Seit zehn Jahren diskutieren Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Interessenverbände nun schon den Ausstieg aus dem Verbrennermotor, tauschen immer und immer wieder dieselben Argumente aus und schieben die Verantwortung für Entscheidungen gekonnt hin und her. Erst seitdem die Europäische Union Ende letzten Jahres verbindlich beschlossen hat, dass der Kraftstoffverbrauch von Neuwagen bis 2030 um 37,5 Prozent sinken muss, haben offensichtlich alle Beteiligten begriffen: Die Schlinge zieht sich zu. Mit konventioneller Antriebstechnik allein ist das nicht machbar. Die Verzweiflung über die bisherige Untätigkeit wächst, die Töne werden schriller.
Der Kontrast zu den bunten Infoflyern aus dem Bundeswirtschaftsministerium könnte nicht größer sein. In Grußworten träumt Peter Altmaier davon, mit der Elektromobilität „die internationale Spitzenposition der deutschen Industrie zu stärken und der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Land zusätzlichen Aufwind zu verleihen“. Die neue automobile Wertschöpfungskette würde große Chancen bieten, Batteriezellfertigung selbstredend eingeschlossen. „Dabei gilt es, staatliche Rahmenbedingungen intelligent mit marktwirtschaftlichen Prozessen zu kombinieren und international zu denken“, schreibt Altmaier.
Genau daran aber hakt es. „Deutschland zögert und zaudert, fürchtet um seine Tradition, hadert mit der e-mobilen Zukunft – und lähmt mit dem Streit den Standort“, analysierte ein Autorenteam der Wirtschaftswoche absolut zutreffend. Angesichts der Tatsache, dass diese Leitindustrie acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, mehr als 800.000 Menschen beschäftigt und in vielen Kommunen der größte Gewerbesteuerzahler ist, ein unhaltbarer Zustand. Stephan Kühn, Sprecher für Verkehrspolitik der Grünen im Bundestag, nimmt denn auch kein Blatt vor den Mund: „Die Bundesregierung droht den Wandel hin zu emissionsfreier Mobilität zu verschlafen.“ In den Ministerien seien lediglich eine Handvoll Mitarbeiter für die erforderlichen Schlüsseltechnologien verantwortlich.
Das aber ist nur eine Seite der Medaille. Mit der Umstellung des Antriebs geht eine komplett andere Fertigungsweise einher, mit neuen Herausforderungen und Verwerfungen in der Produktion. Die großen deutschen OEMs haben begonnen, Bestandswerke komplett umzurüsten, weil sie dort künftig Elektroautos fertigen wollen. Sie müssen neue Expertise aufbauen und haben großen Bedarf an agilen Co-Produzenten und Zulieferern. Für die galt eine Lage nahe am Abnehmer bislang als Betriebsvorteil. Viele deutsche Produktionspartner sitzen im selben Bundesland wie der zu beliefernde Autohersteller, weshalb Süddeutschland wesentlich mehr Unternehmen dieser Branche verzeichnet als der Norden des Landes.
Ein Blick auf die bundesweite Verteilung der Betriebe bestätigt Rückschlüsse auf ortsgebundenen Wissensvorsprung: Bayern zählt 141 Unternehmen im Bereich Elektromobilität, Baden-Württemberg kommt auf 117 Firmen. An zweiter Stelle steht mit 134 Elektromobilunternehmen das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen. Genauso wie Berlin – mit 44 Firmen auf Platz fünf der Bundesländer-Rangfolge, – profitiert das Land vom neugewonnenen Unternehmergeist.
In einer Analyse hat der Lübecker Wirtschaftsinformationsdienst Databyte herausgefunden, dass es derzeit 630 wirtschaftlich aktive Unternehmen auf dem deutschen Markt gibt, die entweder „Automotive“ oder „Automobil“ in Verbindung mit dem Zusatz „Elektro“ oder direkt „Elektromobilität“ im Handelsregister angeben. Die Neuanmeldungen sind 2017 im Vergleich zum Vorjahr auf mehr als das Doppelte gestiegen – von 21 auf 46 Unternehmen pro Jahr. Mit 44 Neuanmeldungen lag 2018 etwa gleich auf.
„In Zukunft wird es noch mehr Aus- und Neugründungen im Bereich Elektromobilität geben, daran habe ich keinen Zweifel“, sagt Kurt Sigl, Präsident des Bundesverbands E-Mobilität. „Ich hoffe nur, dass sich auch Startups mehr als bislang für dieses Themenfeld begeistern.“ Wer freilich glaubt, damit sei der Wirtschaftsstandort Deutschland bereits gerettet, hat den Schuss nicht gehört.