Die Szene mutet an wie bei einem Videospiel. Eine junge Frau trägt eine VR-Brille und wischt mit Handbewegungen durch die Luft. Allerdings geht es bei dem digitalen Erlebnis nicht um ein Sportspiel wie FIFA 20 sondern um den Kauf eines Autos. Um genau zu sein, eines VW T-Cross in São Paulo. Die Käuferin ist keine jugendliche Probandin, sondern Mitarbeiterin einer brasilianischen Anwaltskanzlei, die sich tatsächlich einen VW Crossover zugelegte – als Erste mit der neuen Methode.
Das Tool nutzt alle Möglichkeiten, die die virtuelle Welt liefert: Man kann sich das Auto aus allen Blickwinkeln anschauen, die Konfiguration ändern und auch die Türe öffnen, um den Innenraum zu begutachten. Doch das ist längst nicht alles. Der Automarkt im großen südamerikanischen Land tickt anders als hierzulande. „In Brasilien wartet keiner zwei oder drei Monate auf einen Neuwagen“, sagt Stefan Mecha, Vice President Sales und Marketing bei VW in Brasilien.
Das bedeutet, dass man ähnlich wie in den USA, zum Händler geht und das Auto mitnimmt. Dieses Verhalten beeinflusst natürlich auch das Händlerverhalten, Autos werden auf Halde gebaut und stehen bereit zur Abholung durch den Kunden. Das spiegelt sich in einem weiteren Detail des digitalisierten Kaufprozesses wider, der auch über einen Monitor abgewickelt werden kann. Der potenzielle Kunde, kann in einem übersichtlichen Menü angegeben, über welches Budget er verfügt und was ihm bei seinem Neuwagen wichtig ist. Anhand dieser Parameter macht ihm die Software Vorschläge, wie der Wagen aussehen könnte. Während der Konfiguration kann man jedes Detail am Auto ändern und bekommt die Auswirkungen direkt am virtuellen Fahrzeug angezeigt.
Wobei die Möglichkeiten in Brasilien nicht unendlich viele sind. „Wir haben drei Ausstattungslinien und vier Pakete, das war’s“, macht Stefan Mecha das grundlegende Prinzip klar. Allerdings ist es durchaus möglich, dass kein Händler das Auto in der Wunschkonfiguration vorrätig hat. Aber auch da hält die Software einen Ausweg parat: Sie fragt die vorhandenen Autos bei den VW-Partnern ab und schlägt dem Interessenten die Modelle vor, die seinem Wunsch am nächsten kommen. Mit einem Klick sieht der Kunde, welches Ausstattungsdetail er im Auto hat und welches nicht und kann dann entscheiden, ob er das Angebot annimmt.
Mit dem Erwerb des Autos hört die Digitalisierung nicht auf. VW Brasilien hat in Zusammenarbeit mit IBM / Watson eine digitale Bedienungsanleitung entwickelt,die per App auf dem Smartphone genutzt werden kann. Die Software kommt mit umgangssprachlichen Fragen klar. Etwa bei Nachfragen zu einem Reifenwechsel antwortet das Programm per Sprachausgabe. Alternativ kann man sich den Text anzeigen oder sich mit Bildern Schritt für Schritt durch das Prozedere führen lassen.
Wenn Unklarheiten aufkommen, fordert das Programm den Nutzer auf, zum Beispiel ein Bild von der Warnleuchte zu machen und ermittelt anhand dieses Fotos das Problem und schlägt eine Lösung vor. Aktuell sind rund 75.000 Fragen in der Datenbank hinterlegt. Aufgrund der Rückmeldungen der Nutzer wird das Programm ständig verbessert. Dabei geht es nicht nur um Inhalte und wie diese präsentiert werden, sondern auch um Dialekte oder auch regionale Eigenarten, eine Frage zu formulieren. Neben Portugiesisch wird die App auch auf Spanisch angeboten.
In Brasilien haben 73 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet und nutzen es im Durchschnitt für 9,29 Stunden am Tag, 66 Prozent sind mit dem Smartphone online. Deswegen werden auch in Zukunft die Pflege und die Inspektion des Autos per App geregelt. Mit nur wenigen Klicks definiert der Nutzer seine Anliegen und bekommt dann sofort die verfügbaren VW-Händler in seiner Umgebung angezeigt, die zum Beispiel eine solche Inspektion durchführen können.
Hat man sich für ein Autohaus entschieden, sucht man sich noch seinen bevorzugten Service-Berater und auch den Termin aus, an dem die Reparatur durchgeführt werden soll. Der Vorteil davon ist, dass sofort der Festpreis für den Auftrag angezeigt wird und der Kunde keine bösen Überraschungen erlebt.
Auch wenn man weitere Aufträge erteilt, werden diese aufgenommen und spiegeln sich im Preis wider. „Diese Transparenz ist für unsere Kunden wichtig“ erklärt Stefan Mecha. Eine weitere Konsequenz aus diesem digitalen Serviceheft ist, dass jeder Käufer des Autos seine Historie online nachvollziehen kann und sieht, ob das Fahrzeug scheckheftgepflegt ist. Im nächsten Entwicklungsschritt wird auch eine Bewertung der Dienstleistung möglich sein.