
Technisch und finanziell möglich, aber juristisch noch problematisch: Im Projekt Visio.M entwickeln Forscher ein ferngesteuertes Auto. (Bild: Heddergott/TUM)
Wenn der bestellte Mietwagen scheinbar von selbst vor die Tür fährt, dann ist das Auto nicht unbedingt autonom unterwegs. Der Fahrer sitzt wahrscheinlich eher in der Mietwagenzentrale und lenkt den Wagen per Fernsteuerung. Bereits in fünf bis zehn Jahren könnten solche Services zur Verfügung stehen, meinen Wissenschaftler der TU München (TUM).
Die Forscher des Lehrstuhls für Fahrzeugtechnik der TUM haben in Ihrem Projekt gezeigt, dass das so genannte teleoperierte Fahren im öffentlichen Straßenverkehr sicher funktioniert. Dafür haben sie das Elektroauto Visio.M mit sechs Videokameras ausgerüstet und sämtliche Funktionen über ein zentrales Steuergerät schaltbar gemacht. Die Videobilder laufen in einem Computer zusammen und werden dann codiert über LTE zu der Fernsteuerung, dem Operatorarbeitsplatz, gesendet.
Dort sitzt der Fahrer wie in einem Fahrsimulator mit Lenkrad, Schalttafel und Pedalen vor drei riesigen Monitoren. Diese zeigen die Bilder von bis zu fünf nach vorn und zur Seite gerichteten Kameras, die in der Mitte der Windschutzscheibe vor dem Rückspiegel angebracht sind. Eine weitere Kamera zeigt den Blick nach hinten. Das Lenkrad ist ein Force-Feedback-Wheel, das über Stellmotoren Haltekräfte zurückmeldet und so ein sehr realistisches Fahrgefühl vermittelt.
Ebenso echt fühlt sich die Bremse an, die ganz wie im Auto auf den ausgeübten Druck am Pedal anspricht. Neben einer kompletten Rundumsicht wird dem Fahrer an seinem Operatorplatz auch der Ton aus dem Wageninneren über Dolby 5.1 räumlich korrekt dargestellt.
In vielen Großstädten ist das LTE-Netz inzwischen großräumig ausgebaut, so dass schon heute ausreichend Bandbreite für die Übertragung der Videobilder, des Tons und der Steuerdaten zur Verfügung steht. Außerdem schreitet der Ausbau der Mobilfunknetze weiter fort.
Die Kapazitäten nehmen zu und gleichzeitig steht mit dem nächsten Video-Codec H.265 eine noch effizientere Komprimierung der Bilder auf nur noch 50 Prozent der jetzigen Größe bevor. Notfalls wäre aber auch heute schon eine Übertragung über das viel langsamere UMTS-Netz möglich. Auch die Verzögerung liegt dabei immer noch weit unter einer halben Sekunde.
Sollte die Bandbreite aber tatsächlich einmal nicht ausreichen oder die Verbindung sogar ganz abreißen, wird das Fahrzeug automatisch bis zum Stillstand abgebremst.
Trotz aller technischen Machbarkeit müssen vor einem möglichen regulären Einsatz solcher Systeme noch juristische Hürden genommen werden. Dennoch sind die Forscher der TU München davon überzeugt, dass das teleoperierte Fahren schon innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre Realität werden könnte. Denn die Kosten sind überschaubar. Kamera und Elektronik für die Fernsteuerung kosten inzwischen nicht mehr als manch anderes Ausrüstungspaket. Und Anwendungsmöglichkeiten gibt es genug – vom Carsharing-Fahrzeug, dass vor der Haustür bereitgestellt wird über Parkservices in Innenstädten bis hin zur ferngelenkten Fahrt von Elektroautos zur nächsten Ladesäule.
Am Forschungsprojekt „Visio.M“ beteiligen sich, neben den Automobilkonzernen BMW AG (Konsortialführer) und Daimler AG, die Technische Universität München als wissenschaftlicher Partner, sowie Autoliv B. V. & Co. KG, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Continental, E.ON AG, die Finepower GmbH, Hyve AG, die IAV GmbH, InnoZ GmbH, Intermap Technologies GmbH, LION Smart GmbH, Amtek Tekfor Holding GmbH, Siemens AG, Texas Instruments Deutschland GmbH und TÜV SÜD AG. Das Projekt wird im Rahmen des Förderprogramms IKT 2020 und des Förderschwerpunkts „Schlüsseltechnologien für die Elektromobilität – STROM“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) über 2,5 Jahre gefördert und hat ein Gesamtvolumen von 10,8 Millionen Euro.
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