Religionsstreit

(Bild: BMW)

Das Auto, so lautet ein beliebtes Bonmot, ist das ultimative Smartphone. Ähnlich wie die kleinen klugen Telefone ist es Ausdruck einer Lebensweise. Und ähnlich wie das Telefon ist es zunehmend „always on“. Jedenfalls dann, wenn es nach den Vorstellungen der Autohersteller und ihrer Kunden aus der Generation Y, den Digital Natives geht. Das Smartphone ist Inbegriff des digitalen Lebensstils – naheliegend, dass die Kunden eben die Funktionen, die sie am Handy so schätzen, auch in ihrem großen Smartphone, dem Auto, nutzen wollen. Regenmacher des digitalen Universums wie Apple und Google stellen dazu Software bereit, mit deren Hilfe sich das Smartphone in die Benutzeroberfläche des Autos einklinken lässt. Die Apps laufen weiterhin auf dem Smartphone, aber die Bedienung erfolgt über die Schalter und Knöpfe des Fahrzeugs. Desgleichen die Darstellung: Der Handy-Bildschirm deaktiviert sich, stattdessen erscheinen seine Inhalte auf dem großen Mitteldisplay des Fahrzeugs, die Musik ertönt in der meist mit einem erheblich besseren Klangerlebnis ausgestatteten Soundanlage des Fahrzeugs. Eine Reihe von Regeln sorgt dafür, dass sich die Ablenkung des Fahrers durch die App in vertretbaren Grenzen hält – beispielsweise müssen Videos und Computerspiele draußen bleiben, sobald das Auto fährt. Und natürlich sind die großen Widersacher im digitalen Universum auch Konkurrenten im Auto: Apples CarPlay spielt nur Apple-Apps ab, Android Auto lässt nur die Anwendungen aus der Android-Welt durch. Ähnliche Spielregeln gelten in China, einem der wichtigsten Absatzmärkte. Dort haben nur einfach andere Internetgiganten das Sagen, allen voran der Suchmaschinenbetreiber Baidu, dessen Angebot auch Kartendienste und Cloud Services umfasst. Weitere wichtige Player sind die Handelsplattform Alibaba sowie die Tencent-Gruppe mit Social Networks. Weil der chinesische Markt so wichtig ist, kooperieren europäische Autobauer wie Audi, BMW und Daimler im Reich der Mitte mit den dortigen Internetschwergewichten bei der Entwicklung ähnlicher Lösungen wie im Westen. Ein Beispiel ist CarLife von Baidu, das angeblich 95 Prozent aller in China integrierten Smartphones integrieren kann. Zu den Besonderheiten der Smartphone-Einbindung im Reich der Mitte gehören das Erkennen chinesischer Schrift oder der Zugang zu einheimischen Navigationsservices. Audi packt zudem einen WLAN-Hotspot in seine Limousinen, bei welchem der LTE-Zugang auf die dortigen Frequenzen und Modulationsverfahren abgestimmt ist. Gemeinsames Merkmal all dieser Ansätze von Schanghai bis Silicon Valley: Das Smartphone spielt die erste Geige.

allerdings wirklich konsequent umsetzen will, stößt bei dieser Form der Smartphone-Integration schnell an Grenzen. Weil dieses Integrationsmodell immer auch auf die Ausgrenzung der Wettbewerber setzt, lassen sich aus der Sicht der Autohersteller damit niemals alle potenziellen Kunden erreichen. Die OEMs fühlen sich dabei nicht wohl, denn wer will schon nur Kunden von Apple oder Android-User ansprechen? Diesem Problem aus dem Weg gehen kann man mit neutralen Integrationsplattformen wie etwa MySpin von Bosch. Der Mechanismus ist dabei im Wesentlichen derselbe, doch lassen sich mit MySpin alle Smartphones im Auto nutzen, ganz egal welches Betriebssystem darauf läuft. MySpin fährt gegenwärtig in einigen Jaguar-Modellen durch die Lande. Auch chinesische Hersteller interessierten sich für die Software, heißt es bei dem Stuttgarter Zulieferer. Ähnlich agnostisch wie Bosch geht Volkswagen mit seiner Software App-Connect vor, die ebenfalls keinen technischen Religionsstreit vom Zaun bricht. Allerdings haben all diese Lösungen eines gemeinsam: Mit ihnen gelingt zwar die Integration des Smartphones ins Fahrzeug. In Zukunft wird es jedoch nicht nur darum gehen, das Internet ins Auto zu bringen, sondern auch das Auto ins Internet. Und bei dieser Aufgabe hilft die Smartphone-Integration nicht sonderlich viel. Denn die Apps aus dem Store können in der Regel nicht auf die Daten des Autos zugreifen. Einen Schritt weiter gehen Apps, die die OEMs entwickeln und ihren Kunden zur Verfügung stellen. Bei Infiniti, der Luxusmarke von Nissan beispielsweise, können Handy-Apps auf fahrerspezifische Einstellungen wie etwa die Sitzverstellung zugreifen. Noch einen Schritt weiter geht BMW bei seinem i3 – dort kann sogar eine App die Einstellungen und Daten des Fahrzeugs einsehen. Diese App, die auf SamsungUhren läuft, kann beispielsweise den Standort des Autos auslesen oder die Klimaanlage fernsteuern. Die Implementierung weitergehender Funktionen liegt damit meistenteils nicht in den Händen der Digital Player, sondern der Fahrzeughersteller und ihrer Zulieferer. Zwar hätten die Digital Player nur allzu gerne Zugriff auf den CAN-Bus der Fahrzeuge und damit auf die fahrzeugrelevanten Daten. Diesen Wunsch tragen sie bei Verhandlungen über die Smartphone-Integration auch regelmäßig an die OEMs heran, wie aus Managerkreisen berichtet wird. Doch damit würden die Autohersteller ihren wichtigsten Trumpf aus der Hand geben.

