Reflexionsarmer Raum

Soundscaping the Future: Akustikexperten aus der Forschung, Autoindustrie und Flugzeugbranche diskutierten in Ilmenau über die Innenraumakustik von morgen – das neue Qualitätsmerkmal von Automobilen. (Bild: Fraunhofer IDMT)

„Audio spielt künftig eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung des Innenraums“, betonte Christoph Sladeczek, Gruppenleiter für Virtuelle Akustik am Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT) in Ilmenau gegenüber automotiveIT. Eine wichtige Rolle spielt das Thüringer Institut, das mit seinen 3D-Audio-Technologien das Fahrerlebnis revolutionieren will.

Was das live in Farbe und Sound bedeutet, erfuhren rund 40 Akustikexperten Anfang Dezember in einer Tiefgarage des Fraunhofer IDMT. Dort stand auf dem vom automotive thüringen e.V. mitorganisierten Acoustic Day ein aktuelles Modell der neuen E-Klasse, an dem Florian Richter, Sound Developer bei der Mercedes-Benz in Stuttgart, das Zusammenspiel von Sound, Körperschall und Licht vorführte.

User Experience: Klang trifft auf Interaktion

Die akustische Innenraumgestaltung versteht der Hersteller als zentralen Bestandteil des MBUX-Systems, das den Klang nicht nur hörbar, sondern auch spürbar und visuell erfahrbar macht. So entstand in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IDMT die aktive Ambientebeleuchtung, bei der LED-Lichtleisten synchron im Takt Musik in Lichtstimmung verwandelt.

Das MBUX-System bietet eine intuitive Benutzerführung durch Sprachsteuerung, Touchscreen und Gesten. Mithilfe von künstlicher Intelligenz lernt es die Gewohnheiten der Nutzer und schlägt personalisierte Routinen vor, etwa die Anpassung der Innenraumtemperatur bei morgendlicher Kälte. Zudem erhöhen UX-Signale die Sicherheit. Ein Beispiel ist die Ausstiegswarnfunktion, die mit optischen und akustischen Signalen vor herannahenden Fahrradfahrern warnt. Richter: „Unser Ziel ist es, Fahrzeuge zu intelligenten Begleitern zu machen, die Komfort, Sicherheit und Individualität vereinen.“

Der ideale UX-Sound ist angenehm und intuitiv

UX-Sounds, die intuitiv verständlich und emotional ansprechend sind, entwickelt Alexander von Hoffmann von der Technischen Hochschule Nürnberg. Der ideale Sound ist für ihn ein Ton, den der Nutzer sofort ohne Handbuch als Warnsignal erkennt. Dazu zählt er synthetische Motorgeräusche, die Fußgänger vor einem herannahenden Elektrofahrzeug warnen. „Es geht jedoch nicht nur darum, dass solche Klänge nur klar erkennbar sind, sondern auch angenehm wahrgenommen werden, um die Interaktion mit dem Fahrzeug intuitiv und sicher zu machen“, betont von Hoffmann.

Selbst ein angenehmer, intuitiv verständlicher UX-Klang wirkt nur dann effektiv, wenn der Hörende ihn im Raum verortet. Das gelingt durch objektbasiertes Audio (OBA) und die 3D-Audiotechnologie SpatialSound Wave des Fraunhofer IDMT, mit denen sich Audioinhalte in Echtzeit an die Innenraumarchitektur und die Position der Insassen anpassen lassen. Warnsignale können so räumlich exakt platziert werden, etwa in der Richtung, in die der Fahrer abbiegen soll. „OBA schafft eine intuitive 360-Grad-Wahrnehmung, die Komfort und Sicherheit steigert“, sagt Christoph Sladeczek.

E-Klasse Innenraum
Tausendsassa im Innenraum: Das MBUX in der Mercedes-Benz E-Klasse erkennt Nutzergewohnheiten mit KI-Hilfe, personalisiert Routinen und soll mit Funktionen wie der Ausstiegswarnung die Sicherheit erhöhen. (Bild: Fraunhofer IDMT)

Entwickeln nach dem Lego-Prinzip

Während Technologien wie objektbasiertes Audio und 3D-Audiolösungen des Fraunhofer IDMT neue Maßstäbe für intuitive Klangerlebnisse setzen, richtet die Novicos GmbH aus Hamburg den Blick auf den gesamten Entwicklungsprozess akustischer Systeme. „So kann man eigentlich wie im Lego-Baukasten die Baugruppen zusammenstecken, modulare Subsysteme erstellen und sich dann das akustische Verhalten anschauen, wenn ich alles miteinander kombiniere“, erklärt Tobias Clauß, Fachmann für Business Development bei Novicos.  

Dieses Virtual Prototype Assembly ermöglicht es, akustische Systeme effizienter und kostengünstiger zu entwickeln, weil es Baugruppen virtuell simuliert und analysiert. Durch diesen methodischen Baukasten lassen sich Geräuschquellen frühzeitig identifizieren und Materialanpassungen vornehmen, ohne teure physische Prototypen bauen zu müssen. Ein Beispiel: Beim Einsatz eines neuen Leichtbaumaterials konnten die Hanseaten simulativ nachweisen, dass die geplante Schalldämmung nicht ausreicht, und rechtzeitig Anpassungen vorschlagen. Dieser innovative Ansatz spart nicht nur Zeit und Kosten, sondern hilft auch, optimale akustische Lösungen schon in frühen Entwicklungsphasen zu finden.

Chinesische Design-Inszenierungen statt „Shy Tech“

Wie die Automobilsten den Sound sichtbar machen, erläuterte Jörg Friedrich, Geschäftsführer der Car Men GmbH aus Glashütten (Taunus): „Die Chinesen befinden sich gerade in einer Art Pubertät, wenn es um Design geht, und entwickeln ihren eigenen Geschmack, der jedoch noch stark von den ‚Eltern‘, also europäischen Marken wie BMW und Mercedes, geprägt ist.“ Der Einfluss stammt von den Chefdesignern, die China samt Teams in Europa abgeworben hat.

In Europa dominiert beim Design für den Innenraum aktuell „Shy Tech“: Das Gros der Hersteller integriert dezent technische Elemente wie Lautsprecher, die sich unsichtbar verstecken. Ganz anders agieren etwa chinesische Auto-Newcomer wie Xiaomi und Huawei. Sie setzen auf auffällige Inszenierungen, bei denen Lautsprecher mit markanten Metallgittern oder Lichtfeatures nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar als Statussymbole beeindrucken.

Was steckt hinter dem Projekt InSuM?

Ihren ersten Acoustic Day führte der automotive thüringen e. V., Erfurt im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Projekts InSuM durch. Die fünf Buchstaben stehen für „Interior-Hub for Sustainable Mobility“, einem von elf Transformations-Hubs für die Automobilindustrie. Ziel von InSuM ist es, die Wertschöpfung im Bereich Fahrzeuginnenraum am Standort Deutschland zu fördern und nachhaltige Mobilitätslösungen zu entwickeln. Mehr dazu hier.

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