Stephan von Schuckmann kennt jeden Zentimeter der Strecke zwischen Friedrichshafen und München. Denn der Leiter der ZF Getriebe-Division pendelte in den letzten Monaten ständig zwischen dem Stammsitz des Zulieferers und der BMW-Konzernzentrale hin und her. Schließlich ging es um den größten Kundenauftrag der Firmengeschichte und wer den anspruchsvollen Verhandlungshabitus des BMW-Technikvorstands Klaus Fröhlich kennt, weiß, dass der Gesprächsmarathon sicher kein Zuckerschlecken war. Doch die Kilometerfresserei hat sich gelohnt: ZF liefert ab 2022 die vierte Generation der Achtgangautomatik an den bayerischen Autobauer und streicht dafür einen zweistelligen Milliardenbetrag ein.
BMW ist nicht dafür bekannt, solche Beträge leichtfertig aus dem Ärmel zu schütteln. Die Münchner erwarten einen entsprechenden Gegenwert. Den bekommen sie: Das neue ZF-Achtganggetriebe ist ein technologischer Tausendsassa, der sowohl mit verschiedene Hybridisierungsstufen als auch – ganz klassisch – nur mit einem reinen Verbrennungsmotor kombiniert werden kann. „Wir haben das 8-Gang-Automatgetriebe konsequent auf E-Mobilität getrimmt und nun – anders als bisher – von der Hybridkonfiguration her gedacht“, erläutert von Schuckmann. Die Spannbreite reicht von einem Mildhybrid mit 33 PS, der das konventionelle Triebwerk nur durch Boost-Schübe unterstützt bis hin zu einem Plug-in-Hybriden mit maximal 204 PS – das sind in der Spitze 60 Prozent mehr Leistung als bisher. Ohne Elektrifizierung ist das Getriebe bis zu einer Leistung von 680 PS und einem maximalen Drehmoment von 1.000 Newtonmetern fähig.
„Volkshybrid“ nennt von Schuckmann das Prinzip. Aus gutem Grund: BMW wird das Getriebe über die ganze Fahrzeugpalette einsetzen. Für BMW ist diese Elektrifizierung wichtig, um die CO2-Bilanz zu senken. „Wir mussten natürlich nachweisen, dass wir das mit unserer Fertigung hinbekommen“, verdeutlicht der ZF-Manager das Anforderungsprofil. Da manche Bauteile vom aktuellen Getriebe übernommen werden und zum Beispiel auch ein integrierter Riemen-Starter-Generator nicht mehr benötigt wird, fällt auch die Kostenbilanz günstig aus.
Doch die verschiedenen Elektrifizierungsgrade sind nur ein Teil der Geschichte der vierten Generation der Achtgangautomatik. Das Getriebe hat die gleichen Abmessungen, wie die aktuelle Generation – und das, obwohl neben dem Elektromotor jetzt auch die Leistungselektronik integriert ist. Daher kann die Schaltung, wie ein Plug ’n’ Play-Element unkompliziert in unterschiedliche Fahrzeugkonzepte eingebunden werden und da die Abmessungen des Bauteils immer gleich sind, kann BMW so innerhalb weniger Wochen auf wechselnde Anforderungen des Marktes reagieren. Die Kunden wollen mir Elektro-Power? Also wird einfach ein stärkerer Elektromotor verbaut.
Das gleiche Prinzip wird ZF übrigens auch beim Neunganggetriebe, das bei quereingebauten Motoren mit Vorderradantrieb eingesetzt wird, verwenden. Mit der Elektrifizierung sollte sich auch die Charakteristik dieser Automatik zum Besseren ändern. ZF beschreitet weiter unbeirrt den Weg zum Systemhersteller, der ganze Komponenten für den Autobau auf einer globalen Ebene anbietet. Darunter eine elektrifizierte MStars-Hinterachse (inklusive Hinterachslenkung und einem Elektromotor, der jetzt bis zu 204 PS leistet). Auf Wunsch würde der Zulieferer auch die ganze Abstimmungsarbeit übernehmen. Gerade in China, wo noch nicht alle Automobilbauer diese Disziplin so gut beherrschen, wie die westlichen Ingenieure, könnte so ein Angebot auf offene Ohren stoßen. Das Unternehmen ist dabei, sich global aufzustellen und hat mittlerweile mit Holger Klein sogar einen eigenen China-Vorstand. Nahe Shanghai wird gerade eine Produktion für die aktuelle Achtgangautomatik installiert. Das Technikarsenal des Unternehmens ist breit gefächert und reicht bis zu einer Innenraum Überwachungskamera inklusive Gurtsystem, das den Fahrer zur Aufmerksamkeit zurückrüttelt, wenn er sich nicht mehr genug auf die Straße und den Verkehr konzentriert.
Mit der Übernahme des Bremsenherstellers Wabco stellt sich ZF noch breiter auf und bereitet nicht nur Konkurrenten wie Continental Kopfzerbrechen, sondern bündelt Automobil-Kompetenz, die vor allem in den aufstrebenden Märkten, bei der Elektromobilität und beim autonomen Fahren attraktiv sein dürfte für Automobilbauer, die Ihre hohen Investitionen durch Joint Ventures oder einfach durch den Verkauf mancher Technologien wieder reinholen wollen. So gesehen, wandelt ZF auf einem schmalen Grad.
Autor: Wolfgang Gomoll, press-inform