Offshoring

Nicht wenige Unternehmen scheuen auch den zusätzlichen Koordinations- und Steueraufwand, klagen über mangelnde lokale Präsenz der Anbieter oder fürchten Qualitätsverluste und Defizite durch kulturelle Unterschiede. Treiber für das Offshoring sind eindeutig erwartete Kostenvorteile – tatsächlich haben laut PAC Konzerne mit mehr als 10 000 Mitarbeitern 20 bis 50 Prozent ihrer Kosten eingespart. Dagegen glauben 60 Prozent der Unternehmen ohne eigene Offshore-Erfahrung nicht an mögliche Einsparungen oder erwarten sogar Mehrkosten. „Der zunehmende Fachkräftemangel in Deutschland wird künftig eine stärkere Rolle spielen“, nennt Katharina Grimme als zweiten Offshoring-Treiber. Bei den meisten befragten Unternehmen liegt der Offshore-Anteil aber noch unter 30 Prozent, obwohl viele einen höheren Anteil für „ideal“ halten. Deshalb erwartet PAC eine zunehmende Bedeutung des Offshorings – auch durch die zunehmende Verbreitung der englischen Sprache in deutschen Unternehmen.

 

teilt Frank Bock ganz und gar nicht: Probleme bei komplexen IT-Projekten seien häufiger, wenn Englisch nicht die Mutter-, sondern nur die Zweitsprache der Beteiligten auf beiden Seiten sei, meint der Geschäftsführer des Kieler Softwarehauses Coronic, das teilweise im Besitz der Länder Schleswig-Holstein und Hamburg ist. „Wir sind die besseren Inder“, sagt Bock provokativ, meint damit aber nicht mangelnde fachliche Qualifikation der indischen IT-Konkurrenz. Softwareentwicklung etwa sei keine Massenproduktion, sondern in der Regel sehr individuell. Da seien manchmal zehn oder 15 Itinerationsschritte mit entsprechenden Abstimmungen nötig. Und die würden durch mögliche sprachliche Missverständnisse und auch durch unterschiedliche Arbeitszeiten wegen unterschiedlicher Zeitzonen aufwendiger und fehlerträchtiger. Aus Bocks Sicht sprechen noch weitere Gründe gegen Offshoring, das er schon deshalb für ein „Auslaufmodell“ hält, weil die Gehälter in Indien steigen – die gern zitierte Differenz zwischen 30 Euro Stundensatz für einen Senior Developer gegenüber 60 und mehr Euro in Deutschland werde in spätestens fünf Jahren komplett verschwunden sein. Im Vergleich zu anderen europäischen Industrieländern sei Deutschland heute schon dank langer Jahre massiver Zurückhaltung bei Lohnsteigerungen ein Niedriglohnland – vor allem im weniger industrialisierten Norden: „Wir haben hier genügend gut ausgebildete IT-Fachkräfte, trotz deutlich geringerer Stundensätze im Vergleich zu Stuttgart, München oder Nordrhein-Westfalen. Die hohe Lebensqualität und die geringeren Lebenshaltungskosten, etwa beim Kauf von Wohneigentum, sind für die Hochschulabsolventen durchaus attraktiv.“ Auch kulturelle Unterschiede sind nach Bocks Meinung ein durchaus berechtigtes Argument gegen Offshoring: „Der Erlebnishorizont ist anders. Wir haben gerade ein ÖPNV-Projekt umgesetzt. Davon hat der deutsche Entwickler eine gelebte Vorstellung, während man das einem indischen Entwickler erst sehr mühsam beibringen muss.“

Nearshoring in Norddeutschland anstatt Offshoring ist deshalb für Bock ein erfolgversprechendes Geschäftsmodell. Dabei ist das Nearshoring – meist für Outsourcing in osteuropäische Länder verwandt – eher ein Onshoring, also eine Auslagerung in die unmittelbare Nähe der Auftraggeber. Einen „gemischten“ Ansatz hat der IT-Dienstleister TUI Info-Tec. Das Unternehmen gehört zu 50,1 Prozent der indischen Sonata-Gruppe und zu 49,9 Prozent dem TUI-Konzern. Je nach Kundenwunsch und Preisvorstellung bietet er Outsourcingleistungen abgestuft onshore in Deutschland oder offshore in Indien an. „Offshoring wurde in Deutschland wegen des möglichen Abbaus von Arbeitsplätzen lange sehr negativ gesehen“, sagt Volker Mensing, Senior Manager Marketing & Communication bei TUI InfoTec. „Gerade mittelständische Unternehmen sind da immer noch zurückhaltend, weil sie sich nicht unter Rechtfertigungsdruck setzen lassen wollen.“ Doch das Argument Arbeitsplätze verliere durch Fachkräftemangel und demografische Entwicklung an Bedeutung. Auf andere Vorbehalte gegen Offshoring habe sein Unternehmen die richtigen Antworten, meint Mensing. Sicherheitsbedenken etwa nehme man sehr ernst: „Aber alle Daten bleiben in unseren Rechenzentren in Hannover und Salzgitter. Personenbezogene Daten dürften wir schon aus rechtlichen Gründen überhaupt nicht nach Indien geben.“ Auch Sprachbarrieren will man nicht bagatellisieren, sondern lösen. Mensing nennt ein Migrationsprojekt für Volkswagen, bei dem die Leistungen zu 92 Prozent offshore erbracht wurden. Den Kundenkontakt aber hielt ein deutscher Projektmanager, Deutsch war die Sprache auf allen Meetings, alle Services wurden in deutscher Sprache vorgehalten. „Das Beste aus zwei Welten“, nennt das Unternehmen seine Strategie.

 

Autor: Gert Reiling

Foto : Daimler

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