Web 2.0 -Trends im Automobilmarketing

Das Internet spielt bei der Vermarktung neuer Modelle eine entscheidende Rolle: 53 Prozent der Neuwagen-Käufer informierten sich einer Studie zufolge vor dem Kauf auch online, Tendenz steigend. Ob das Interesse allerdings effektiv in Absatzzahlen umgewandelt wird, steht auf einem anderen Blatt.

 

Wer sich heute für einen Golf GTI interessiert, hat entweder sehr reiche Eltern – oder ist deutlich älter als 21 Jahre. Mit ein wenig Ausstattung sind Preise um 35 000 bis 40 000 Euro für den Lümmel-Golf mit kleinkarierten Sitzen kein großes Ding. Für den statistischen Durchschnittskäufer sind sie es natürlich schon. Trotzdem: Das GTI-Web-Spezial, fraglos ein Zeugnis dessen, was onlinetechnisch derzeit möglich ist, zielt, wie auch der aktuelle TV-Spot, auf Halb-Erwachsene. Für Ältere sind interaktive Pylonen-Fahrten mit Sänger und Freizeitrennfahrer „Smudo“ oder im Online-Rennsimulator „Golf GTI Tracks“ nach Art eines „Need for Speed“-PC-Games viel zu cool. Doch diese Klientel hat das nötige Kleingeld. Also am Publikum vorbei? Der Verdacht liegt nahe. Man muss wissen: Der durchschnittliche Neuwagenkäufer ist 55 Jahre alt. In diesem Alter nimmt gleichzeitig die Bereitschaft und Fähigkeit rapide ab, im Internet zu surfen. Wie klein ist wohl der Personenkreis, der gleichzeitig alt und liquide genug ist für einen GTINeuwagen, sich aber trotz seines Alters im Internet informiert, statt einfach zum nächsten VW-Händler zu gehen – und überhaupt noch so was wie einen Golf GTI fahren will? Viel lässt sich rätseln über die ominöse Wirkung poppiger Web-Tools auf jene, die auch das Geld zur Tat in der Tasche haben. Branchen-Experten wie Willi Diez vom Institut für Automobilwirtschaft grübeln, was sich die Macher von ihrem kostspieligen Tun erhoffen: Die Jugend einstimmen auf die Marke oder das Modell? In der Hoffnung, dass die Sites zumindest den Gebrauchtmarkt ankurbeln – und viele Jahre später zu einem Neukauf führen? Nicht unbedingt nach dem Willen der Macher: Ralf Maltzen, Leiter CRM und Internetmarketing der Marke Volkswagen Pkw, winkt ab: „Nicht immer ist die Generierung von Leads Schwerpunkt einer Kampagne. Bei einer Markteinführung ist es wichtig, die Menschen zu begeistern und sie emotional zu bewegen. Dafür sind Leads die falsche Messgröße.“

 

Begeisterte User sind längst kein Maßstab für den Erfolg einer Website. Online-Marketing-Spezialisten wie Christian Bachem von der Strategieberatung .companion neigen inzwischen dazu, kühl zu rechnen: „Online Value“, das ist seiner Ansicht nach nicht in Klicks und Visits zu messen. Entscheidend sei an dieser Stelle eine Kosten-Nutzen-Betrachtung, der monetäre Wert einer Kampagne. Bachem: „Während eine qualitative Analyse fester Bestandteil der klassischen Werbewirkungsforschung ist, steckt die Online-Werbung diesbezüglich immer noch in den Kinderschuhen. “ Im Internet, so Bachem, habe die verlockend einfache technische Messbarkeit zu einer regelrechten Klick-Fixierung geführt. Ob sich beispielsweise Investitionen in aufwendige Online-Tools wie Car Konfiguratoren lohnten, müsse der Budgetverantwortliche eigentlich anhand belastbarer Aussagen zu den erzielbaren Effekten entscheiden. Die Währung: Zahl der generierten Probefahrten. Bachem: „Aus heutiger Sicht ist die Nutzung des Konfigurators nur dann wertschöpfend, wenn ein Nutzer sein Wunschfahrzeug zusammenstellt und am Ende eine Probefahrt beim Händler vereinbart. “Eine ernüchternde Feststellung, die aber auf der Hand liegt: Der Deal kommt immer beim Händler zustande, da kann der Kunde begeistert online surfen, bis ihm schwindlig wird. Die Unterschrift auf dem Händlervertrag ist zu diesem Zeitpunkt reine Theorie. Eine Weisheit, die sich in Herstellerkreisen herumgesprochen hat, denn Links wie „jetzt Probefahren“, „Testfahrt vereinbaren“ finden sich auf jeder noch so versteckten Unterseite.

