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Am Ende sah alles aus wie gewohnt. Drei Porsche-Fahrer standen auf der Balustrade des Rennleitungsgebäudes und winkten einem Meer von Zuschauern. Es war der 19. Sieg des Zuffenhausener Unternehmens, der dritte Porsche-Erfolg in Folge und der sechste eines Hybridrenners an der Sarthe. Aber die Freude war verhaltener als in den Jahren zuvor. Man hatte nicht heldenhaft große Gegner besiegt, nicht die Überlegenheit der eigenen Technologie unter Beweis gestellt, sondern lediglich eine große Blamage abgewendet.

Fünf Hybridrenner, drei von Toyota und zwei von Porsche, waren an den Start gegangen, sämtliche Toyota und ein Porsche schieden aus. Bei beiden Herstellern gab es einen Motorschaden, bei beiden versagte an je einem Auto eine der MGUs (Motor Generator Units). Das Siegerauto war ein Überlebender, der nach über einer Stunde Reparatur in der Box eigentlich chancenlos gewesen wäre, aber es waren nur noch Autos kleinerer Klassen unterwegs.

Im Fahrerlager und auf den Tribünen drückten viele dem 600 PS starken Oreca-LMP2 des Teams von Jackie Chan die Daumen, aber den 1000 PS Systemleistung des Porsche hatte die kleine Mannschaft des chinesischen Hollywood-Stars wenig entgegenzusetzen. Eine gute Stunde vor Schluss war die alte Ordnung wiederhergestellt, Goliath siegte über David. Immerhin, wenn sie funktionierten, waren die Riesen so schnell wie nie zuvor.

Kamui Kobayashi fuhr im LMP-Toyota beim letztjährigen Qualifying eine Zeit von 3:14,791 Minuten, ein Schnitt von 251,9 Kilometern pro Stunde. Gegenüber den 3:20,5 Minuten von 2017 bedeutete das eine Verbesserung von 5,7 Sekunden, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Im Winter dazwischen versuchten die Regelhüter die ausufernden Geschwindigkeiten einzudämmen und änderten die Aerodynamikregeln. Um etwa fünf Sekunden hätten die Prototypen langsamer sein sollen. Die Toyota-Ingenieure hatten also in Wahrheit über zehn Sekunden gefunden.

Dabei konzentrierten sie sich neben Modifikationen an der Aerodynamik vor allem auf das Hybridsystem. Die rund 500 PS leistenden Verbrennungsmotoren ließen sie seit Einführung des aktuellen Reglements im Jahr 2014 weitgehend unangetastet. Wer schürft nach Kupfer, wenn er Gold finden kann? Die Technikabteilungen suchten vielmehr nach Wegen, die beiden Energierückgewinnungssysteme MGUH (Abgasturbine) und MGUK (Bremsrekuperation) sowie die Batterien zu optimieren. Toyota stellte die Energiespeicherung zwischenzeitlich von Superkondensatoren auf Lithium-Akkus um.

Das wichtigste Schlachtfeld aber war in den vergangenen Jahren die Steuerung aller Komponenten. Die Software schrieben die Teams selbst, und wie die digitalen Giganten Google und Facebook haben sie nie aufgehört, an ihren Algorithmen zu feilen, um ihr Rennauto noch effizienter zu machen. Zwei Dutzend Ingenieure kümmerten sich in der Box allein um die Datenanalyse und das Management des Antriebs.

Drastisch unterbesetzt, würde der Teammanager eines Formel-1-Topteams sagen. Im englischen Brixworth, wo bei AMG High Performance Powertrains die Antriebe für das Mercedes-Team entwickelt und gefertigt werden, arbeiten zwischen 500 und 600 Menschen. Insgesamt beträgt die Mannschaftsstärke der Weltmeistertruppe 1600 Leute, davon allein über 220 Aerodynamiker. Die elektrischen Zusatzantriebe haben aus eigentlich simplen Rennmaschinen die kompliziertesten Personenkraftwagen aller Zeiten gemacht.

In Le Mans nutzten die Teams ihre Klimaanlagen auch zur Batteriekühlung und zur Reduzierung der Ladelufttemperatur, in der Formel 1 läuft die MGUH, die überschüssigen Ladedruck in kinetische Energie umwandelt, auch in langsamen Kurven, um den Lader in Schwung zu halten und so das Turboloch beim Beschleunigen zu vermeiden.

