Autodiebe wollen vor allem Gewinn erzielen – also sollte man diesen Gewinn mindern, um Automarder abzuschrecken: Diesen neuen Ansatz verfolgt der Psychologe Dr. Sven Tuchscheerer in seiner Dissertation ,,Human Factors in Automotive Crime and Security“ an der TU Chemnitz.

Tuchscheerer arbeitet derzeit an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg in der Arbeitsgruppe Multimedia and Security (AMSL), wo sein Schwerpunkt auf IT-Systemen im Fahrzeug und ihrer Angreifbarkeit liegt. Eine wesentliche Grundlage der Dissertation sind Forschungsergebnisse aus seiner früheren  Tätigkeit bei der Volkswagen AG Konzernforschung.

Ein Lahmlegen eines Fahrzeuges nach erkanntem Diebstahl sei in Deutschland aus rechtlichen Gründen nicht zulässig, so Tuchscheerer: ,,Das Auto könnte ja auf einem Bahnübergang stehen und ein Zug herannahen. Auch ein Autodieb hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit.“

Stattdessen ließen sich aber viele nicht primär fahrrelevante Fahrzeugkomponenten außer Gefecht setzen oder stören, so Tuchscheerer. Ein Beispiel: Bei warmen Außentemperaturen wird die Klimaanlage automatisch deaktiviert und die Heizung eingeschaltet. Die Fenster werden geschlossen und gegen das Öffnen gesperrt. Zusätzlich wird die Sitzheizung auf die höchste Stufe gestellt.

Bei kalten Temperaturen hingegen schaltet sich die Klimaanlage ein, die Heizung wird deaktiviert. Bei einer Geschwindigkeit bis 40 Kilometer pro Stunde öffnen sich automatisch die Fenster und können manuell nicht wieder geschlossen werden. Das gestohlene Auto verliert so deutlich an Wert.

Möglich ist das auf zwei Wegen. Zum einen kann der Besitzer die Funktionen online auslösen. Durch den rasanten Fortschritt der Car-IT ist es aber auch möglich, das Fahrzeug selbst agieren zu lassen: Es ,,merkt“ etwa, wenn längere Zeit nicht der Original-Fahrzeugschlüssel benutzt wurde und setzt dann automatisch die einprogrammierten Funktionen in Gang.

,,Durch solche Maßnahmen würde die Kosten-Nutzen-Abschätzung seitens der Täter beeinflusst. Das könnte abschreckender wirken als die Erhöhung der Kosten, die zum Beispiel für die Überwindung einer Wegfahrsperre anfallen“, sagt Tuchscheerer. Dabei hat die Verbesserung der Wegfahrsperren durchaus Wirkung gezeigt, weil die Überwindung dieser Sperren für Autodiebe viel aufwändiger geworden ist.

Gleichwohl wurden nach jahrzehntelangem Rückgang in Deutschland zuletzt wieder mehr Autos gestohlen, mehr als 18 000 Pkw allein im Jahr 2009. Viele Täter hingegen bewerten die präventiven Systeme wie Wegfahrsperre, Lenkradschloss, Alarmanlagen oder Sicherheitsverglasung  als ,,wenig wirksam“ und ,,schlimmstenfalls lästig“.

Zu diesem Ergebnis kommt Tuchscheerer durch die Befragung von elf Tätern, die mehrfach wegen Fahrzeugdelikten vorbestraft sind und um Zeitpunkt der Untersuchung eine Gefängnisstrafe verbüßten.

Verstärkte Polizeipräsenz und härtere Strafen zeugen ebenfalls wenig Wirkung, wie der Psychologe aus der Befragung schließt. Systeme, die den Täter identifizieren helfen, schätzen die Kriminellen hingegen wesentlich häufiger als ,,problematisch“ ein. Vor allem, wenn diese nachträglich eingebaut wurden und im Auto gut versteckt sind.

Damit reagieren die Täter völlig anders als die Opfer. In einer ersten Studie befragte der Wenschaftler dazu 40 Besitzer von Oberklassefahrzeugen nach ihrer subjektiven Kriminalitätsfurcht. Denn Oberklassefahrzeuge sind bei Autodieben besonders begehrt. Mithilfe der Anschlussstudie – einer Online-Befragung von mehr als 2 000 deutschen Autofahrern – entwickelte er ein Modell.

Die Fahrer haben demnach hauptsächlich Angst vor tätlichen Angriffen. Der finanzielle Schaden durch einen Autodiebstahl ist für sie zweitrangig. ,,Interessanterweise vermeiden jedoch Täter eigentlich den Kontakt mit den Fahrzeugbesitzern, weil diese einen unkalkulierbaren Faktor darstellen“, erklärt Tuchscheerer.

Auch bei der Bewertung von Sicherheitssystemen zeigen sich Widersprüche. ,,Autofahrer wünschen sich präventive Systeme: vor allem eine Möglichkeit der präventiven Navigation oder eine automatische Verriegelung des Fahrzeuges, um ein Aufreißen der Tür verhindern“, so Tuchscheerer.

Auf der Wunschliste folgen Schutzsysteme wie die Kameraüberwachung des Fahrzeuginnenraums, eine automatische Notruffunktion oder die Fahrzeugortung mittels GPS. Nur wenig versprechen sich die Fahrer von so genannten repressiven Systemen, die die Tat nicht verhindern, sondern zur Ergreifung des Täters beitragen – ganz im Gegensatz zu den befragten Autodieben.

In Ländern wie Brasilien allerdings ist die Gefahr von tätlichen Angriffen deutlich höher. Deshalb wird in den Autokonzernen weiter auch an präventiver Navigation gearbeitet, wie Tuchscheerer von Volkswagen weiss: ,,Da geht es zum Beispiel darum, Gebiete mit hoher Kriminalität zu umfahren oder  möglichst immer im Bereich von Polizeistationen und belebten Gebieten zu bleiben.“

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