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32-33_drahtlos_05Um die Produktion zu digitalisieren, sind drahtlose Netzwerke unabdinglich. Viele Unternehmen haben dafür keinen Mut.

Wer Industrie 4.0 und das Internet of Things in der Produktion leben will, der kommt um die Vernetzung aller Dinge, seien es Werkzeuge, Maschinen, Transportsysteme oder die Schnittstelle zum Menschen (HMI), nicht herum. Dass eine drahtlose Vernetzung als Grundlage für eine digital steuerbare Produktion notwendig ist, scheint klar. Dennoch ist die Bereitschaft dazu gering, die Ängste um die Daten und vor Manipulation sind gewaltig. Zugleich suggerieren Hersteller wie Siemens oder ABB mit proprietären Drahtloskonzepten, dass „normales“ WLAN in der Produktion überhaupt nicht in die Tüte kommt. Auch Forschungsprojekte wie Prowilan, in das 4,6 Millionen Euro Fördermittel des Bundesforschungsministeriums fließen, HiFlecs oder TreuFunk schlagen in diese Kerbe. Die Argumente: Robustheit, sicherheitskritische Funktionen und komplexe Augmented-Reality-Anwendungen könnten im Standard-WLAN nicht gehändelt werden. Doch was ist dran an diesen Argumenten? Ist es wirklich nötig, neue Konzepte zu erdenken und zu schaffen?

Und werden die Dinge dadurch besser? Auch Axel Sikora, Leiter des Instituts für verlässliche Embedded Systems und Kommunikationselektronik an der Hochschule Offenburg, sah das Thema WLAN-Vernetzung in der Industrie erst einmal kritisch. „Fairerweise muss man jedoch sagen, dass aus der Praxis zunächst nur wenige Probleme damit gemeldet wurden“, so Sikora. Einschränkungen sieht der Experte jedoch zum Beispiel bei der Ansteuerung von Aktoren oder bei Notausschaltern. „Sobald es um harte Echtzeit geht, wird es problematisch. Bei der weichen Echtzeit, die wir aus der Prozessautomatisierung kennen, funktioniert Wireless LAN in der Regel ausreichend gut“, meint der Experte. Deshalb ist sich Sikora sicher, dass „abstraktere“ Anwendungen, die zum Beispiel in einem digitalen Abbild der Fabrik Prozesse steuern, mit WLAN machbar sind. Kritisch sieht der Experte die aktuell ganz unterschiedlichen Ansätze, ein „spezielles“ Industrie-WLAN zu entwickeln.

„Die jetzigen Anläufe, Drahtlosstandards in der Industrie zu schaffen, gleichen einer Neuauflage des ‚Feldbuskrieges‘. Man konnte eine Zeit lang hoffen, dass sich das Thema mit dem Aufkommen von Industrial Ethernet erledigt hat, doch auch dort gibt es bis heute eine größere Anzahl von Lösungen. Das ist auch nicht im Sinne der Automatisierungsanbieter, die dann wieder mehr als einen Quasi-Standard bedienen müssen“, konstatiert Sikora. Einige Automatisierer haben bereits erkannt, dass sie ihre Lösungen öffnen und mit den anderen Applikationen des Unternehmens vernetzen müssen. Fragt sich eben nur: wie?

„Ich glaube nicht daran, dass Projekte, die versuchen, eigene Standards für ein industrielles WLAN zu schaffen, Erfolg haben können. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich am Ende die günstigen Technologien aus dem Consumer-Bereich durchsetzen“, konstatiert Detlef Zühlke, Forschungsbereichsleiter für innovative Fabriksysteme am Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DFKI). Irgendeine Spezialtechnologie werde keinen dauerhaften Erfolg haben, sie könne höchstens zeitweise eine Lücke schließen. Die Anwender lernten zudem schnell, mit den Nachteilen einer günstigeren Technologie zu leben.

„5G wird auch in der Industrie kommen und in Kombination mit WLAN eine sehr hohe Sicherheit geben. Es ist also für Unternehmen besser, sich auf die Technologien zu verlassen, die in der Consumer-Welt einen hohen Reifegrad erreicht haben“, rät Zühlke. 5G ist der neue, auf LTE folgende Mobilfunkstandard. In den nächsten zwei Jahren soll es die ersten Prototypen geben, die Technologie bis 2020 massentauglich sein.

Aus Sicht von Axel Sikora gehören zu den Optionen auch der neue LTE/4G-Mobilfunkstandard, die alte Idee von DECT mit der neuen ULE-Erweiterung in einem geschützten  Frequenzbereich ebenso wie die Zuweisung von Frequenzen aus dem Whitespace, die mit dem Abschalten der analogen TV-Übertragung frei wurden.