Von Verbrauchsreduktion kann mit dem elektrischen Zusatzantrieb keine Rede sein. Überall, wo Hybridtechnik zum Einsatz kommt, dient sie ausschließlich der Leistungssteigerung. 105 Kilogramm Sprit dürfen die Formel-1-Autos verbrennen, auf Strecken mit geringem Verbrauch fetten die Ingenieure das Gemisch zusätzlich an. Mit der Überschussenergie dieses „Overloads“ wird die MGUH angetrieben, deren Ausbeute sich in anderen Passagen der Strecke besser einsetzen lässt.

Der erhöhte Widerstand durch das Einsetzen des hinteren Hybridsystems wirkt zudem wie eine Art indirekter Traktionskontrolle. In der Formel 1 spielt zudem das Packaging eine wichtige Rolle. Der Grand-Prix-Renner von Red Bull hat verschachtelt unter seiner Einbaumkarosse neun Kühler, manche Autos gar 13. Ein Le-Mans-Prototyp hat bis zu 20 Steuergeräte an Bord.

Jede Komponente benötigt Platz und kostet Gewicht, was wiederum Aerodynamik, Balance und Schwerpunkt beeinflusst. Außer den Topteams kann sich kein Rennstall die Entwicklung eines eigenen Antriebs leisten. Früher kauften die kleinen Teams nur Motoren, heute ein Konglomerat aus fünf Komponenten: Motor, Turbolader, MGUK, MGUH und schließlich der Elektronik. Für Ingenieure ist die hybride Grand-Prix-Welt ein Paradies. Weil jeder Faktor mit den anderen verbunden ist, ergeben sich ständig neue Spielwiesen.

Die MGUH liefert 60 Prozent der elektrischen Energie und ist der Konstrukteure liebstes Kind. Die Schattenseite ist ein gigantischer Personal- und Geldaufwand. In Le Mans gaben die Hersteller zuletzt zwischen 150 und 200 Millionen Euro aus. Wer Formel-1-Weltmeister werden will, muss mehr als 300 Millionen Euro im Jahr hinblättern. Aber selbst wer nur mitspielen will, muss tief in die Tasche greifen. Finanzielles Schlusslicht ist momentan Force India – mit einem Jahresbudget von 100 Millionen Euro.

Ursprünglich diente der elektrische Zusatzantrieb der Formel 1 als grünes Feigenblatt. Unter dem damaligen Präsidenten Max Mosley machte der Weltmotorsportverband FIA Druck, um angesichts zunehmender öffentlicher und politischer Debatten über CO2-Ausstöße und globale Erwärmung die Angriffsfläche der Königsklasse zu reduzieren, die trotz effizientester Motoren mit Verbräuchen von 65 Litern auf 100 Kilometern nicht gerade hausieren gehen konnte. Das reine Bremsrekuperationssystem KERS (Kinetic Energy Recovery System) machte aus den gestrig erscheinenden V8-Rennern mit einem Schlag scheinbar moderne Hybridautos.

Doch schon die nach heutigem Maßstab eher simpel erscheinende Technik erwies sich als komplex und anfällig. Formel-1-Impresario Bernie Ecclestone war nie ein Freund der Hybrididee, die 2010 zeitweilig wieder abgeschafft und 2011 unter dem aktuellen FIA-Präsidenten Jean Todt wieder eingeführt wurde. Der frühere Rallye-Beifahrer und Ferrari-Chef gibt sich in seiner Rolle als FIA-Monarch gern als verantwortungsbewusster Erzieher für Sicherheit und Nachhaltigkeit.

„Wir müssen mit der Zeit gehen“, mahnt Todt. Doch böse Zungen behaupten, dass angesichts der unzähligen Variationsmöglichkeiten von Motor, Turbo und MGUH die Prüfstände der Formel-1-Teams im Dauerlauf arbeiten und zur Erprobung im Jahr mehr Benzin verbrennen, als ein komplettes Team im Rennbetrieb verbraucht. Konsequenz: Die MGUH soll 2021 abgeschafft werden. Abrüstung ist auch bei den Le-Mans-Rennern das Thema. 

Der das 24-Stunden-Rennen ausrichtende Automobilclub de L’Ouest (ACO) hätte in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehrfach die Weichen für ein Reglement stellen können, um möglichst vielen Teilnehmern Siegchancen und damit ein großes, homogenes Feld zu ermöglichen. Stattdessen erlagen die Granden des Clubs dem Lockruf des Geldes, mit dem vor allem Audi, aber auch die beiden anderen Hersteller winkten. Audi und Porsche sind ausgestiegen. In der aktuellen Sportwagen-WM geben zwei Toyota den Ton an, und wenn die Japaner es im zwanzigsten Anlauf nicht wieder versemmeln, werden sie auch erstmals in den Siegerlisten des berühmtesten Langstreckenrennens der Welt geführt.

