
Entscheidungshilfe für den Vertrieb: Mit einer Computersimulation lassen sich komplexe Antriebsszenarien durchspielen (automotiveIT 05/2011).
Labyrinth statt Königsweg: Hybrid, Elektrofahrzeug oder Brennstoffzelle? Im Moment weiß noch niemand, wie groß der Marktanteil einer bestimmten Antriebstechnik in 20 oder 30 Jahren sein wird. Die Kristallkugeln der Branche sind trüb, ein Zustand, den auch Stephan Schmid nicht ändern kann. Schmid ist Leiter des Forschungsfeldes Innovative Fahrzeugsysteme und Technikbewertung am Institut für Fahrzeugkonzepte des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart. Dort ist in den vergangenen Jahren ein Simulationsmodell entstanden, das in seiner Dynamik und Vielschichtigkeit derzeit wohl nur wenig Konkurrenz hat. „Wir können mit ihm durchspielen, wie verschiedene Technologieszenarien mit den konkreten politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zusammenhängen“, sagt Schmid. „Der Wert der Simulation liegt aber nicht in absoluten Aussagen, sondern im Vergleich. Wir können damit sich gegenseitig überlagernde Effekte beleuchten und prüfen, wo die kritischen Momente in bestimmten Entwicklungsszenarien liegen.“ Zum Beispiel hat ein Logistikdienstleister das „Vector 21“ getaufte Simulationsmodell genutzt, um die Frage zu beleuchten, wie kommende Antriebstechnologien seine Fahrzeugflotte beeinflussen könnten. Er lieferte dazu Daten über die charakteristischen Fahrzyklen seiner Flotte und die DLR-Wissenschaftler passten ihre Simulation an diese Fragestellung an. Letztlich wollte der Dienstleister klären, wie sich unterschiedlich ausgestattete Hybridfahrzeuge auf die Fahrzyklen und die Wirtschaftlichkeit der Flotte auswirken. Vector 21 kann bei dieser Fragestellung sogar die Preisentwicklung für Lithium-Ionen- Akkus mitberücksichtigen, die sich aus der weiteren Entwicklung des stückzahlstarken Pkw-Marktes ergibt.
Für das Bundeswirtschaftsministeriumhaben Schmid und seine Kollegen bereits analysiert, wie sich der Strombedarf des Fahrzeugmarktes bis 2050 entwickeln wird, wenn die Batterie technologisch sehr schnell vorankommt. Letztlich ging es dabei um die Frage, wann ein Vehicle-to-Grid-Konzept unter Berücksichtigung der Marktanteile verschiedener Antriebstechniken Sinn macht. Für einen Kunden aus der Automobilindustrie wiederum untersuchten die DLR-Forscher die Frage, wie sich verschiedene politische Maßnahmen auf die Nachfrage nach bestimmten Antriebstechniken auswirken. „Gemeint sind Kaufanreize, Steuervergünstigungen oder CO2-Grenzwerte“, so Schmid. Dabei ging es nicht nur um die Höhe der Subventionen, sondern auch um deren Dauer. Nicht zuletzt beeinflussen aber auch die gewünschten Margen der Fahrzeughersteller das Ergebnis, so dass „man untersuchen kann, ob und wann sich eine vorübergehend geringere Marge positiv auf die Marktdurchdringung einer bestimmten Antriebstechnik auswirkt“, sagt Schmid. Vector 21 nutzt eine umfangreiche Datenbank, die unter anderem Angaben zu Energieverbrauch, Herstellungskosten und Verkaufspreisen verschiedener Antriebstechniken enthält. Die Bandbreite reicht dabei vom Verbrennungsmotor über Range Extender, Hybrid und Batterie bis zur Brennstoffzelle. Auch bei den Käufern unterscheidet die Simulation fünf verschiedene Kundengruppen, vom „Early Adopter“ bis zum „Nachzügler“. Als weitere Faktoren fließen in die Simulation mit ein: politische Entscheidungen, die Entwicklung der Energie- und Kraftstoffpreise sowie die Verfügbarkeit der Infrastruktur. Das Modell simuliert nur den deutschen Neuwagenmarkt, wobei ein „Weltmodell“ hinterlegt ist, um internationale Aspekte berücksichtigen zu können, die wiederum das deutsche Marktszenario beeinflussen. Die Stärke von Vector 21 ist neben dieser umfangreichen Datengrundlage vor allem die dynamische Simulation: „Viele Parameter beeinflussen sich gegenseitig, so dass es von der Vorgeschichte abhängt, wie sich die simulierten Szenarien entwickeln“, erklärt Schmid. „Wegen dieser gegenseitigen Abhängigkeiten führt manchmal bereits ein geänderter Parameter zu deutlich anderen Szenarien.“
Autor: Michael Vogel
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