Zwei Mitarbeiterinnen von Audi stehen in der Fahrzeugproduktion vor einem Bildschirm.

Mittlerweile fallen in allen Unternehmensbereichen Unmengen an Daten an. (Bild: Audi)

Process Mining zählt zu den jüngeren Analysevarianten, mit denen sich aus einem regellosen Haufen von Daten nützliche Informationen gewinnen lassen. Angesiedelt zwischen den IT-Disziplinen Data Mining und Business Process Management ermöglicht es das automatisierte Aufspüren von versteckten Ineffizienzen in den Prozessen und Abläufen eines Unternehmens. Process Mining erzeugt einen grafisch visualisierten Überblick über die zeitliche Abfolge von Prozessschritten.

Bei sehr komplexen Ketten, wie sie in Großunternehmen vorkommen, ist eine solche visuelle Darstellung ein durchaus hilfreicher Weg, bestehende Redundanzen und unnötige Verkomplizierungen betrieblicher Abläufe zu erkennen – und nötige strukturelle Gegenmaßnahmen einzuleiten. Manche Fachleute verdeutlichen den Nutzen dieses Ansatzes mit einem Vergleich: Process Mining gleicht einem Röntgenbild des Unternehmens, es befähigt Anwender, verborgene Strukturen und Dysfunktionalitäten zu erkennen, die unterhalb der Oberfläche schlummern.

Trend geht zum Echtzeitmonitoring

Process Mining ist ein Produktivitätsbooster, wenn es darum geht, betriebliche Zusammenhänge zu durchleuchten. Es liefert auf Knopfdruck „Analysen, die früher manuell in zahlreichen internen Meetings und Kundengesprächen oder in langwierigen Interviews durch externe Berater erhoben wurden“, sagt Christian Bartmann, Partner bei der Beratungsgesellschaft PwC Deutschland. Insofern könne man Process Mining als eine Weiterentwicklung von Verfahren wie Kaizen oder Six Sigma mit anderen Mitteln betrachten. Der Trend geht in Richtung Echtzeitmonitoring – mit jederzeit verfügbaren interaktiven Analysen, basierend auf Daten, die im Sekundentakt aktualisiert werden.

Je nach Einsatzfall gibt es beim Process Mining unterschiedliche Metriken, um den Erfolg zu messen, erläutert Lars Reinkemeyer, Fachbuchautor und Global Process Lead bei Siemens. „Im Vertriebsprozess messen wir Erfolg daran, um welches Maß an manuellem Aufwand wir die Prozesse reduzieren konnten. Im Einkauf können wir den Erfolg daran festmachen, welche Einsparungen wir durch Skontoverbesserungen erzielen. Aber generell geht es da nicht nur um einzelne Aussagen in Euro oder Dollar – es geht auch um Kundenzufriedenheit, Liefertreue oder erreichte Automatisierung. Für jede einzelne Einheit, die das nutzt, gibt es eine eigene Metrik zur Messung der Zielerreichung.“

Process Mining erobert Unternehmensbereiche

Die historischen Wurzeln des Process Mining liegen in Einkauf, Beschaffung, Rechnungswesen und Vertrieb, denn dort stehen die Eingangsdaten in einer vergleichsweise einheitlichen Form zur Verfügung. Nach und nach jedoch finden auch andere Unternehmensbereiche Gefallen an dieser Anwendungskategorie. „Je nach Branche, speziell in der Autoindustrie, findet man Process Mining heute zunehmend auch in Lagerhaltung und Supply Chain“, erläutert Bartmann. Aus der Sicht eines Lieferanten könne es beispielsweise darum gehen herauszufinden, wie schnell Ware den Kunden erreicht, an welchen Stellen es zu Verzögerungen kommt und wo eventuell ein Eingreifen angezeigt ist.

Neuerdings nutzen sogar Personalabteilungen die Informationen, die ihnen das Process Mining liefert. Auch in den Bereichen PLM und Fertigung verwenden die Verantwortlichen zunehmend dieses Instrument, wie Bartmann beobachtet. Für Anwender bedeutet dies eine Herausforderung, weil die Prozesse vielgestaltiger und individueller sind und weil die Daten aus vergleichsweise heterogenen Quellen stammen.

BMW befindet sich auf „Achterbahnfahrt“

In der Autoindustrie laufen bereits umfangreiche Project-Mining-Aktivitäten. BMW etwa hat vor drei Jahren ein Exzellenzzentrum gegründet, das sich um dieses Thema kümmert. Auf der jüngsten Hausmesse des Process-Mining-Marktführers Celonis legte BMWs Chefexperte Patrick Lechner dar, welche Erwartungen der bayerische Autobauer mit der Technik verbindet. „Process Mining kann den Unterschied zwischen Erfolg und Fehlschlag ausmachen“, sagte Lechner.

Praktisch überall im Konzern sieht seine Truppe lohnende Einsatzfelder: Von der Entwicklung bis zur Fertigung, von den Finanzen bis zur Beschaffung und von Human Resources bis zur Qualitätssicherung lasse sich das Werkzeug einsetzen. Zum Einstieg hatte BMW sich zwei kleinere Projekte vorgenommen – eines im Einkauf und eines in der Lackierabteilung. Von dort aus arbeitet sich das Team nun durch den Konzern – „eine Achterbahnfahrt“, wie Lechner anmerkt.

Angst um Vertraulichkeit der Daten

Der Gedanke ist naheliegend, dass die Autoindustrie mit ihren komplexen Liefer- und Produktionsketten besonders gut von Process Mining profitieren könnte. Experte Reinkemeyer sieht tatsächlich erhebliches Potenzial. Es sei sicher lohnend, sich Lieferprozesse gemeinsam mit den Vertragspartnern anzusehen. „Das würde spannende Perspektiven eröffnen und ich denke, dass sich das in Zukunft entwickeln wird“, sagt er. Als Belohnung würden eine höhere vertikale Integration und eine bessere Transparenz über die Lieferkette winken. Fälle, in denen so etwas wirklich probiert wurde, sind bisher allerdings noch nicht bekannt. Der Grund: Alle Beteiligten müssten sich gegenseitig in die Karten schauen lassen.

Zu überwinden sind Hürden sowohl auf technischer wie auf unternehmenspolitischer Ebene. Wil van der Aalst, Informatikprofessor an der RWTH Aachen University und in der Branche mit dem Ruf ausgestattet, so etwas wie der geistige Vater von Process Mining zu sein, sieht bei aller Begeisterung für das Thema eher Hürden: „Das wäre sicherlich eine sehr interessante Sache, aber es gibt nur einen geringen Spielraum“, so van der Aalst. „Die Leute haben Angst um die Vertraulichkeit ihrer Daten.“

Vielleicht aber kann die Erstarrung schon bald weichen. Van der Aalsts Institut an der RWTH arbeitet an neuen technischen Ansätzen, die in Zukunft diese Besorgnis zerstreuen könnten. Die Rede ist von verteiltem Process Mining. Dabei erhalten alle Beteiligten die Daten über die gesamte Lieferkette. Die Daten sind jedoch auf eine Weise verschlüsselt, dass die Software zwar die gewünschten Analysen durchführen, aber keiner der Beteiligten die einzelnen Datensätze herausdestillieren kann – womit die Vertraulichkeit der Betriebsdaten gewahrt bleibt.

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