Das Problem heutiger lokaler Funktechnologien wie WiFi, Bluetooth, ZigBee oder IEEE 802.15.4 für Sensornetze liegt darin, dass sie in einem für jedermann nutzbaren Frequenzband arbeiten und leicht gestört werden können, zudem koordinieren sich die Anwendungen nicht. Meist sind schon einige dieser Technologien in Unternehmen im Einsatz. Ein Prinzip der bisher erhältlichen proprietären Industrial Wireless LANs baut darauf auf, dass sich Hersteller nicht an die standardmäßig definierten Wartezeiten beim Kanalzugriff halten, sondern einen Kanal besetzen, bevor andere Anwendungen darauf zugreifen dürfen. „Das funktioniert in begrenzten Produktionsumgebungen ganz gut, solange es keinen noch aggressiveren Konkurrenten gibt. Weil sich solche Umgebungen nicht skalieren lassen, sind sie jedoch nicht zukunftstauglich“, meint Sikora.

Wer sich darauf einlässt, dass bestimmte sicherheitskritische Funktionen parallel zum Drahtloskonzept weiter kabelgebunden funktionieren, kann dennoch schon heute Lösungen finden. „Wenn ein WLAN in der Produktion hochsicher installiert werden soll, ist eine Funkraumplanung und -überwachung zwingend notwendig“, erklärt Detlef Zühlke. Dazu gehöre, potenzielle Störquellen durch entsprechende Überwachungssysteme jederzeit identifizieren zu können. Solche Ansätze seien allerdings nicht so billig zu haben wie eine herkömmliche WLAN-Installation. Der IT-Dienstleister Compass hat vor Kurzem genau dieses für die Unternehmen aufwendige Themenfeld für sich entdeckt.

Mit dem eWLAN (e steht für Enterprise) bietet der Dienstleister die Einrichtung und anschließend den Betrieb eines drahtlosen Netzwerks, das sich auch für die Produktion und Logistik eignet, als „managed Service“ an. „Die fundierte Planung, ausgerichtet an den Prozessen, ist für den späteren reibungslosen Ablauf essenziell wichtig. Eine definierte Bandbreitensteuerung garantiert den kritischen Prozessen eine stabile Verbindung“, so Sven Sulz, Projektmanager eWLAN bei der Compass-Gruppe, der ein solches WLAN als Voraussetzung für Industrie 4.0 sieht. Am Anfang steht eine Ausleuchtung des Umfelds unter anderem mittels Spektralanalyse.

So wird auch geprüft, ob Störquellen und Überlagerungen vorliegen, im Problemfall verändere man die Platzierung der Infrastruktur oder wähle andere Funkkanäle, so das Unternehmen. Die Überwachung soll dafür sorgen, dass der Einfluss von Störquellen zum Beispiel durch Rogue Access Points oder andere elektronische Geräte unterbunden wird. In vielen Produktionsumgebungen dürften die Herausforderungen sich überlagernder Netze also mit ein bisschen Aufwand lösbar sein. Bisher sei die Bereitschaft in der Industrie jedoch gering, sich in Risikobereichen auf Funk zu verlassen, meint Zühlke.

Die Achsen einer schnelllaufenden Maschine werden wohl auch künftig nicht drahtlos gesteuert, doch dafür sorgt ohnehin die jeweilige Automatisierungstechnik. Auch wenn per App in die Maschinensteuerung eingegriffen werden kann, gibt es für Notfälle trotzdem weiterhin das fest verdrahtete Control Panel an der Maschine. Zurzeit spricht nicht viel gegen eine Koexistenz von drahtlos und verdrahtet, ohnehin sind vor allem Maschinen noch mit dem Stromnetz verkabelt. Moderne Technologien wie mobile Roboter oder autonome Transportsysteme haben den Schutz des menschlichen Mitarbeiters bereits in ihrer DNA verankert. Für das, was an Risikoanwendungen bleibt, dürfte in wenigen Jahren 5G die Lücke schließen.

„Aussagen großer Telekommunikationsanbieter zufolge wird damit gerechnet, dass mit den 5G-Netzen die Preise für die Funkanbindung im Bereich der industriellen Anwendungen massiv fallen. Dann wird man Funktechnologien als wesentlich preiswertere Alternative auch in den sicherheitskritischen Bereichen einsetzen“, berichtet Detlef Zühlke. Der Breitbandausbau spielt deshalb auch für die Innovationskraft in der Produktion eine gewichtige Rolle. Einige Unternehmen haben sich schon jetzt auf den Weg gemacht. Viele Maschinen werden derzeit nachgerüstet, um ihre Daten auszulesen und auf eine abstraktere Metaebene zu heben.

Gerade den mittelständischen Industrieunternehmen rät Axel Sikora, eine „Middleware-Light-Strategie“ zu fahren, also die Daten aus der Produktion zu ziehen, aber die Schnittstellen flexibel und offen zu halten, da derzeit noch nicht klar sei, welche Lösung am Ende zukunftsfähig werde. Doch dass die Produktion der Zukunft mit festen Verkabelungen zwischen Maschinen gar nicht mehr denkbar ist, liegt auf der Hand. Schließlich wird es auch hier um Agilität gehen. Das Startup Fluid Logistics zum Beispiel arbeitet derzeit an einer Lösung, die alle Assets in der Produktion auf Basis von elektromagnetischen Feldern hin und her bewegt.

Autorin: Daniela Hoffmann

Illustration: Sabina Vogel

Dieser Artikel erschien erstmals in der automotiveIT 10/2016

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