Die Vorgaben des asiatischen Kunden lassen sich schnell zusammenfassen: Das EDAG-Team sollte ein skalierbares Fahrzeugkonzept entwickeln, das in fünf bis zehn Jahren auf den Markt kommen könnte, elektrisch angetrieben sein soll und Platz für bis zu sieben Personen bietet. Mehr Informationen gab es nicht, außer: es muss schnell gehen. In acht Wochen soll das Konzept stehen. „Mit klassischen Entwicklungsmethoden ist so etwas überhaupt nicht machbar, erst recht nicht in dieser kurzen Zeitspanne“, sagt Daniel Wald. Der junge Ingenieur ist beim Entwicklungsdienstleister EDAG Experte für agile Entwicklungsmethoden. „Viele Start-ups aus Asien oder den USA fragen aktuell Konzepte für elektrisch angetriebene Pkw oder Lkw nach. Mit unserem Ansatz, Methoden wie Scrum, Design Thinking oder Kanban einzusetzen, können wir in kurzer Zeit einen respektablen Projektstand entwickeln“, erklärt Wald. Damit habe man einen schnellen Ansatzpunkt, um mit dem Kunden zeitnah in Diskussion gehen zu können.
Im konkreten Fall arbeitete ein etwa 30-köpfiges Team nach dem Design-Thinking-Ansatz: E/E-Entwickler, Fahrwerk-Ingenieure, Designer und Antriebsexperten saßen zusammen und entwickelten das Konzept ausschließlich mit Zettel und Stift. Laptops und Handys waren tabu. Gearbeitet wurde in viertägigen Sprints, anschließend wurde dem Kunden der aktuelle Stand präsentiert und auf dessen Feedback im nächsten Sprint aufgebaut. „Das reicht, um das Produkt aus der Sicht des Nutzers zu verstehen, schnell einen einfachen „Prototypen“ zu skizzieren und zu beurteilen“, sagt der Experte. So setzt EDAG bei der Entwicklung auf radikales Userdenken, um rein ingenieursgetriebene Entwicklungen zu vermeiden.
Zwar wird Agil in der Konzept- und Vorentwicklung gewünscht und akzeptiert, doch gibt es beim Übergang in die Serienproduktion mitunter Vorbehalte: „Wir erleben immer wieder, dass es da Gegenwind gibt“, berichtet Daniel Wald und fährt fort: „da bedarf es oftmals viel Überzeugungsarbeit, weil manche Unternehmen einfach noch nicht so weit sind.“ Dabei sehe man beispielsweise an Tesla oder Wikispeed, dass man auch mit schnellen Prozessen in der Serie erfolgreich sein kann.
Der Entwicklungspartner IAV legt seinen Schwerpunkt auf die Serienentwicklung. „Die strengen Vorgaben hinsichtlich einer lückenlosen Nachweispflicht und Validierung sprechen bei uns in vielen Fällen noch für die Entwicklung mit klassischen Methoden“, erklärt Matthias Kratzsch, CTO/COO bei IAV. „Bei uns sind die Anforderungen in der Regel präzise definiert. Dies gilt im Schwerpunkt für den Powertrain-Bereich, in dem wir oft klassische Steuergeräte-Entwicklung durchführen“, so Kratzsch. Dabei sei man nicht langsamer als mit agilen Arbeitsweisen, eben weil die Anforderungen feststehen und es geringe Unwägbarkeiten gibt. Zudem sei oft vorgegeben, welche Anforderungen an Security und Safety einzuhalten sind: Die ISO/IEC 26262 und zukünftige Automotive Cyber Security Standards definieren Anforderungen an die Entwicklungsmethoden und die prozessuale Umsetzung.
Bei der Entwicklung von beispielsweise V2X- oder Software-as-a-Service-Anwendungen kommen bei IAV zielgerichtet agile Methoden zum Einsatz. Den Einwand, dass durch teilweise sehr kurze Sprints die Dokumentation vernachlässigt werden könnte, lässt Kratzsch nicht gelten: „Gerade mit agilen Methoden muss man hochgradig diszipliniert arbeiten und lückenlos dokumentieren.“
Das bestätigt Jörg Haffelder, Fachreferent Prozesse und Methoden bei Bosch Engineering: „Ein guter Ingenieur wird immer gewissenhaft arbeiten, egal mit welcher Entwicklungsmethode.“ Je nach Projekt kommen bei Bosch Engineering davon verschiedene zum Einsatz. Mehr als die Hälfte der Entwicklungen werden klassisch bearbeitet, in der Software-Entwicklung kommen natürlich auch agile Methoden zum Einsatz. „Das klassische Pflichten- und Lastenheft gibt es nach wie vor, jedoch können sich die Anforderungen gerade in der Softwareentwicklung noch ändern. Wenn der Kunde zu einem späteren Zeitpunkt im Entertainmentsystem noch eine weitere Funktion haben möchte, lässt sich das zeitnah umsetzen“, sagt Haffelder. Dass in Zukunft ausschließlich agil entwickelt wird, glaubt der Experte von Bosch Engineering nicht: „Es werden sich Mischformen etablieren, kein Modell wird dominieren. Aber es kommt immer auf das jeweilige Projekt an.“
In einer Sache sind sich die Ingenieure von Bosch Engineering, EDAG und IAV einig: Agile Entwicklungsmethoden sind nicht nur etwas für junge Kollegen, die gerade von der Uni kommen. Wichtig sei vor allem die Einstellung, für Neues offen zu sein.
Autor: Mathias Heerwagen