 

Die Bemühungen sind verständlich, denn sollte es tatsächlich gelingen, begeisterte Surfer in begeisterte Fahrer zu wandeln, erhöhen sich die Verkaufschancen um ein Vielfaches: Was der Interessent einmal zur Probe saß, will er so schnell nicht mehr missen. Leads in Form von Probefahrt-Wünschen leiten Hersteller-Websites meist direkt an ihr Händlernetz weiter. Sie sind eigentlich nur in Gold aufzuwiegen, da – begleitende TV- und Printkampagnen mit eingerechnet – teuer erkauft. Wer glaubt, eine schnelle Reaktion auf das offenbar gewordene Interesse sei eine Selbstverständlichkeit, möge nur einmal den Selbstversuch starten: Der freundliche Rückruf eines Call-Centers ist noch relativ wahrscheinlich; dass der Händler um die Ecke allerdings das gewünschte Fahrzeug tatsächlich zur Verfügung hat und es dem unbekannten Interessenten zur Probe überlässt, eher ein Glücksspiel. „Gerne, wann denn?“, sagen nur etwa 50 bis 70 Prozent der Händler, je nach Marke. Wie dabei speziell Online-Anfragen abschneiden, ist nicht bekannt. Sicher nicht besser. Ob die durch solcherlei Websites generierten Anfragen überhaupt ernsthaftes Kaufinteresse signalisieren, mag zur Ehrenrettung der Händler zweifelhaft sein – eine weitere Aufgabe für Online-Statistiker: Wie werthaltig ist dann im Vergleich eigentlich ein Web-Lead? Für die Marke Mini steht der Wert von Online-Werbung und -Präsenz außer Frage. „Mini-Kunden sind TV- und lesefaul, aber sehr Internet-affin“, weiß Autoexperte Diez. Also ist die Marke werbetechnisch stärker im Internet vertreten als jede andere. Aber: Ist der Mini nicht auch ein typisches Frauen-Auto? Für 52 Prozent der Mini-Halter trifft das zu. Dabei hat das Internet ein Problem: Nach einer Studie der Hochschule Niederrhein halten 38 Prozent der Männer das Internet für eine wichtige oder sehr wichtige Info-Quelle vor dem Autokauf, unter den Frauen sind es dagegen nur 28 Prozent. Ob ein Frauenheld wie der Mini da richtig platziert ist? Und: 37 Prozent der männlichen User sind zufrieden mit dem Online-Angebot der Hersteller, unter den Frauen sind es dagegen lediglich 24 Prozent. Das Internet ist nach wie vor eher ein Männer-Medium und auf Männer zugeschnitten. Doch der Trend ist nicht mehr zu stoppen.

