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Um im harten globalen Wettbewerb mitzuhalten, schießen japanische Autohersteller und Zulieferer ihre vertikal integrierten Lieferketten in den Wind und öffnen sich für Konzepte von Industrie 4.0.

Japans Fertigungsindustrie ist das Herzstück der Wirtschaft. Dazu gehört immer noch die Elektronikbranche, die Autoindustrie sowie eine Vielzahl von Maschinenbauern und Komponentenherstellern. Schon bald nach den ersten Pressemitteilungen zu Industrie 4.0 fixierten die Japaner die deutschen Aktivitäten sehr genau. Sie hörten von der Anpassung an Kundenwünsche, der massenhaften Fabrikation von Einzelaufträgen und erkannten ein großes Problem: die eige-ne Konzentration auf Großserienherstellung und Begrenzung der Varianten. Mitte 2015 startete mit Unterstützung des Wirtschafts- und Technologieministeriums METI die Industrial Value Chain Initiative (IVI), erklärtermaßen ein Gegenstück zum deutschen Vorbild Industrie 4.0. Sehr schnell haben sich über 30 der größten Industriekonzerne Japans angeschlossen, ebenso sitzt das METI mit im Boot.

Organisator und Sprecher der Initiative ist Yasuyuki Nishioka, Professor für Ingenieurwesen an der Hosei-Universität in Tokio. Sein Marschplan lautet, Kommunikationsstandards zwischen Fabriken, Lagern und Zulieferern zu entwickeln. Genau dort beginnen die Schwierigkeiten. Traditionell tauschen nämlich Japans Großkonzerne Informationen im eigenen Firmenverbund – bekannt als Keiretsu – mit selbstgebauten Systemen aus. Zulieferer sind häufig als Tochterfirmen, über Beteiligungen oder durch Langzeitlaufverträge eingebunden. Vertikal integrierte Lieferketten prägen seit Langem die IT-Landschaft in japanischen Unternehmen: durch Eigenentwicklung gewachsen und streng abgeschirmt. Open Source oder Standardsoftware sind die Ausnahme. Daher stehen OEMs und Zulieferer beim Datenaustausch oft schnell vor technischen Herausforderungen.

der japanischen Industrie spitzen sich die Integrationsprobleme zu, beobachtet etwa die deutsche Auslandshandelskammer in Tokio. In der Autoindustrie gibt Nissan den Takt der Internationalisierung vor, im Maschinenbau expandiert Nidec seit Jahren durch Auslandszukäufe. Softbank hatte nach der Übernahme des Chipdesigners ARM letzten Sommer noch nicht genug: Ein 100 Milliarden Dollar schwerer Fonds für Startup-Investitionen kam noch vor Jahresende hinterher. Wo die Abstimmung von Fertigungs- und Prozessschritten über Ländergrenzen und Zeitzonen per Internet den Wettbewerb bestimmt, versprechen virtualisierte Architekturen, bei denen Applikation und Daten von einem Netzanbieter kommen, entscheidende Vorteile.

Doch Cloud-Lösungen kommen bei Japans Branchenriesen nur ganz mühsam voran – Sicherheitsbedenken sind oft unüberwindlich. Beobachter mutmaßen jetzt, dass Kooperationen mit europäischen und US-Firmen unvermeidlich sind, um im Wettlauf mitzuhalten. Im Autosektor hat erst CEO Carlos Ghosn bei Nissan den Einkauf bei Lieferanten hoffähig gemacht, die nicht zum eigenen Keiretsu zählen. „Toyota, Honda und Co. werden bald nachziehen”, glaubt Jochen Legewie, Managing Partner der Unternehmensberatung CNC. Einen wichtigen Meilenstein für die IVI-Partner hat Fujitsu gesetzt: Der größte japanische IT-Anbieter kooperiert mit Siemens bei der Maschinenvernetzung per Profinet, dem Internetprotokoll für die Industrie. Von SAP Japan übernimmt Fujitsu zwei Softwarepakete und bietet seinen Kunden jetzt die Lieferkettenlösung für die Fertigungsindustrie der Deutschen sowie ein Programm zur Datensammlung und -analyse von Produktionslinien an.

Außerdem hat sich Japans IoT Acceleration Consortium mit dem von General Electric und Intel angeführten Industrial Internet Consortium auf eine Technologiepartnerschaft geeinigt. METI-Beamte gaben ihr Okay dazu, dass Blaupausen und Zeitpläne zur Entwicklung der Industriestandards ausgetauscht werden. Nach und nach rücken weitere Branchenschwergewichte von der Kultur der vertikalen Integration ab. So haben Hitachi und Panasonic im vergangenen Jahr Entwicklungszentren im Silicon Valley eingerichtet. Selbst der traditionell auf Geheimhaltung bedachte Autobauer Honda kooperiert mit Google bei künfti- gen intelligenten Fahrassistenten.

Autor: Erich Bonnert

Fotos: Honda, Photocase/BeneA

Illustration: Sabina Vogel

 Dieser Artikel erschien erstmals in der automotiveIT 01/02 2017

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