Der Continental-Standort in Timisoara aus der Vogelperspektive.

Der Standort Timisoara wurde mittlerweile zum dritten Mal erweitert. (Bild: Continental)

Als Continental im Jahr 2006 den Grundstein für ein neues Werk im rumänischen Timisoara legte, konnte wohl niemand ahnen, welche herausragende Stellung es einnehmen wird. Anfangs nur zur Fertigung von Airbags bestimmt, bündelt es mittlerweile die Kompetenzen im Geschäftsfeld User Experience und beliefert nahezu alle großen Autohersteller. „Damals existierte bei Continental noch kein Konzept für eine Megafactory wie diese. Es war vielmehr ein organisches Wachstum, das zu den drei Erweiterungen führte“, erklärt Christian von Albrichsfeld, Landesleiter Continental in Rumänien und Entwicklungsdirektor.

Beim jüngsten Ausbau investierte der Zulieferer rund 40 Millionen Euro und vergrößerte die Produktionsfläche um über 7.000 auf 18.000 Quadratmeter. Die Gründe für das Wachstum sind offensichtlich: Große Displays in C- oder L-Form sowie von A-Säule zu A-Säule erobern das Interieur der Fahrzeuge im Sturm. Anfang des Jahres summierte sich der Auftragseingang für derartige Produkte bei Continental auf über sieben Milliarden Euro. „Wer seine Kunden und Aufträge behalten will, muss investieren“, bringt von Albrichsfeld es auf den Punkt. Größere Produkte würden schlichtweg mehr Produktionsfläche benötigen.

Trend zum volldigitalen Armaturenbrett

Der Begriff Megafactory beziehe sich jedoch nicht nur auf die Größe des Werkes. Er sei zugleich verknüpft mit den komplexeren Produkten und den Technologien einer Smart Factory, führt der Länderchef aus. Gerade bei Digitalisierung und Automatisierung lege das Werk mit seinen 2.400 Mitarbeitern die Messlatte besonders hoch. Die Produktion der Displays, digitalen Cluster und Head-up-Displays (HUD) wird dabei in zwei sogenannte Focus Factories unterteilt – Digital Solutions und User Experience. Abseits davon existiert am Standort eine weitere Organisationseinheit für passive Sicherheitssysteme.

Den Anfang machte 2008 ein analoges Kombiinstrument mit einem kleinen Zentraldisplay, welches für einen deutschen Autohersteller produziert wurde, erinnert sich Werksleiter Lucian Margineanu. „So hat die Reise hier begonnen.“ Rund zehn Jahre lang kamen zwar neue Produkte hinzu, völlig neue Technologien musste der Zulieferer – bis auf die HUDs – allerdings nicht integrieren. Im Jahr 2019 trat jedoch ein Wandel der Kundenbedürfnisse ein, den Margineanu nach eigener Aussage nicht in dieser Geschwindigkeit erwartet hätte. Nicht nur die Kombiinstrumente ließen das analoge Zeitalter hinter sich, der Trend ging gar hin zum volldigitalen Armaturenbrett. Die Software dafür wanderte in separate Elektronikmodule, die im nächsten Entwicklungsschritt durch domänenübergreifende High-Performance Computer ersetzt werden.

Auf welche Weise ein digitaler Anzeigeverbund heutzutage entsteht, zeigt der Zulieferer am Beispiel eines Curved Displays, das in dem 4.000 Quadratmeter großen Gebäude für einen deutschen Premiumhersteller gefertigt wird. Bis zur finalen Montage laufen hierfür mehrere Linien parallel. Die grundlegendste Aufgabe kommt den Anlagen für das Bestücken der bedruckten Leiterplatten (PCB) zu. Diese wurden vorab speziell für das jeweilige Produkt designt und erhalten mittels Surface Mount Technology (SMT) ihre notwendigen Elektronikkomponenten auf Vorder- und Rückseite. Für ein großes Display werden bis zu zwölf solcher PCBs benötigt. Kameras überwachen jeden Prozessschritt. „Den KI-Algorithmus haben wir in der automatisierten Leiterplattenbestückung schon länger im Einsatz“, berichtet Flavius Mihaila, Head of Focus Factory Display Solutions in Timisoara. Zur finalen Qualitätssicherung musste er neu angelernt werden.

Der Trend geht hin zu immer größeren Displays, die im Auto von A-Säule zu A-Säule reichen.
Moderne Displays können sich über die gesamte Armatur erstrecken. (Bild: Continental)

Die Megafactory lebt von Standardisierung

Parallel dazu laufen zwei Linien mit insgesamt gut einem Dutzend Robotern, die den essenziellen Lichtleiter einbringen. Das kleine Kunststoffelement gewährleistet später, dass die gesamte Fläche des Displays gleichmäßig ausgeleuchtet wird.  Die Beleuchtung selbst wird wiederum in einer O-förmigen Linie vorbereitet. „Die Standardisierung dieser Prozesse ist eines der Highlights unserer Megafactory“, sagt Mihaila. Im Reinraum nimmt das Endprodukt schließlich Gestalt an. Beim sogenannten Optical Bonding werden die vormontierten Displays in Position gebracht und mit ihrer Front zusammengeführt. Von vorne macht das Display nun einen fertigen Eindruck: Es wird mittels Kameras genauestens inspiziert und zum ersten Mal eingeschaltet, um die Beleuchtung zu überprüfen. Die Rückseite offenbart jedoch, dass noch einiges an Arbeit bevorsteht.