Aus der Not geboren hat der ACO ein Regelwerk geschaffen, das auch Privatteams mit konventionellen Antrieben in der Topklasse LMP1 konkurrenzfähig machen soll, aber schon vor dem ersten WM-Saisonrennen in Spa wurden die konventionellen Renner eingebremst, so dass sie Mitte Juni allenfalls Chancen haben, wenn die Werks-Toyota wieder technische Probleme bekommen.

Eine Kooperation mit der amerikanischen IMSA-Serie hätte sofort neue Mitspieler gebracht, auch Hersteller wie Cadillac oder die Honda-Tochter Acura stünden in den Startlöchern, doch fahren die Amerikaner mit konventioneller Verbrennungstechnik, und die Technikfusion würde für den ACO Machtverlust bedeuten. So klammern sich die Franzosen auch in der Zukunft an ein leicht abgerüstetes Hybridreglement in der Hoffnung, dass Toyota bei der Stange bleibt und neue Kundschaft anzieht.

Die Hoffnungen ruhten lange auf Peugeot. PSA-Konzernchef Carlos Tavarez liebäugelte mit einer Rückkehr der Löwenmarke an die Sarthe, aber der knallharte Portugiese wollte deutlich unter 100 Millionen Euro einsetzen, trotzdem ganz vorn mitspielen und mit ausgefeilter Hybridtechnik werben können – die Quadratur des Kreises. Als Tavarez erkennen musste, dass der Einsatz deutlich höher sein würde, begrub PSA die Idee, schließlich ist man gerade erst aus einer tiefen Absatzkrise herausgekrabbelt

. Der Vorstand beschloss vielmehr, sich einer ganz anderen Disziplin zuzuwenden, die bisher eher ein Nischendasein führt. Rally­cross wurde 1967 in England erfunden, um den im TV schwer zu übertragenden Rallyesport in einem spektakulären und kompakten Format fernsehtauglicher zu machen.

Lange eine Insider-Domäne der Briten und Skandinavier, scheinen Sprint­rennen auf kurzen Pisten mit einer Mischung aus Asphalt und Schotter heute perfekt zum Zeitgeist der „Generation YouTube“ zu passen. Seit vier Jahren hat Rallycross Weltmeisterschaftsstatus, mit VW, Audi und Peugeot tummeln sich drei Werke in der zuvor von spezialisierten Tunern dominierten Szene. VW-Chef Herbert Diess erlaubte seiner Sportabteilung nach dem Rückzug aus der Rallye-WM Ende 2017 den Ausflug in ähnlich staubige Gefilde, weil seit zwei Jahren Pläne in der Schublade liegen, die Topklasse der Supercars von 600 PS starken Zweiliter-Turbos auf vollelektrische Antriebe umzurüsten.

Keine Motorsportdiszi­plin ist so für Elektromotoren und Batteriesysteme geeignet wie Rallycross. Die Qualifikationsrennen dauern um die vier Minuten, die Finalläufe etwa sechs. Das schaffen auch konventionelle Lithium-Ionen-Akkus mühelos. Noch wird Benzin verbrannt, aber schon 2020 soll umgestellt werden. Mit 20 Millionen Euro, die Peugeot angeblich in eine Rallycross-Saison steckt, ist die Sprintdisziplin trotz Ausflügen nach Kanada und Südafrika ein Schnäppchen, aber das Geld sitzt in den Marketingabteilungen auch nicht mehr so locker. Bei Zuschauerzahlen von maximal 25 000 Fans bei einzelnen Rennen und zwar wachsender, aber bisher bescheidener TV-Präsenz lassen sich größere Geldeinsätze in Vorstandsetagen nicht rechtfertigen.

Um ausufernde Kosten zu vermeiden, läuft zur Zeit unter FIA-Regie eine Ausschreibung für einen Zulieferer von Motor und Batterie. Die Teams rechnen mit Entwicklungskosten von drei bis fünf Millionen Euro, die anteilig auf alle beteiligten Hersteller umgelegt werden sollen. Das Motormanagement überwachen die FIA-Kommissare jetzt schon. Im Digitalzeitalter ist die zentrale Steuerung das wichtigste Bauteil, um sich gegenüber der Konkurrenz zu profilieren, aber die Erfahrung zeigt, dass sich die Leistungsunterschiede im Sport schnell nivellieren, am Ende zahlen alle viel, um kaum schneller zu sein als die anderen.

