Der Drive Pilot von Mercedes-Benz visualisiert im Cockpit.

Der Verkaufsfreigabe der neuen Version des Drive Pilot im Frühjahr 2025 in Deutschland steht nichts mehr im Wege. (Bild: Mercedes-Benz)

Mercedes-Benz untermauert mit dem Drive Pilot seine Vorreiterrolle beim autonomen Fahren. Bereits seit Mai 2022 können die S-Klasse sowie der vollelektrische EQS mit dem Assistenzsystem auf SAE-Level 3 ausgestattet werden. Dafür hatten die Stuttgarter die nötige Systemgenehmigung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) auf Basis der technischen Zulassungsvorschrift UN-R157 erhalten. Nun hat das System die nächste Entwicklungsstufe erreicht und wird ab Frühjahr 2025 in Deutschland für Geschwindigkeiten bis 95 km/h freigegeben. Das kündigte Entwickler Matthias Kaiser vorab bereits im Interview mit automotiveIT an.Künftig kann das System in Deutschland auch bei normal fließendem Verkehr auf der rechten Autobahnspur unter bestimmten Bedingungen hinter einem vorausfahrenden Fahrzeug eingesetzt werden. Die vorher bereits verfügbare Option, das System bei hohem Verkehrsaufkommen und in Stausituationen auf geeigneten Autobahnabschnitten zu nutzen, bleibt erhalten. Bereits gebaute Fahrzeuge mit Drive Pilot bekommen das Update kostenlos – entweder per OTA-Update oder in der Werkstatt. Für die Softwareaktualisierung bedarf es keiner Änderung an Bauteilen des Fahrzeugs, betont Mercedes.

Es erfüllt mich mit großem Stolz, dass das weltweit schnellste System für hochautomatisiertes Fahren von Mercedes‑Benz kommt. Ich bin außerdem zuversichtlich, dass wir mit unserem auf Sicherheit gemünzten Ansatz den richtigen Weg eingeschlagen haben, um auch in naher Zukunft weitere Meilensteine beim automatisierten Fahren feiern zu können“, freut sich Markus Schäfer, Entwicklungsvorstand und Chief Technology Officer. Der Drive Pilot bis 60 km/h ist für EQS sowie S-Klasse mittlerweile auch in den US-Bundesstaaten Kalifornien und Nevada bestellbar, seit Ende 2023 haben die Stuttgarter auch eine Testlizenz für das Level-3-System in Peking.

Was bedeutet SAE-Level 3?

Level 3 des autonomen Fahrens entspricht einer bedingten Automatisierung. Der Fahrer kann seine Aufmerksamkeit vom Straßenverkehr abwenden, muss allerdings übernahmebereit bleiben. So können mit dem Stauassistenten auf der Autobahn etwa das Smartphone bedient oder Videos über das Infotainment angesehen werden. Schlafen ist hingegen nicht erlaubt, da eine geforderte Übernahme innerhalb von Sekunden erfolgen muss.

Außenbeleuchtung im EQS
Gut erkennbare türkise Lichter sollen die Akzeptanz und die Sicherheit erhöhen, da ein automatisierter Fahrmodus damit auch von außen klar erkennbar ist. (Bild: Mercedes-Benz)

Wie funktioniert der Drive Pilot?

Der ursprüngliche Drive Pilot übernimmt bei hohem Verkehrsaufkommen oder Stausituationen die gesamte Fahrtätigkeit auf der Autobahn, solang 60 km/h bzw. 40 mp/h nicht überschritten werden. Nun ist es in Deutschland auch mit 95 km/h im normalen Verkehrsfluss hinter einem vorausfahrenden Fahrzeug auf der rechten Autobahnspur möglich. In der Bundesrepublik sind insgesamt rund 13.200 Kilometer an Strecke freigegeben. In Nevada ist bislang von „passenden Freeway-Abschnitten“ die Rede. Der Fahrer kann sich Nebentätigkeiten widmen, nachdem er den Drive Pilot aktiviert hat. Dennoch muss jederzeit übernahmebereit bleiben. Schließlich funktioniert das System nicht in Tunneln und Baustellenabschnitten, bei herannahenden Rettungsfahrzeugen sowie bei stark regnerischem Wetter.

Zur besseren Erkennbarkeit haben die Stuttgarter Ende 2023 eine Ausnahmegenehmigung für spezielle Markierungslichter für automatisiertes Fahren in den US-Bundesstaaten Kalifornien und Nevada erhalten. Die Ausnahmegenehmigung für Entwicklungsfahrzeuge in Kalifornien ist zunächst auf zwei Jahre befristet. In Nevada ist hingegen der Einsatz in Serienfahrzeugen ab Modelljahr 2026 gestattet und unbefristet gültig, bis die Gesetzeslage den regulären Betrieb zulässt.

Wie viele Sensoren braucht der Drive Pilot?

Auch bei der aktualisierten Version des Drive Pilot ist das System redundant aufgebaut. Wichtige Funktionen wie Elektrik, Lenkung und Bremsen sind somit doppelt vorhanden. Falls notwendig, ist das System immer im Stande, die Fahraufgabe an die Person hinter dem Lenkrad zurückzugeben. Sollte diese nicht reagieren, führt der Drive Pilot einen sicheren und für den nachfolgenden Verkehr kontrollierbaren Nothalt durch, betont der OEM. Zudem kommen über 35 Sensoren wie Kameras, Radare, Ultraschallsensoren und Lidar zum Einsatz.

