Einsparungen bei den Materialkosten sind aufgrund von Qualitätsstandards kaum möglich. Mehr Spielraum bietet es, Skaleneffekte bei den Bestellmengen zu nutzen oder das Zusammenspiel der Einzelprozesse entlang der Wertschöpfungskette zu optimieren. So lassen sich beispielsweise Lagerkosten minimieren, wenn die Koordination mit den Lieferanten verbessert wird. Bei der Just-in-time-Produktion ist das bereits heute der Fall Voraussetzung für beides, sowohl für Kosteneinsparungen als auch für die Erweiterung des Leistungsspektrums, sind gute Organisation und Koordination zwischen über und untergeordneten Einheiten in der Wertschöpfungskette. Genau daran mangelt es jedoch: Die Koordination und Kooperation der Partner untereinander läuft oft nicht optimal und die Kommunikation ist unzureichend. Zwar haben viele Unternehmen ihre Prozesse bereits werksintern optimiert, die große Herausforderung liegt jedoch darin, auch unternehmensübergreifende Prozesse optimal zu gestalten. Ein Ansatz dafür ist Collaborative Engineering, das bereits heute Teil von Wertschöpfungsketten ist

Collaborative Engineering kann in einer Beziehung zwischen einem OEM und einem Zulieferer oder zwischen einem OEM und mehreren Zulieferern stattfinden. Probleme, mit denen Collaborative Engineering in der Vergangenheit zu kämpfen hatte, waren sowohl technische Schwierigkeiten bei der Umsetzung als auch das opportunistische Verhalten einzelner Akteure gegenüber ihren Netzwerkpartnern.

Doch nicht nur die Zusammenarbeit der Partner innerhalb einer Wertschöpfungskette, auch die Ketten selbst verändern sich. Betrachtet man heute Wertschöpfungsketten zwischen Unternehmen, handelt es sich meist um eine vertikale Integration über die verschiedenen Zulieferstufen (OEM, Tier 1, Tier 2, …Tier n) hinweg. Diese vertikalen Ketten werden zunehmend zu Wertschöpfungsnetzwerken (Value Networks) integriert.

Wertschöpfungsnetzwerke berücksichtigen auch die horizontale Integration entlang der Geschäftsprozesse Engineering, Produktion, Montage, Distribution, Sales und Service. In ihnen werden über die Grenzen einzelner Unternehmen hinweg Daten ausgetauscht und Optimierungspotenziale realisiert.

HEUTE: Wertschöpfungsketten ZUKÜNFTIG: Wertschöpfungsnetze

 

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