Herr Eckstein, wo sehen Sie die zentralen Hürden auf dem Weg zu Level 5?
Technisch stellt mittlerweile weniger die Wahrnehmung, als vielmehr die Antizipation des zukünftigen Verhaltens anderer Verkehrsteilnehmer eine erste zentrale Herausforderung dar. Ein zweites Thema betrifft das Lernen aus Verkehrsereignissen: verhält sich beispielsweise ein fahrerloses Shuttle einer Flotte in einer anspruchsvollen Verkehrssituation nicht ideal, so sollten dieses Fahrzeug, aber auch andere fahrerlose Fahrzeuge daraus lernen. Wir erforschen deshalb das sogenannte „kollektive Verkehrsgedächtnis“ als einen Ansatz, Erfahrungswissen aus kritischen Verkehrssituationen zu teilen.
Inwieweit stellt die schleppende Einführung von 5G ein Hindernis dar?
Aus meiner Sicht ist das für die meisten der aktuell diskutierten Ausprägungen automatisierter Fahrfunktionen kein wirkliches Hindernis. Was die Sicherheit anbelangt, muss ein automatisiertes Fahrzeug auch ohne Kommunikation in einer anspruchsvollen Verkehrssituation richtig reagieren und einen Unfall hoffentlich vermeiden. Beispielsweise lassen sich eine Vorausschau über die Sensorreichweite des eigenen Fahrzeugs hinaus oder kooperatives Verhalten mit Hilfe heutiger Kommunikationstechnologien darstellen.
Wird der Straßenverkehr durch Automatisierung tatsächlich sicherer?
Grundsätzlich besteht die Chance, die Sicherheit im Straßenverkehr durch automatisierte Fahrzeuge signifikant zu steigern. Heute spielt in über 95 Prozent der Unfälle menschliches Verhalten eine entscheidende Rolle. Automatisierte Fahrzeuge werden sich höflich verhalten, immer in wenigen Hundert Millisekunden reagieren und maximal verzögern. Voraussetzung ist, dass die Systeme auch im Fehlerfall sicher funktionieren und nicht von außen gestört oder manipuliert werden können. Dennoch wird die Automatisierung des Fahrens nicht jeden Unfall vermeiden können – die Grenzen der Physik gelten weiterhin.
Wie wird sich die Automobilindustrie wandeln?
Die Automobilindustrie hat sich schon immer gewandelt und an neue Rahmenbedingungen angepasst, doch aktuell ist der Wandel schneller und tiefgreifender als in den vergangenen Jahrzehnten. Das automatisierte Fahren setzt die systematische Gestaltung von großen Software-Systemen voraus, die über viele Jahre gepflegt und erweitert werden müssen – und das wesentlich langfristiger und sicherer im Vergleich zu einem Betriebssystem für unsere Computer und Smartphones. Dazu gilt es auch, geeignete Elektronik-Architekturen und Datenverarbeitungsprozesse zu etablieren, die weit über das einzelne Kraftfahrzeug hinaus reichen. Die erforderlichen Kompetenzen und Investitionen sind so groß, dass neue Kooperationen und Netzwerke entstehen – sowohl zwischen Herstellern und Zulieferern aus der Automobilindustrie, als auch mit Unternehmen aus der IT-Industrie. Darüber hinaus entstehen weltweit mehr als 100 neue Fahrzeughersteller, darunter klassische Startups, aber auch Ausgründungen von global agierenden IT- und Elektronik-Unternehmen. Damit sind aus meiner Sicht mehr Chancen als Risiken verbunden, sofern man die Notwendigkeit der Kooperation erkennt, Synergien hebt und tragfähige Mobilitätslösungen und Geschäftsmodelle entwickelt.