Der Dreh- und Angelpunkt für das digitale Fahrzeug und die darauf aufbauenden Services und Geschäftsmodelle bleibt daher die Head Unit der Autos. Dort laufen die Datenströme zusammen, dort werden sie sortiert, bearbeitet, neu zusammengestellt und für neue Services aufbereitet. Um solche Anwendungen aufzunehmen, verfügt sie über die erforderliche informationstechnische Infrastruktur in Gestalt von Prozessorleistung, Speicherkapazität, Firewalls und Kommunikationseinrichtungen. Zwar bieten einige Fahrzeughersteller auch die Möglichkeit an, Apps aus dem virtuellen HandyShop direkt auf der Head Unit laufen zu lassen. Das geht indessen nur bei dem Android-System. Apples Betriebssystem iOS ist zumindest einstweilen nicht für Head Units verfügbar. Von Installation und Betrieb von Android-Apps raten Insider allerdings ab: Allzu weit bleiben die Produktpflege und die Updatepolitik der Android-Anbieter hinter den Standards der Autoindustrie zurück. Auf der Mensch-Maschine-Schnittstelle läuft eine Vielzahl von Betriebssystemen, angefangen von Microsoft-Windows-Derivaten bei Fiat und Chrysler über die Systemsoftware VxWorks der Intel-Tochter Wind River bis zu der QNX Car Platform, die das Betriebssystem Neutrino einschließt. Mit einem Marktanteil von mehr als 50 Prozent ist der kanadische Anbieter QNX das Schwergewicht im Markt für Auto-Betriebssysteme. Das Mercedes-Infotainmentsystem Comand Online beispielsweise nutzt QNX, ebenso Fords Sync III und viele, viele andere Systeme. Es könnte allerdings sein, dass die beste Zeit für QNX sich dem Ende zuneigt. Diverse Autohersteller, darunter Daimler, BMW, Nissan, Renault und Volvo, haben sich in einem Konsortium zur Entwicklung eines Betriebssystems zusammengefunden, das auf Linux basieren und speziell für die Belange der Head Unit maßgeschneidert sein soll. Dieses System, Genivi, ist mehr als nur ein Betriebssystem, es handelt sich um ein Framework mit vielen vorkonfigurierten Funktionen und Schnittstellen. Diese Konstellation, so Genivi-Präsident Matt Jones, unterstützt Entwickler dort mit Softwareroutinen für Standardfunktionen, wo eine Differenzierung wegen des hohen Reifegrades ohnehin nicht so sinnvoll erscheint. Gleichzeitig, so Jones, erlaubt sie aufgrund ihres Framework-Konzepts die Einbindung eigener Software überall dort, wo der Kunde es wünscht. „Niemand kauft ein Auto wegen seines Betriebssystems“, sagt Jones. „Genivi ermöglicht es Entwicklern, auf der Anwendungsebene innovative Funktionen zu erschaffen.“ Die Beteiligung großer OEMs an dem Gemeinschaftsprojekt könnte sich lohnen: Sie erhalten damit eine wichtige Basis für die Beteiligung an digitalen Geschäftsmodellen.

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