Ein Bildschirm mit einem Laptop in einem Raum von BMW.

Quantencomputer können einer Rechnung viele Kombinationen gleichzeitig durchspielen, die traditionelle Systeme nacheinander abarbeiten müssten. (Bild: BMW)

Der Volksmund sagt: Es gibt für jedes Problem eine Lösung. Leider ist es nicht immer so. Zumindest gibt es nicht für jedes Problem eine gute Lösung. Dass es künftig für manche Probleme bessere Lösungen gibt, ist das erklärte Ziel von Tom Hubregtsen und seinem Team. Er arbeitet seit drei Jahren bei der BMW Group und koordiniert die Quantum-Computing-Aktivitäten im Unternehmen. „BMW befasst sich seit Mitte 2017 mit dieser neuen Technologie“, sagt Hubregtsen. „Auch wenn Quantencomputer, vor allem universelle Quantencomputer, noch Jahre von einem Einsatz im Unternehmensalltag entfernt sind, so verläuft ihre Entwicklung vielversprechend.“ Daher will BMW schon früh Erfahrungen mit einer Schlüsseltechnologie sammeln, die über ein disruptives Potenzial verfügt.

Unterschiedliche Systemkonzepte

Quantencomputer rechnen nicht mit Nullen und Einsen. Vielmehr arbeiten sie mit Qubits, die gemäß der Quantenphysik jeden Wert zwischen null und eins annehmen können. Quantencomputer können dadurch bei einer Rechnung viele mögliche Kombinationen gleichzeitig durchspielen, die traditionelle Systeme weitgehend nacheinander abarbeiten müssten. Wer das richtige Problem mit dem richtigen Algorithmus auf einem Quantencomputer bearbeitet, hat also einen immensen Geschwindigkeitsvorteil – und kann dadurch Berechnungen durchführen, die auf klassischen Systemen schon aus zeitlichen Gründen unmöglich sind. Vor allem Optimierungsprobleme eignen sich dafür.

Inzwischen haben Hersteller verschiedene Systemkonzepte praktisch umgesetzt. Neben den universellen Quantencomputern, wie sie zum Beispiel von IBM oder Google entwickelt werden, gibt es auch Quantencomputer, die nur sehr spezielle Optimierungsprobleme lösen können. So hat etwa D-Wave einen Quantum Annealer, auch adiabatischer Quantencomputer genannt. Fujitsu wiederum bietet einen Digital Annealer an, bei dem das Schaltungsdesign von Quantenphänomenen inspiriert wurde. Zudem gibt es Quantensimulatoren als Cloudservice, aber auch auf klassischen Rechnern, was das Quantum Computing recht kostengünstig macht.

Kooperation mit Hochschulen

„Für einen High-Level-Entwickler ist die Einbindung eines Quantencomputers in einen Algorithmus ähnlich einfach wie die Einbindung eines Beschleunigers“, erklärt Hubregtsen. „Letztlich ist es ein Funktionsaufruf in einer Bibliothek.“ Aber auch eine sehr systemnahe Programmierung sei bei Quantencomputern möglich, das erinnere dann mehr an Assembler. „Entscheidend ist jedoch, dass man bei den Algorithmen ganz anders denken muss“ – eins plus eins gleich zwei gelte nicht bei Quantencomputern. „Wir sind damals mit Quantum Annealern und Digital Annealern gestartet, weil es die ersten verfügbaren Systeme waren, und arbeiten inzwischen vor allem mit universellen Quantencomputern und Quantensimulatoren“, sagt Hubregtsen.

Abhängig von der Fragestellung arbeitet das Quantum-Computing-Kernteam dazu mit den jeweils betroffenen Fachbereichen zusammen. Zudem kooperiert BMW bei der Quantencomputerforschung mit verschiedenen Hochschulen – maßgeblich der TU Delft, der TU München und der LMU München – sowie mit mehreren Unternehmen, die sich auf dieses neue Feld spezialisiert haben. „Auch über die Mitwirkung in Konsortien denken wir nach“, so Hubregtsen.

Auf der Suche nach Anwendungsfällen

Inzwischen hat das BMW-Team schon einige Erkenntnisse über mögliche Anwendungen von Quantum Computing gewinnen können, wie vier Beispiele illustrieren. „Unser ältestes Quantencomputerprojekt betraf das Versiegeln von Fugen an der Karosserie und im Unterbodenbereich“, sagt der Forscher. Rund 200 Fugen werden dabei hochautomatisiert von zwei bis vier Robotern pro Fahrzeug bearbeitet. Dafür die ideale Reihenfolge zu finden, das ist ein Optimierungsproblem. „Wir haben diese Aufgabe mit einem Quantum Annealer, einem Digital Annealer und einem klassischen Rechner gelöst“, sagt Hubregtsen.

„Wir konnten zeigen, dass sich der Zeitaufwand, um die richtige Reihenfolge zu ermitteln, deutlich verkürzen lässt. Allerdings war dieses Ergebnis auch mit einem klassischen Rechner in akzeptabler Zeit zu erreichen.“ Kein Quantenvorteil also. Eine weitere Fragestellung, bei der das BMW-Team einen Quanten Annealer mit einem klassischen Rechner verglich, war die Auslastung einer Fahrzeugflotte: Wie lassen sich Passagiere optimal auf die verfügbaren Fahrzeuge verteilen? Eine Frage, die zum Beispiel beim Ridehailing aufkommt. „Erneut brachte der Quantum Annealer dabei keinen Vorteil, aber wir untersuchen nun, ob ein universeller Quantencomputer die Aufgabe womöglich schneller lösen kann“, erläutert Tom Hubregtsen.

Exponentielle Beschleunigung der Berechnungen

Das dritte Projekt, mit dem das BMW-Team sich befasst, betrifft das Innenleben von Batterien für Elektrofahrzeuge. Die Prozesse und das Materialverhalten der Batteriechemie sind bislang nicht vollständig verstanden, weil sie sehr komplex sind. Für weitere Verbesserungen sind Simulationen wichtig, um vielversprechende Materialeigenschaften und Prozesse in der unübersichtlich großen Zahl möglicher Kombinationen zu identifizieren. „Wir haben Quantensimulatoren und einen universellen Quantencomputer dafür genutzt“, erläutert Hubregtsen. „Es ist uns gelungen, das Problem zu modellieren und anzupassen. So hat sich unser Verständnis verbessert, wie sich Moleküle simulieren lassen.“ Ein Zwischenergebnis. Diese Art von Forschung ist langfristig. „Aber wir sehen bei diesem Thema ein sehr großes Potenzial für Quantencomputer.“

Während die drei genannten Beispiele recht anwendungsnah sind, wird das BMW-Team beim vierten Projekt grundlegender: Es geht um Quantum Machine Learning, also die Ausnutzung des maschinellen Lernens bei Berechnungen auf Quantencomputern. „Die Vision ist, dass sich dadurch schneller Resultate oder genauere Ergebnisse erzielen lassen“, sagt Hubregtsen. Nicht weniger als eine exponentielle Beschleunigung der Berechnungen auf einem Quantencomputer ist die Verheißung. Allein dieses Beispiel – aber natürlich auch die anderen – zeige, warum BMW sich mit Quantum Computing befassen müsse: „Es ist eine Technologie im frühen Stadium, aber wir wollen vorbereitet sein, wenn sie sich durchsetzt.“ Ansonsten drohe ein Wettbewerbsnachteil.

Das Innenleben einer Fahrzeugbatterie.
Um das Innenleben von Fahrzeugbatterien besser zu verstehen, nutzt der OEM Quantensimulationen. (Bild: BMW)

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