Gu Weihao, Haomo.AI

Bisher sind die Ingenieure des Unternehmens ausschließlich in China tätig. Für eine kundennahe Entwicklung erachtet es Gu Weihao als erforderlich, etwa auch in Deutschland vor Ort zu sein. (Bild: facesbyfrank)

Haomo.AI ist ein junges Unternehmen. Woher kommt die Intention, genau jetzt mit autonomem Fahren an den Start zu gehen?

Bei Haomo handelt es sich um eine Ausgründung aus Great Wall und wie Sie sagen um ein sehr junges Unternehmen. Exakt sind wir seit dem 30. November 2019 aktiv. Gestartet sind wir zunächst mit 140 Ingenieuren. Mit den zwischenzeitlichen erfolgreich absolvierten Finanzierungsrunden sind wir über die Zeit auf fast 1.000 Beschäftigte angewachsen und widmen uns als Spin-Off seither intensiv den Themen automatisiertes Fahren und ADAS im chinesischen Markt.

Der Wettbewerb und die Erfolge auf diesem Gebiet sind groß. Wie wollen Sie aufholen?

Wir denken, dass wir im Markt recht einzigartig sind und uns vom Wettbewerb insbesondere in zwei Punkten unterscheiden. Punkt eins ist unsere technische Expertise auf den Themenfeldern ADAS und autonomes Fahren, wofür wir über viele erfahrene Ingenieure verfügen. Ein wesentlicher weiterer Punkt ist unsere stark daten- und AI-getriebene Denkweise, für die wir auf Szenariodaten von echten Nutzern zugreifen können. Wir denken, dass wir uns genau darin vom Wettbewerb abheben.

Ohne zahlreiche echte und virtuelle Testkilometer und Daten gelingt autonomes Fahren freilich nicht. Wo testen Sie und werden Sie dies nun verstärkt auch in Europa tun?

Damit sprechen Sie auf das Thema Validierung an. Die läuft in China aus der Tradition der vergangenen drei Jahre heraus. Dies ist auch der Markt, auf den wir uns nach wie vor konzentrieren und auf dem ganz klar unsere Prioritäten liegen. Aber ja, wir sind in den vergangenen Monaten und Wochen nun dabei, auch von Europa und seinen Anforderungen und spezifischen Gegebenheiten zu lernen.

Was sind Ihre Strategien und Ziele für den europäischen Markt?

Unsere Motivation ist es, die Fahrzeuge der globalen OEM-Landschaft zu verbessern und die europäischen OEMs, die insbesondere im chinesischen Markt tätig sind, auf die Gegebenheiten unseres Markts hin zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, ihre Fahrzeuge im Bereich ADAS zu verbessern. Dazu müssen wir natürlich eine kundenspezifische Entwicklung betreiben und sehr nahe an den OEMs sein. Bisher sind unsere Ingenieure ausschließlich in China tätig. Für eine kundennahe Entwicklung wird es aber erforderlich, etwa auch in Deutschland vor Ort zu sein und letztlich auch hier Ingenieure einzustellen, die dann die lokalen Anforderungen in unser Portfolio einbringen.

aIT-Redakteur Götz Fuchslocher im Gespräch mit Gu Weihao
"Für den Pkw-Sektor fokussieren wir derzeit Level 2+. Für die Letzte Meile-Logistik und die dazu eingesetzten kleinen Fahrzeuge erreichen wir Level 4", erläutert Gu Weihao (r.) im Gespräch mit automotiveIT-Redakteur Götz Fuchslocher. (Bild: facesbyfrank)

Auf welche Techniken setzen Sie beim automatisierten Fahren? Bei der Sensorik herrscht – zumal in Europa – große Einigkeit, dass sich diese aus einem Dreiklang aus Kamera, Radar und Lidar zusammensetzen muss …

Unsere Technologie unterteilen wir in drei Bereiche. Da ist zunächst die ADAS-Performance durch Hardware. Grob gesagt gilt: je mehr Hardware sich an Bord eines Fahrzeugs befindet, umso besser ist die Leistung. Das ist natürlich teuer und lässt sich auch nicht so leicht für die Massenproduktion umsetzen. Daher bedarf es einer zweiten Phase der Transformation. Dies bedeutet, es müssen smarte Sensoren und wettbewerbsfähiges Computing ins Fahrzeug Einzug halten. Dabei geht es um Software-Engineering, um Vorausschau und letztlich darum, mehr Akkuratesse in der Umgebungsdarstellung zu erzielen. Die meisten von uns befinden sich in dieser zweiten Phase. Hier nutzen die Fahrzeuge etwa eine nach vorne gerichtete Kamera inklusive Fisheye.