Den Höhepunkt erreicht bei der Endmontage auch der Automatisierungsgrad. Nachdem die Spannungsoberfläche einer Plasmareinigung unterzogen wurde, werden die unterschiedlichen Leiterplatten aufgeklebt und finale Schraubvorgänge erledigt. Kameras überwachen jeden Prozessschritt. Auch Licht und Touch-Funktion werden abschließend getestet. Ganz zum Schluss wird die Wärmeleitpaste aufgetragen und die Rückseite des Displays montiert. Samt der Halterung ist es damit fertig zur Auslieferung.

Die Produktion eines Curved Displays am Continental-Standort in Timisoara.
In einem Display werden rund 20 Folien geschichtet. Sie dienen als Bindeglied, verhindern Reflexionen oder werden für AR-Funktionen eingesetzt. (Bild: Continental)

Continental nutzt Logistikfläche optimal aus

Abseits der Produktion geizt Continental ebenso wenig mit Innovationen. Das benachbarte Warenlager musste 2018 – aufgrund der Erweiterung der Produktionsfläche – verkleinert werden und erfuhr im Zuge dessen eine radikale Erneuerung. Innerhalb weniger Monate wurde die Halle renoviert und das vollautomatisierte Autostore-Konzept implementiert. „Wir haben uns den Platz mit Hilfe neuer Technologie zurückgeholt“, erläutert Cosmin Andrei Stancu, Supply Chain Designer bei Continental.

Das Herzstück der Logistik ist seither eine 900 Quadratmeter große Gitterbox, die aus 13 Ebenen und 30.000 Behältern besteht. Auf ihr rollen 26 Picking-Roboter umher, welche die Komponenten-Boxen möglichst effizient einordnen und diese bei Bedarf zum Operator transportieren. „Aufeinandergestapelt wären die Behälter ein elf Kilometer hoher Turm“, veranschaulicht Stancu. Damit die Logistik den Überblick über die Komponenten behält, werden diese gelabelt und automatisch über das Enterprise Resource Planning System von SAP verbucht. Auch eine direkte Integration an die Lkw-Transporte sei künftig denkbar, so der Supply Chain Designer.

Die Autostore-Logistik von Continental am Standort Timisoara.
Das Autostore-Konzept nutzt die Logistikfläche effizienter aus. (Bild: Continental)

Im neuesten Conti-Gebäude wird gezaubert

Im neuesten Gebäude des Standorts, das im November 2022 eröffnet wurde, ist schließlich das Kompetenzzentrum für Head-up-Displays beheimatet. Dort wurde im Zuge des jüngsten Ausbaus die Produktion der asphärischen Spiegel integriert. Bis Ende 2024 sollen hier weitere Linien ihren Dienst aufnehmen. Die Spiegelfertigung verläuft dabei auf Basis von Echtzeitdaten, die mit der bestehenden Infrastruktur sowie den Montagelinien der HUDs verknüpft sind. „Wenn die Bilderzeugungseinheit das Gehirn des Head-up-Displays ist, dann ist der asphärische Spiegel die Seele“, vergleicht Werksleiter Margineanu. Der Spiegel projiziere das Bild der Bilderzeugungseinheit auf die Windschutzscheibe. Je größer er ist, desto größer die Projektion.

Das Grundmaterial für die Seele des HUDs ist denkbar unscheinbar. Kleine transparente Plastikkügelchen werden bei rund 250 Grad im Präzisionsspritzguss zum leicht gekrümmten Spiegel umgeformt. Ein Vorgang, der absolute Präzision erfordert, immerhin muss die Krümmung an die Windschutzscheibe angepasst sein. Die mit Hilfe eines 3D-Abbilds überprüfte, dünne Plastikscheibe erhält dann eine Beschichtung aus Nanometallpartikeln. „Die Produktion der Spiegel gleicht manchmal Zauberei“, hebt Margineanu die Komplexität hervor. Die beim Vorgang eingesetzte Sputtering-Anlage sei in Europa bislang einzigartig und setze neue Maßstäbe.

Bei der Endmontage der Head-Up-Displays werden Gehirn und Seele letztlich in einem Körper vereint. Fast zehn Jahre ist es her, als in Timisoara das erste HUD für einen Premiumhersteller gefertigt wurde. Seither ist die Produktion angewachsen und bedient das „Who is Who“ der deutschen Autoindustrie. Die Grundlage schaffen – wie in der Displayfertigung – die eigens bestückten Leiterplatten. Gemeinsam mit der betriebsintern vormontierten Bilderzeugungseinheit werden diese in manuellen Arbeitsschritten sowie mittels kollaborativen Robotern von innen angebracht und der asphärische Spiegel aufgeklebt. Nun fehlt nur noch das Frontgehäuse, bevor die HUDs mit Software beschrieben, kalibriert und aus der Fahrersicht getestet werden.

Die Produktion von Head-up-Displays am Continental-Standort Timisoara.
In Timisoara werden unterschiedliche HUD-Größen produziert. Denn auch hier geht der Trend zu immer größeren Lösungen. (Bild: Continental)

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