Ein Fahrer testet den autonomen Drive Pilot in der neuen S-Klasse.

Mercedes-Benz bringt das autonome Fahren in seinen Flagship-Modellen auf die Straße. (Bild: Mercedes-Benz)

Mercedes-Benz untermauert mit dem Drive Pilot seine Vorreiterrolle beim autonomen Fahren. Seit Mai 2022 können die neue S-Klasse sowie der vollelektrische EQS mit dem Assistenzsystem auf SAE-Level 3 ausgestattet werden. Dafür hatten die Stuttgarter die nötige Systemgenehmigung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) auf Basis der technischen Zulassungsvorschrift UN-R157 erhalten. Der Drive Pilot ist für EQS sowie S-Klasse mittlerweile auch in den US-Bundesstaaten Kalifornien und Nevada bestellbar. „Als erster Hersteller geht bei uns hochautomatisiertes Fahren in Deutschland in Serie“, freute sich Markus Schäfer, Entwicklungsvorstand und Chief Technology Officer. „Mit diesem Meilenstein beweisen wir einmal mehr unsere Pionierleistung beim automatisierten Fahren und leiten zudem einen radikalen Paradigmenwechsel ein. Denn erstmals in 136 Jahren Automobilgeschichte übernimmt das Fahrzeug unter bestimmten Voraussetzungen die dynamische Fahraufgabe.“

Was bedeutet SAE-Level 3?

Level 3 des autonomen Fahrens entspricht einer bedingten Automatisierung. Der Fahrer kann seine Aufmerksamkeit vom Straßenverkehr abwenden, muss allerdings übernahmebereit bleiben. So können mit dem Stauassistenten auf der Autobahn etwa das Smartphone bedient oder Videos über das Infotainment angesehen werden. Schlafen ist hingegen nicht erlaubt, da eine geforderte Übernahme innerhalb von Sekunden erfolgen muss.

In welchen Ländern ist Drive Pilot verfügbar?

Der Marktstart in Deutschland markierte nur den ersten Meilenstein. Auf der Consumer Electronics Show 2023 in Las Vegas verkündete der Autobauer zudem die erfolgreiche Zertifizierung des Drive Pilot im US-Bundesstaat Nevada und seit Juni 2023 ist die Technologie auch in Kalifornien erlaubt. Im Rest der USA, weiteren europäischen Ländern und China ist die Einführung ebenfalls vorgesehen – sobald dort insbesondere die Abwendung von der Fahraufgabe rechtlich erlaubt ist.

Wie funktioniert der Drive Pilot?

Der Drive Pilot übernimmt bei hohem Verkehrsaufkommen oder Stausituationen die gesamte Fahrtätigkeit auf der Autobahn, solang 60 km/h bzw. 40 mp/h nicht überschritten werden. In Deutschland sind insgesamt rund 13.200 Kilometer an Strecke freigegeben. In Nevada ist bislang von „passenden Freeway-Abschnitten“ die Rede. Der Fahrer kann sich Nebentätigkeiten widmen, nachdem er den Drive Pilot aktiviert hat. Dennoch muss jederzeit übernahmebereit bleiben. Schließlich funktioniert das System nicht in Tunneln und Baustellenabschnitten, bei herannahenden Rettungsfahrzeugen sowie bei stark regnerischem Wetter.

Was ist die technische Grundlage des Drive Pilot?

Für den Drive Pilot wurden die Kameras sowie Radar- und Ultraschallsensoren des Fahrerassistenz-Pakets ergänzt. So baut Mercedes-Benz für den Betrieb auf SAE-Level 3 allen voran auf einen Lidar-Sensor von Valeo, der in der S-Klasse gar seine Premiere feierte. Der sogenannte Scala 2 soll bei allen Lichtverhältnissen funktionieren, mögliche Verfälschungen – etwa durch Regentropfen – mittels Software eliminieren und eigenständig das Reinigungssystem auslösen, wenn das Sichtfeld durch Eis oder Staub blockiert ist. Zusätzlich werden Mikrofone, ein Nässesensor im Radkasten sowie eine weitere Kamera in der Heckscheibe integriert.