So baut Mercedes-Benz für den Betrieb auf SAE-Level 3 allen voran auf einen Lidar-Sensor von Valeo, der in der S-Klasse gar seine Premiere feierte. Der sogenannte Scala 2 soll bei allen Lichtverhältnissen funktionieren, mögliche Verfälschungen – etwa durch Regentropfen – mittels Software eliminieren und eigenständig das Reinigungssystem auslösen, wenn das Sichtfeld durch Eis oder Staub blockiert ist. Zusätzlich werden Mikrofone, ein Nässesensor im Radkasten sowie eine weitere Kamera in der Heckscheibe integriert. Darüber hinaus verfügen S-Klasse und EQS mit Drive Pilot über redundante Lenk- und Bremssysteme sowie ein redundantes Bordnetz, um auch bei Ausfall eines dieser Systeme manövrierfähig zu bleiben und eine sichere Übergabe an den Fahrer zu gewährleisten.

Um den Fahrzeugstandort im Zentimeterbereich zu bestimmen, greift Mercedes auf ein hochpräzises Positionierungssystem zurück, das über gängige GPS-Systeme hinausreicht. In Verbund mit den Sensoren liefert es die Daten für die digitale HD-Karte im Backend, die durch die Flotte stetig abgeglichen und lokal aktualisiert wird. So entsteht ein dreidimensionales Abbild der Umgebung mit allerlei Informationen zum Straßenzustand, Verkehrszeichen oder besonderen Verkehrsereignissen.

Wie reagiert der Drive Pilot im Notfall?

Sollte es während der Nutzung des Drive Pilot zu einem Systemausfall oder einem medizinischen Notfall beim Fahrer kommen, hat Mercedes ebenfalls vorgesorgt. Die hochautomatisierten Fahrzeuge sind mit redundanten Lenk- und Bremssystemen sowie einem zusätzlichen Bordnetz ausgestattet. Sie sollen die Manövrierfähigkeit zu jeder Zeit gewährleisten. Kann indes der Fahrer nicht seiner Pflicht zur Übernahme des Fahrzeugs nachkommen, leitet das System nach zehn Sekunden zeitnah einen Nothalt ein und aktiviert die Warnblinkanlage.

Wie weit ist Mercedes beim autonomen Parken?

Doch nicht nur das Fahren, auch das Parken wird zunehmend autonom. Analog zur Evolution von Intelligent Drive zum Drive Pilot erhielt der Memory-Park-Assistent, der das Einlernen für einen spezifischen Stellplatz ermöglicht, ein visionäres Pendant. Demnach sind die S- und E-Klasse, der EQS und EQS SUV, der EQE und EQE SUV sowie das T-Modell mit dem Intelligent Park Pilot für fahrerloses Parken gerüstet.

Beim Automated Valet Parking (AVP) auf SAE-Level 4 erfolgt das Ein- und Ausparken vollautomatisiert und fahrerlos. In Parkhäusern mit der notwendigen Infrastruktur wird das Auto dafür auf einer vordefinierten Abstellfläche verlassen und der Parkvorgang über das Smartphone initiiert. Anschließend fährt es eigenständig zu einem freien Parkplatz und kehrt auf Wunsch zur Pickup-Area zurück. Seit Dezember 2022 ist dies am Stuttgarter Flughafen (P6) im Serienbetrieb möglich – erstmals weltweit. Das Ergbnis einer jahrelangen Kooperation des OEMs mit Bosch.

Diese weiteren Systeme bietet Mercedes an

Aktuell zählen Luminar und Nvidia zu den prominentesten, verbleibenden Partnern beim autonomen Fahren. Die Entwicklungskooperation mit BMW wurde bereits im Sommer 2020 auf Eis gelegt. Anstatt der großen Verbrüderung kehrten die deutschen Premiumhersteller zum Status Quo zurück.

Seither setzte Mercedes an den richtigen Stellen auf eigene Kompetenzen und fokussierte sich auf autonome Fahrfunktionen für Privatfahrzeuge – im Gegensatz zu Volkswagen oder Konkurrenten aus den USA und Fernost. Obwohl die Stuttgarter mit dem Drive Pilot die Führungsposition im Wettlauf um höhere SAE-Level innehaben, den alltäglicheren Nutzen schaffen derzeit Systeme auf Level 2+. Doch auch hier gab es erfreuliche Neuigkeiten. Der aktive Abstandsassistent Distronic für die C-, E- und S-Klasse sowie für alle EQ-Modelle ist bereits auf SAE-Level 2+ verfügbar. Im Juli 2023 erfolgte schließlich die Ankündigung für den europäischen Markt. Der automatische Spurwechsel (ALC) wurde ebenfalls ergänzt. Dieser überholt langsamere Fahrzeuge zwischen 80 und 140 km/h ohne Zutun des Fahrers. Notwendig seien lediglich autobahnähnliche Straßen mit Spurmarkierungen und baulich getrennte Richtungsfahrbahnen. Zudem hilft ALC bei beim Ansteuern von Ausfahrten sowie beim Wechseln von Autobahnen.

Seit September 2024 ist der ALC im Fahrassistenz-Paket Plus für 33 europäische Länder verfügbar. Insgesamt 15 Mercedes-Benz Typen der C-, E- und S-Klasse, GLC, CLE sowie EQE, EQS sowie EQS SUV und EQE SUV können das System erhalten – entweder ab Werk oder per Over-the-Air-Update.

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 19. April 2022 geschrieben und wird seitdem fortlaufend aktualisiert.

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