 

Verschiedentlich versuchen Hersteller jetzt im „freien Internet“ Fuß zu fassen und auf so genannten „Social-Networking-Seiten“ wie „MySpace“ oder „Flickr“ ihre Duftmarke zu platzieren. Nicht von ungefähr: Satte 79,5 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage von puls Marktforschung zum „Neuen Autokäufer“ halten Informationen von Seiten wie motor-talk.de für wertvoll oder sehr wertvoll, Händler-Websites verzeichnen nur 57 Prozent Fans. Vorreiter beim Spiel mit dem Web 2.0 ist die Marke Ford. Die Kölner unterstützten einen Foto-Wettbewerb auf Flickr zum unverfänglichen Thema „This is now“. Auf MySpace konnte man wiederum den Ford Fiesta zum „Freund“ erklären (was immerhin auch über 1300 User gemacht haben). Auf dem Berliner Ku´damm zeigte „Deutschlands größte LED-Wand“ dann die besten Bilder. Ford schaffte damit gleich einen mehrfachen Brückenschlag: Von der eigenen Website in freie Communities (und wieder zurück) an eine Fassade in der realen Welt, vom Kommerz- in den Kultur- und Kunstbereich. Mitmach-Internet 2.0 nennen das die Strategen. „Entertainment und Aktivierung“ seien die wichtigsten Herausforderungen für Marken im Web 2.0, sagt Mark Pohlmann, Inhaber der Agentur Mavens Dialog. Ford sei da „auf dem richtigen Weg“. An diesem Punkt streiten sich die Gelehrten. Sobald sich User und Hersteller auf freiem Online-Feld begegnen, sind sie plötzlich gleich mächtig – und für jeden sichtbar. User „NikonlessRob“ nölt beispielsweise im Flickr-Blog zum Fiesta, ob Hersteller jetzt tatsächlich versuchten, auf diese Weise an kostenlose Bilder von Usern heranzukommen. Peinlich: Gleich nach dem eigentlichen Wettbewerb hat sein Beitrag die größte Resonanz. Und das ist kein Einzelfall. In den USA gehen die Überlegungen schon weiter, Werbung im Web 2.0 steht dort insbesondere unter Autohändlern hoch im Kurs. Trotzdem warnt Scott Silverman, Geschäftsführer von Shop.org: „Die Händler sollten in diesem Zusammenhang äußerst vorsichtig sein.“ Es läge derzeit kein aussagekräftiger Beweis vor, dass Marketing in sozialen Netzwerken positive Effekte auf Kunden- oder Verkaufszahlen hätte. „Social-Networking-Seiten brauchen noch ein wenig Zeit, um als Geschäftsbereich zu reifen“, so Silverman.

 

Was machen deutsche Händler? Ihre Webpräsenz sprüht nicht gerade vor Phantasie. Nur vereinzelt geht die Website über eine „Selbstdarstellung mit Kontaktmöglichkeit und Fassadenbild“ hinaus. Dabei könnten Händler das richtig machen, was Hersteller bislang versäumt haben – sich etwa um spezifische Bedürfnisse von Kundinnen bemühen. Davon ist jedenfalls Petra Hülsmann, Geschäftsführerin der Dortmunder Internet-Agentur Pixel-Consult, überzeugt: Konfiguratoren sind ein Männer-Ding. Frau wünscht sich Lebenshilfe. Zunächst gilt es, der Kundin einen guten Grund für den Besuch der Website zu geben, ein Event im Autohaus etwa, in das ein Online-Gewinnspiel eingebunden ist. Das Angebot auf der Website kann dann an weiblichen Bedürfnissen ausgerichtet sein und sich beispielsweise als Fahrzeug- und Serviceangebot an die „anspruchsvolle Mutter“, die „erfolgreiche Karrierefrau“ oder die „solide Autofahrerin“ richten. So die Expertin. Ein virtueller „Test“ klärt, wie die Userin zuzuordnen ist, und unterbreitet als Ergebnis beispielsweise einen Modellvorschlag oder ein besonderes Serviceangebot. Lohn sei eine „schnell wachsende Käufergruppe“ wie die der 30- bis 39-Jährigen, die wegen nachgewiesener Markenloyalität die nächsten Jahre als Kunden treu blieben. Eine kleine Idee, für ein kleines Budget. Aber vielleicht ja eine, die tut, was sie soll: verkaufen!

 

Autor: Georg Winter

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