Um den Fahrzeugstandort im Zentimeterbereich zu bestimmen, greift Mercedes auf ein hochpräzises Positionierungssystem zurück, das über gängige GPS-Systeme hinausreicht. In Verbund mit den Sensoren liefert es die Daten für die digitale HD-Karte im Backend, die durch die Flotte stetig abgeglichen und lokal aktualisiert wird. So entsteht ein dreidimensionales Abbild der Umgebung mit allerlei Informationen zum Straßenzustand, Verkehrszeichen oder besonderen Verkehrsereignissen.

Wie reagiert der Drive Pilot im Notfall?

Sollte es während der Nutzung des Drive Pilot zu einem Systemausfall oder einem medizinischen Notfall beim Fahrer kommen, hat Mercedes ebenfalls vorgesorgt. Die hochautomatisierten Fahrzeuge sind mit redundanten Lenk- und Bremssystemen sowie einem zusätzlichen Bordnetz ausgestattet. Sie sollen die Manövrierfähigkeit zu jeder Zeit gewährleisten. Kann indes der Fahrer nicht seiner Pflicht zur Übernahme des Fahrzeugs nachkommen, leitet das System nach zehn Sekunden zeitnah einen Nothalt ein und aktiviert die Warnblinkanlage.

Wie weit ist Mercedes beim autonomen Parken?

Doch nicht nur das Fahren, auch das Parken wird zunehmend autonom. Analog zur Evolution von Intelligent Drive zum Drive Pilot erhielt der Memory-Park-Assistent, der das Einlernen für einen spezifischen Stellplatz ermöglicht, ein visionäres Pendant. Demnach sind die S- und E-Klasse, der EQS und EQS SUV, der EQE und EQE SUV sowie das T-Modell mit dem Intelligent Park Pilot für fahrerloses Parken gerüstet.

Beim Automated Valet Parking (AVP) auf SAE-Level 4 erfolgt das Ein- und Ausparken vollautomatisiert und fahrerlos. In Parkhäusern mit der notwendigen Infrastruktur wird das Auto dafür auf einer vordefinierten Abstellfläche verlassen und der Parkvorgang über das Smartphone initiiert. Anschließend fährt es eigenständig zu einem freien Parkplatz und kehrt auf Wunsch zur Pickup-Area zurück. Seit Dezember 2022 ist dies am Stuttgarter Flughafen (P6) im Serienbetrieb möglich – erstmals weltweit. Das Ergbnis einer jahrelangen Kooperation des OEMs mit Bosch.

Hat Mercedes die Konkurrenz abgehängt?

Während die beiden Unternehmen das autonome Parken an den Start brachten, endete die Kooperation bei der Entwicklung von Robotaxis hingegen im Sommer 2021. Seither zählen Luminar und Nvidia zu den prominentesten, verbleibenden Partnern beim autonomen Fahren. Die Entwicklungskooperation mit BMW wurde ohnehin bereits im Sommer 2020 auf Eis gelegt. Anstatt der großen Verbrüderung kehrten die deutschen Premiumhersteller zum Status Quo zurück.

Seither setzte Mercedes an den richtigen Stellen auf eigene Kompetenzen und fokussierte sich auf autonome Fahrfunktionen für Privatfahrzeuge – im Gegensatz zu Volkswagen oder Konkurrenten aus den USA und Fernost. Obwohl die Stuttgarter mit dem Drive Pilot vorläufig die Führung im Wettlauf um höhere SAE-Level übernehmen, den alltäglicheren Nutzen schaffen derzeit Systeme auf Level 2+. Schließlich wird es nur eine Randnotiz sein, wer das autonome Fahren zuerst auf die Straße oder in die Parkhäuser brachte. Die Begehrlichkeit der Massen muss geweckt sowie alltagstauglich und länderübergreifend bedient werden. In diesem Sinne legte BMW im vergangenen Jahr mit einer Hands-Free-Funktion in der 7-Serie vor. Mercedes erwiderte im Juli 2023 den automatischen Spurwechsel (ALC), der in Kanada und den USA bereits verfügbar war und mit der neuen E-Klasse nun auf den europäischen Markt kommt.

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