Die dritte Phase ist weit komplexer. Denn in dieser braucht es ein Kamera-Set, um rund um das Fahrzeug zu blicken, ebenso wie eine Nahfeld-Kamera. Kurz gesagt geht es in dieser Phase darum, mehr Sensoren und Daten zu fusionieren. Um die genannten Phasen einzuordnen: die erste bildet den Bereich von Robotaxis, so, wie es etwa Waymo betreibt und dazu auf bis zu acht Radare setzt. Mit Blick auf die weiteren Phasen wird dann das Bewältigen der Datenmengen zunehmend relevant. Hier besteht die Kunst im Beherrschen einer Flut von Informationen. Die ist genau die Stufe, an der zahlreiche Unternehmen scheitern.

Wie wichtig ist die Bildverarbeitung? Setzen Sie dabei auf Partner?

Image Processing zählt zu unseren Kernkompetenzen. Hierfür, wie auch für das Cloud Computing sowie das Labeln, setzen wir mehr als 50 Prozent unseres Etats ein. Bei der Bildverarbeitung arbeiten wir mit einigen Partnern zusammen. Software und Algorithmen sind unsere Kernkompetenzen, beim Daten-Labeln und Cloud-Computing arbeiten wir hingegen mit Experten wie Alibaba zusammen.

Eine Schlüsselkomponente von Haomo ist das Daten-Intelligenz-System MANA. Erklären Sie uns bitte, was das System kann.

Ganz kurz gesagt handelt es sich bei MANA um ein System, bei dem wir auf den Input von Daten setzen, um als Output sehr genaue Fahrdaten zu generieren. Das Sammeln exakter lokaler Daten, um daraus entsprechende Manöver umsetzen zu können, bedarf eines profunden Wissens, wie man diese Informationen sammelt, transformiert, validiert und vor allem auch, wie man sie aufbewahrt. Diese Komplexität können wir mit MANA abbilden.

Auf welchem SAE-Level sind Fahrzeuge mit Haomo-Technologie aktuell bereits unterwegs? Gibt es Projekte, die über Level 2 hinausreichen?

Für den Pkw-Sektor fokussieren wir derzeit Level 2+. Für die Letzte Meile-Logistik und die dazu eingesetzten kleinen Fahrzeuge erreichen wir Level 4. Dies sind natürlich Projekte mit kleinen Volumina.

Wie und ab wann wird Level 4 im Pkw möglich?

Level 4 in der Masse ist noch eine Annahme. Zunächst müssen wir mit Blick auf die Masse die Performance der Level 2-Systeme, etwa anhand von Flotten, betrachten und hier die Kunden zufriedenstellen. Wir gehen davon aus, dass wir rund 500.000 Fahrzeuge benötigen, um diese Technologie zu entwickeln. Wir verfügen über die Technologien, um diese Daten zu transferieren und daraus Wissen und schließlich eine bessere Performance zu erschaffen. Das ist zunächst unser Schwerpunkt. Ich gehe aber davon aus, dass Level 4 möglicherweise in vier bis fünf Jahren möglich sein wird. Mit Blick auf den chinesischen Markt sprechen wir dabei jedoch von räumlich abgegrenzten Bereichen.

Auf dem chinesischen Markt sind Konnektivität und Telematik, wie sie in den Marken Wey und Ora mit Hilfe Ihrer Technik umgesetzt werden, wichtig. Was steckt dahinter und wie bringen Sie diese mit automatisiertem Fahren zusammen?