Das Problem hat man auch bei der Formel E erkannt. Die einzige globale Meisterschaft mit vollelektrischen Antrieben lebt vor allem davon, dass sie sowohl beim Chassis als auch bei Aerodynamik und Antrieb weitgehend mit Gleichteilen operiert. Bisher sind lediglich Elektromotor, Inverter, Getriebe und Kühlsystem freigestellt. Der Plan, die in die Serie strömenden Hersteller auch eigene Batterien entwickeln zu lassen, wurde verworfen. Zu groß ist die Gefahr von Kosteneskalation und Dominanz eines Herstellers. Das Konzept einer rein elektrischen Serie hatte schon vor dem Dieselskandal für diverse Hersteller großen Sexappeal.

Auch wenn die Batterien hinter den Teamzelten mit Hilfe von Generatoren und fossilen Brennstoffen geladen werden, verströmt die 2014 vom spanischen Entrepeneur Alejandro Agag aus der Taufe gehobene Meisterschaft ein im Motorsport bisher unbekanntes Maß an Reinheit und Nachhaltigkeit. Manche Metropolen erwägen, ihre Innenstädte für SUVs oder Diesel zu sperren, die Formel E ist dagegen in London, Paris, Rom oder New York willkommen.

Bisher setzte sich die Meisterschaft dem Spott der Traditionalisten aus, müssen doch die Fahrer nach halber Renndistanz in der Box in ein zweites Auto springen, weil die Batterien trotz bescheidener Leistung von rund 240 PS keine Renndistanz von 100 Kilometern schaffen. In der im Herbst startenden Saison 2018/2019 sollen die bisherigen Batterien mit einer Kapazität von 28 durch leistungsfähigere Akkus mit 54 kWh ersetzt werden. Dann schaffen die leisen Renner trotz auf bis zu 342 PS gestiegener Leistung erstmals eine komplette Renndistanz mit einer Ladung. Die neuen Batterien liefert die McLaren-Tochter MAT als Einheitsbauteil, Gleiches gilt für die von Lucid Motors entwickelte Managementsoftware.

Jenseits von Formel-Rennern oder Prototypen sieht es in Sachen Elektrifizierung mau aus. Zwar forderte Jean Todt unlängst auch zumindest Hybridtechnik im GT-Sport, doch bisher gilt in der Szene das Motto: zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus. Die Protagonisten der Sportwagenkategorien erleben ja hautnah, wie das Hybridreglement in der größeren LMP1-Klasse erst ausufert und dann implodiert. Die GT-Welt lebt aber ebenso wie die Tourenwagenszene vor allem von kleineren Kundenteams.

Keine Disziplin ist für die geringen Reichweiten von Batterien so ungeeignet wie der Rallyesport, wo die Autos mehrere Wertungsprüfungen und mehrere hundert Kilometer ohne Service schaffen müssen. Jean Todt fordert auch hier für die nächste Generation zumindest einen Hybridantrieb, doch die betroffenen Werke Ford, Hyundai, Toyota und Citroën stehen auf der Bremse: „Was auch immer beschlossen wird, es darf nicht teurer werden“, warnt Ci­troën-Sportchef Pierre Budar.

Ein neues Reglement kommt schon 2020 – zu früh, um mal eben einen elektrischen Zusatzantrieb unterzubringen. Zudem ist das Thema Sicherheit ohne Kiesbetten, Reifenstapel und Leitplanken ein Problem. „Wenn ein Auto gegen einen Baum prallt, dürfen Besatzung und Rettungskräfte nicht gefährdet sein“, sagt Hyundais Sport- und Technikchef Michel Nandan.

Hybridautos wird es in der Rallye-WM wohl frühestens 2023 geben, ob diese dann auf den Wertungsprüfungen mit elektrischer Zusatzpower fahren oder auf Verbindungsetappen vollelektrisch, ist bisher völlig ungeklärt. Der Vermarkter tritt angesichts der diversen Hindernisse die Flucht nach vorn an. Oliver Ciesla von der WRC Promoter GmbH wittert im Flüstermotorsport der elektrifizierten Welt ein Alleinstellungsmerkmal: „Wenn wir am Ende die letzten Rock ’n’ Roller des Motorsports sind, wo es noch brummt, dann würde ich das durchaus unterschreiben.“

Bilder: Toyota, Audi, FIA WRX

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