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Die Außenhaut des Konzeptfahrzeugs GINA Light Vision besteht aus flexiblem Gewebe und kann sich durch eine gelenkige Unterkonstruktion wandeln. (Bild: BMW)

Die sechs schwarzen Flächen sehen aus wie ein simpler Bastelbogen für einen Würfel. Skylar Tibbits legt das flunderflache Plastikteil ins Wasser, woraufhin etwas Sonderbares geschieht: Die Flächen bewegen sich, richten sich eine nach der anderen auf, knicken sich exakt an den Falzkanten und formen einen Würfel – ohne dass jemand Hand angelegt hätte.

Tibbits ist kein Zauberer, sondern Forscher am Bostoner Massachusetts Institute of Technology. Der Direktor des Self-Assembly Lab arbeitet daran, wie sich Dinge ohne Zutun von selbst zusammenfügen oder umformen. „Selbstformung verspricht Umwälzungen in der Materialwissenschaft, Robotik, Produktion, im Verkehrswesen oder der Luftfahrt. Praktisch in jedem Bereich ist sie anwendbar“, sagt Tibbits. Eben auch im Automobilbau. Fahrzeuge könnten sich zumindest teilweise nicht nur selbst herstellen, sie blieben ihr Leben lang flexibel, würden sich diversen Anforderungen anpassen und sich selbst reparieren.

Bei dieser kühn anmutenden Idee ist auch von 4D-Druck die Rede. Damit gemeint sind per 3D-Druck hergestellte Produkte, bei denen noch die vierte Dimension, die Zeit, hinzukommt, weil sich etwa Autos auch noch später verändern können. Dazu bedarf es sensorischer Auslöser wie der Kontakt mit Wasser, Wärme, Vibration oder Druck, aber auch von Magnetismus oder Elektrizität. Materialforscher arbeiten daher an elektroaktiven Kunststoffen oder piezoelektrischen Keramiken. Visionäre erwarten, dass durch solche smarten Materialien Autos in ferner Zukunft sogar gänzlich ihre Gestalt verändern können, etwa vom Familienkombi zum Sportwagen mutieren.

Eine Ahnung davon gab BMW bereits vor zehn Jahren mit dem Konzeptfahrzeug GINA Light Vision, dessen Außenhaut aus flexiblem Gewebe besteht und sich durch eine gelenkige Unterkonstruktion wandeln kann. Bei hohen Geschwindigkeiten wird GINA schnittiger, zum Ein- und Aussteigen wird dem Fahrer mehr Platz verschafft. Die Abkürzung GINA steht übrigens für „Geometrie und Funktionen in N-facher Ausprägung“. Ganz so n-fach geht es bei der Mercedes-Benz-Studie „Concept IAA“ nicht zu, dafür wechselt das viersitzige Design-Coupé ab 80 km/h automatisch vom „Design-Modus“ in den „Aerodynamik-Modus“ – es ist dann nicht mehr ganz so schick unterwegs, dafür mit weltbestem cw-Wert von 0,19. „So lösen wir den Zielkonflikt von Funktion und Ästhetik“, meint Daimler-Forschungschef Thomas Weber.

Am Max-Planck-Institut für Eisenforschung in Düsseldorf betreibt Christoph Kirchlechner indes im von der Volkswagenstiftung finanzierten StrengthSwitch Projekt Grundlagenforschung. Dazu schichtet er piezoelektrische Partikel in Strukturwerkstoffe wie etwa Aluminiumlegierungen. Effekt: So lässt sich die Festigkeit des Werkstoffes durch einen externen Stimulus verändern. „Die Anwendungen werden zuerst eher versteckt sein, etwa Transportsicherungen, welche beim ersten Betrieb automatisch brechen, und irgendwann einmal kommen Crashelemente im Auto“, erklärt Kirchlechner. Denkbar wäre, dass die Front bei einem drohenden Zusammenstoß mit einem Fußgänger weicher wird, bei einem Brückenpfeiler hingegen härter. Auch wenn das alles noch sehr weit entfernt klingt, kann sich Kirchlechner eine große Zukunft derartiger Materialien oder des 4D-Drucks im Automobilbau vorstellen: „Wer ahnte vor 100 Jahren, dass der photoelektrische Effekt eine Rolle bei der Energieversorgung einer Industrienation wie Deutschland spielen wird?“ Noch seien die neuen Materialien unbekannt, doch wenn sie erstmal funktionieren, würden sie sich rasch verbreiten.

Autor: Chris Löwer

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