Im Bereich der Konnektivität gibt es im chinesischen Markt zahlreiche Projekte, etwa das Verbinden mit der lokalen Infrastruktur. Zumeist handelt es sich aber um Themen, die sich noch in der Erprobung befinden. Für Ora setzen wir eine entsprechende Hardware ein. Darauf liegt jedoch nicht unser Hauptaugenmerk. Das gilt vielmehr den Tools für mehr Sicherheit im Fahrzeug.

Blicken wir auf Ihr geplantes Europa-Engagement. Im Rahmen der Kooperationsgemeinschaft Spotlight von BMW-Mini und Great Wall entwickeln die Partner eine neue Elektroplattform. Welchen Beitrag leistet Haomo dabei?

Dieses Joint-Venture reicht zurück in die Zeit vor der Gründung von Haomo. Spotlight ist für uns also ein potenzieller Kunde für unsere Produkte.

Wie ordnen Sie die Unterschiede der Märkte Europa, Nordamerika und China ein und was bedeutet dies für Ihre Produkte?

Die Unterschiede in den Märkten sind sehr groß. Nehmen Sie etwa Fußgänger, die in China und Europa eine gewichtige Rolle im Straßenbild einnehmen, in den USA hingegen weniger. Speziell in China sind in Ballungszentren E-Bikes und hier speziell sogenannte Food-Delivery-Bikes ein großes Thema, Kleinfahrzeuge also, die sich sehr schnell bewegen, schneller als herkömmliche Radfahrer. In China haben wir es zudem mit hunderten verschiedener Designvarianten bei Ampeln zu tun. Europa wiederum hat die Besonderheit sehr enger Straßenzüge. Hier ist auch die linke Spur eine Schnellfahrer-Spur, was auf anderen Märkten nicht der Fall ist. Dies ist für unsere Produkte herausfordernd. Daher gilt es, die relevanten Daten zu akkumulieren, Erfahrungen zu machen und daraus dann die erforderlichen Schlussfolgerungen für unsere Produkte zu ziehen. Alle Daten, von denen ich hier spreche, werden natürlich im Einklang mit den lokalen Datenschutzbestimmungen genutzt.

Gu Weihao, CEO von Haomo.AI
"Level 4 in der Masse ist noch eine Annahme. Zunächst müssen wir mit Blick auf die Masse die Performance der Level 2-Systeme, etwa anhand von Flotten, betrachten und hier die Kunden zufriedenstellen", so Gu Weihao. (Bild: facesbyfrank)

Auf dem US-Markt werden autonome Fahrzeuge als Bedrohung eingestuft. Gleichzeitig werden chinesische Unternehmen sanktioniert. Was bedeutet dies für Haomo?

Der US-Markt ist sehr komplex, ja. Wir sind jedoch in der Situation, dass wir uns auf die Entwicklungen für den chinesischen Markt konzentrieren können und dort auch klar unsere Prioritäten liegen. Unsere Strategie fokussiert sich auf unseren Heimatmarkt und nun neu auch auf den europäischen Markt.

Im chinesischen Markt bedienen Sie in diesem Jahr 34 Fahrzeugmodelle und damit 80 Prozent im Portfolio von Great Wall. Welche weiteren Schritte planen Sie mit dem großen chinesischen OEM?

In unserem Heimatmarkt setzen wir derzeit drei Produkte ein: eines, das die Highway-Fahrt assistiert, das zweite bildet die Bereiche Highway und Parken ab, ein drittes soll dann auch den städtischen Bereich integrieren. Die ersten beiden Systeme sind bereits in Kundenhand. Mit unserem dritten System stehen wir kurz vor Abschluss und planen nun, dieses im Februar oder März des kommenden Jahres im Markt zu lancieren. Auf diesem System aufbauend werden wir auch unsere Entwicklung hin zu Level 3 und Level 4 des automatisierten Fahrens weiterführen.

Was zeichnet das System in technischer Hinsicht aus?

