Ein Mann sitzt am Steuer eines BMW und lässt das autonome Fahren die Steuerung übernehmen, ohne dass er die Hände am Lenkrad hat.

Mit dem Serienlauf des BMW iNext im nächsten Jahr bringt der Premiumhersteller Level-3-Funktionen auf die Straße. (Bild: BMW)

Die Nachricht kam überraschend: Im Juni verkündeten BMW und Daimler das Aus ihrer Entwicklungskooperation beim autonomen Fahren. Erst im vergangenen Sommer war die großangelegte Zusammenarbeit der beiden süddeutschen Premiumhersteller besiegelt worden. Im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts sollten unter anderem Technologien für Fahrassistenzsysteme und hochautomatisiertes Fahren auf Autobahnen sowie autonome Parkfunktionen entstehen.

Die Kooperation sollte darüber hinaus auch offen für andere Player sein. So wurde gemutmaßt, dass sich Premiumkonkurrent Audi dem Duo anschließen könnte. Als Gründe für das jähe Ende nannten beide Unternehmen den aktuell zu hohen technologischen Aufwand und die schlechte wirtschaftliche Lage. Ein von BMW und Daimler gemeinsam entwickeltes selbstfahrendes Modell wird es vorerst also nicht geben.

BMW iNext wird zum Zukunftsbaukasten

Ist das nun der Sargnagel für automatisierte Fahrzeugtechnologie „made in Germany“? Mitnichten – lautet dazu die klare Antwort aus München. Mit dem Serienlauf des BMW iNext im nächsten Jahr bringt der Premiumhersteller Level-3-Funktionen auf die Straße. Gleichzeitig gilt das elektrifizierte SUV als Zukunftsbaukasten des Unternehmens und soll nur ein Etappenziel zur Level-4- oder gar Level-5-Autonomie sein. Damit diese Vision wahr werden kann, arbeiten bei BMW verschiedene Feature-Teams an neuen Formen der Mobilität.

In Sachen hochautomatisiertes Fahren konzentrieren sich aktuell drei Softwareteams auf Umfelderfassung/Sensorik, Planung und die Fahrfunktionen mit Anzeigen, Degradation und Gesamtausprägung. In vierwöchigen Sprints erarbeiten die Teams dazu neue Releases. „Alle acht Wochen gehen diese dann ans Unternehmen. Dementsprechend achten wir hierbei stets auf hohe Qualität, da die Software im Anschluss freigegeben und im Fahrbetrieb getestet wird“, sagt Tobias Rothmundt, Area Product Owner HighwayPilot und UrbanPilot bei BMW.

Mikroprozessoren statt Mikrocontrollern

Trotz des Fortschrittseifers der gesamten Entwicklungsmannschaft bleibt es nicht aus, dass Innovationen an der einen oder anderen Stelle auch mal ins Stocken geraten. An dieser Stelle greift Simon Fürst, Principal Expert Autonomous Driving Technologies bei der BMW Group, ins Geschehen ein. Fürst war selbst sieben Jahre lang direkt im Forschungsbereich des automatisierten Fahrens tätig und hat vielfältige Erfahrungen in den Themenfeldern funktionale Sicherheit und Plattformsoftware gesammelt.

Insbesondere bei technischen Detailfragen wird der Principal Expert zurate gezogen, um neue Lösungen zu suchen. Denn Fürst hat für verschiedene Anwendungsfälle des automatisierten Fahrens die Betriebssystemsoftware mitdefiniert. So besinnt sich BMW im Automotive-Umfeld auf eine ganz neue Technologie: Statt Mikrocontrollern kommen Mikroprozessoren zum Einsatz, wie man sie auch in handelsüblichen Laptops in ähnlicher Form findet. Um den Einsatz im Fahrzeugbereich zu ermöglichen, war hier jedoch eine neue Software vonnöten.

„Gleichzeitig sehen wir aber, dass auch weitverbreitete Betriebssysteme wie Linux äußerst stabil und flexibel sind sowie laufend weiterentwickelt werden. Daher haben wir ein Projekt aufgesetzt, in dem wir den Kernel von Linux derart qualifizieren können, dass er für sicherheitsrelevante Funktionen bei selbstfahrenden Fahrzeugen genutzt werden kann“, sagt Simon Fürst. Ein weiterer wichtiger Meilenstein ist neben der Software natürlich das Thema Standardisierung. Hier treibt das Team um Fürst die internationale Abstimmung von Themen rund um funktionale Sicherheit und Cybersecurity voran. „Nur gemeinsam können wir dafür sorgen, dass das automatisierte Fahren weltweit vom Kunden als sichere Technologie angesehen wird“, ist der Principal Expert überzeugt.

Fokus liegt auf selbstentwickelter Software

Die Probe aufs Exempel wird dafür der BMW iNext machen, der im nächsten Jahr vom Band rollt. Auch hier hatte Fürst für verschiedene Teams die Verantwortung. Mit einem skalierbaren Technologieansatz wurden für den iNext Algorithmen entwickelt, die auch für das urbane autonome Fahren auf der Vorentwicklungsebene genutzt werden können. „Schlussendlich erreichen wir unter der Haube dadurch einen recht ähnlichen Softwarebaukasten“, illustriert Fürst die weiteren Entwicklungsschritte.

Bei allen Applikationen, die Kundenfunktionen im Bereich Fahrerassistenz, neue Mobilität und automatisiertes Fahren darstellen, liegt der Fokus klar auf selbstentwickelter Software. So können die Programme über Generationen hinweg weiterentwickelt und an aktuelle Bedürfnisse immer wieder angepasst werden. „Wir sehen dieses Knowhow als marktdifferenzierendes Instrument. Softwarekompetenz ist die Kernkompetenz, die jeder zukunftsfähige OEM haben sollte“, betont Simon Fürst. Anders verhält es sich mit der Plattformsoftware, wo bereits etablierte Lösungen wie beispielsweise Linux am Markt sind.

In Sachen Zukunftsfähigkeit setzt man beim bayerischen Autobauer jedoch nicht nur auf Inhouse-Softwareexpertise, sondern auch stark auf agile Arbeitsmethoden. „Im Embedded-Bereich gehen wir natürlich anders mit agilen Methoden um als die klassische IT, da wir auf Randbedingungen wie Gesamtintegration und Produktlebenszyklen achten müssen. Dennoch sind diese Arbeitsmethoden grundsätzlich für uns geeignet. Auch unsere Partner arbeiten mittlerweile in diesen agilen Modellen“, berichtet der Principal Expert Simon Fürst.

Obwohl die Coronakrise nicht spurlos an BMW vorbeigegangen ist, hält man am Technologieversprechen des automatisierten Fahrens fest. Der Zeitplan hierzu soll auf alle Fälle eingehalten werden und wurde auch nochmal auf der letzten Hauptversammlung bestätigt, heißt es auf Seiten des Herstellers. Auch wenn die Autobranche in letzter Zeit eher andere Themen in den Fokus gerückt hat, ist die weltweite Diskussion und Forschung nach wie vor in vollem Gange – daran sind auch Tobias Rothmundt und Simon Fürst nicht ganz unschuldig.

Eine BMW-Illutration zu den Kameras und Sensoren eines autonomen Fahrzeugs.
Autonome Fahrzeuge stützen sich auf eine Vielzahl von Sensoren und Kameras. (Bild: BMW)

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