Volvo Sicherheitsgurt

Der Dreipunkt-Sicherheitsgurt wurde 1959 von Volvo-Ingenieur Nils Bohlin entwickelt und im Serienfahrzeug eingeführt – ein Meilenstein der Fahrzeugsicherheit. (Bild: Volvo)

Ein Hoch auf den Sicherheitsgurt! Da ist Benny ganz sicher. Der Rettungssanitäter vom Ammersee muss allzu oft Menschen nach einem Unfall aus den Wracks ihrer Autos holen und weiß: „Airbags und Assistenzsysteme mildern sicher die Folgen eines schweren Crashs schon ab – aber ohne angelegten Gurt wären die meisten Menschen bestimmt tot.“ Ganz glücklich ist der Sanitäter dennoch nicht mit dem Gurt: „Irgendwie ist das doch eine ziemlich altertümliche Einrichtung: brutal reißen und in den Sitz zurückschleudern. Das verursacht auch manche Verletzungen. Na ja … geht halt nicht anders.“

Das sehen die Sicherheitsexperten bei Volvo allerdings anders. Die Schweden wollen den guten alten Lebensretter jetzt deutlich schlauer machen: Ihr „multi-adaptiver Sicherheitsgurt“ soll sich individuell an verschiedene Insassen und Verkehrssituationen anpassen und im Crash-Fall individuell in den Sitz zurückziehen. Die Sicherheits-Weltpremiere ist dazu in den Zentralrechner des Fahrzeugs eingebunden – und könne so blitzschnell Echtzeitdaten von Innen- und Außensensoren auswerten und nutzen. Damit passe er die Gurtkraft und Rückhalteleistung viel individueller an die Menschen auf den Sitzen an als bisher möglich.

Volvo treibt individuelle Sicherheit voran

Das soll viele schmerzhafte Crash-Folgen vermeiden. Sanitäter Benny berichtet regelmäßig von Rippenbrüchen bei zierlichen Damen, wenn der Gurt allzu rabiat anzieht. Blutergüsse am Hals oder Kopfverletzungen bei sehr großen Reisenden sind auch keine Seltenheit. Denn der 1959 von den Schweden erfundene Dreipunkt-Gurt ist wie die meisten Sitze eben keine Maßarbeit, sondern auf den durchschnittlichen Menschen abgestimmt.

„Es ist aber nicht eben jeder nah am Durchschnitt“, betont Unfallforscherin Lotta Jakobsson. Volvos schlauer Gurt soll nun seine Kraft optimal auf Größe, Gewicht, Körperform und Sitzposition der Insassen sowie auf die Unfallsituation abstimmen. Solche sogenannten Gurtkraftbegrenzungsprofile gab es zwar bisher auch schon, aber mehr als drei verschiedene Szenarien waren wegen der mangelnden Verbindung zu den Datenrechnern, Sensoren und Kameras nicht möglich.

In seinem vollelektrischen EX60, der im kommenden Jahr auf die Straße kommt, will Volvo diese Zahl der Profile fast vervierfachen. „Und auch in allen neuen Fahrzeugen auf dieser Plattform“, verspricht Technik-Vorstand Anders Bell. Der Gurt soll dann zügig noch schlauer und feinfühliger werden, denn die Schweden pflegen ständig neue Daten aus ihren Crash-Tests, realen Unfällen oder den bisherigen Auswertungen der Fahrzeugdaten in das System ein – über Nacht und drahtlos. Der Gurt ist dabei nur ein Sicherheitsdetail, das durch die digitale Vernetzung verbessert wird. Die Software auf Rädern ermögliche künftig noch viele weitere Schutzsysteme. Ein komplexes System aus Kameras, Radar, Lidar und Rechentechnik bildet einen digitalen Kokon, der Auto und Umgebung im Blick hat.

Mehr Sicherheit durch Datengrundlage & Simulation

Volvo betrachtet Daten dabei als das zentrale Sicherheitsmerkmal der kommenden Jahre. Schon seit den 1970er Jahren habe Volvo mehr als 43.000 reale Unfälle mit über 72.000 beteiligten Personen ausgewertet. Diese Erkenntnisse bilden das Fundament für viele der Sicherheitslösungen. In Volvos SUV EX90 beispielsweise kommt erstmals die sogenannte „Safe Space Technology“ zum Einsatz. Herzstück ist auch hier ein leistungsfähiger Zentralrechner, der in Echtzeit Informationen aus Kameras, Radar und Lidar verarbeitet. Dabei erfasse die Sensoren andere Fahrzeuge, Fußgänger oder Radfahrer selbst bei widrigen Lichtverhältnissen in bis zu 250 Metern Entfernung.

Kombiniert mit Künstlicher Intelligenz ließen sich auch hypothetische Gefahrenszenarien simulieren, um das System auf bislang unbekannte Situationen vorzubereiten. Dazu verwandelt Volvo mit dem sogenannten „Gaussian Splatting“ reale Bilder in dreidimensionale, lebensechte Umgebungen. So lernt die Software während der Fahrt, wie sie auf plötzlich auftauchende Hindernisse, Tiere auf der Straße oder extreme Wetterlagen reagieren muss – noch bevor solche Ereignisse tatsächlich eintreten.

Vernetzte Systeme überwachen Fahrer & Fahrverhalten

Doch die Schweden blicken nicht nur nach außen. Wie bei den meisten anderen Herstellern wird inzwischen auch der Innenraum zunehmend überwacht. Das Fahrerverständnissystem registriert mithilfe von Kameras und Sensoren, ob die fahrende Person müde, abgelenkt oder nicht mehr aufmerksam ist. Bleibt eine Reaktion aus, übernimmt das System: Das Fahrzeug bremst kontrolliert ab, hält an und benachrichtigt bei Bedarf Notdienste.

Solche Überwachung – inzwischen in vielen Ländern auch staatlich vorgeschrieben – ist nicht nur professionellen Datenschützern suspekt. Volvo-Chef-Techniker Bell betont auch, dass ein offener Dialog nötig sei, wenn es um solchen Eingriff in das Fahrverhalten geht. Volvo will Systeme für Sicherheitszwecke verwenden und persönliche Daten anonymisieren.

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