Zusätzlich zu zwölf, beziehungsweise 13 Radaren verfügt es auch über zwei Lidare. Darauf aufsetzend ist es eines unserer Ziele, die Kosten für das System so gering wie möglich zu halten. Um sie zu senken, denken wir daran, die ein oder andere Funktion auch über weitere Kameras abzubilden.

In einem Interview sagten Sie kürzlich, dass das Gebot der Stunde führende Datenintelligenz sei, multipliziert mit stabiler Massenproduktions-Kapazität, multipliziert mit Sicherheit sowie der Kraft der Ökologie. Was genau meinen Sie damit?

Für Unternehmen ist es wichtig, die eigenen Fähigkeiten zu definieren. Viele auf unserem Gebiet haben zwar gute Leute, gute Talente an Bord. Doch was nützt es, wenn das Produkt nicht ausgereift genug ist, um damit Geld zu verdienen? Kern guter Produkte ist Engineering-Knowhow. Dazu zählen Algorithmen, die Adaption von Hard- und Software und die richtige Verarbeitung von Daten. Und letztendlich braucht es dazu zahlreiche Partner, die einen bei diesen Aufgaben unterstützen.

Um wirklich erfolgreich sein zu können und um in die von mir eingangs geschilderte dritte Phase einzutreten, sind über gute Ingenieure und Hardware hinaus Daten der maßgebliche Schlüssel, wie auch der Aufbau tiefgreifender Verbindungen mit den Autoherstellern. Denn nur mit der Erfahrung aus den Fahrzeugflotten und entsprechend intelligenter Schlussfolgerungen aus den hierbei gewonnenen Daten lässt sich letztendlich ein wirkungsvolles KI-System aufbauen. Erfolg basiert nicht nur auf Software, sondern auf einem Closed Loop mit Consumer-Daten.

Ihre Prioritäten liegen also darauf, mit europäischen OEMs und deren Produkten für den chinesischen Markt zusammenzuarbeiten?

Aus der Idee einer engeren Zusammenarbeit mit den hier ansässigen OEMs können in einigen Jahren auch Produkte resultieren, die sich besonders für die spezifischen Ansprüche in Europa eignen. Dies ist ein komplexer und großer Schritt für uns, denn es geht ja um das sensible Thema der Datenerhebung. Aber um es zu weiderholen: Wir priorisieren momentan den chinesischen Markt, um dort mehr Volumen zu erzielen und mehr Kunden zu gewinnen. Und hier helfen wir gerade auch den deutschen Herstellern, die zu den besten der Welt zählen, einen lokalen Partner in China zu finden, der ihnen auf diesem Markt hilft, autonome Fahrfunktionen umzusetzen.

Im Umkehrschluss haben Sie damit auch hier in Europa einen Hebel …

Dies wird nicht ohne lokale Daten funktionieren. Im Sinne einer wirklich gut verstandenen Globalisierung des Marktes ist es aus unserer Sicht wichtig, sich zunächst auf den heimischen, chinesischen Markt zu konzentrieren und im Anschluss dann eine Anpassung an die europäischen Verbraucher vorzunehmen. Umgekehrt wird es auch so sein, dass zahlreiche chinesische OEMs wie GWM, Geely und BYD sukzessive in den europäischen und deutschen Markt wie auch in andere Regionen der Welt eintreten. Dabei ist ein Partner mit unserer Expertise wichtig.

Zur Person

Gu Weihao, CEO von Haomo.AI
(Bild: facesbyfrank)

Gu Weihao kam im Februar 2021 als Mitbegründer und CEO zu Haomo.AI und überwacht den Geschäftsbetrieb des Unternehmens. Er leitet das Team um MANA, Chinas erstes Datenintelligenzsystem für autonomes Fahren. Vor Haomo arbeitete Gu von 2003 an 16 Jahre bei Baidu, wo er verschiedene Führungspositionen innehatte, darunter die des General Managers des Intelligence Vehicle Business und General Manager des L3 Business. Er leitete dort auch ein Team zur Einführung der ersten Generation von Karten für autonome Fahrzeuge, an der ersten kostengünstigen Fahrassistenzlösung für Autobahnen sowie der ersten erschwinglichen automatischen Parklösung.

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