
Mercedes ist beim estnischen Startup Starship Technologies eingestiegen, das einen autonomen Lieferroboter entwickelt hat, der bereits in Hamburg testweise Pizzas und Burger lieferte. (Bild: Starship Technologies)
Kaum jemand, der nicht regelmäßig online bestellt und kaum jemand, der sich nicht fast täglich über einen Stau durch in zweiter Reihe parkende Zustellfahrzeuge ärgert. Allein DHL lieferte 2021 in Deutschland mehr als 1,8 Milliarden Pakete aus (Vorjahr: 1,6 Milliarden). Tendenz: Rasant steigend. Die Unternehmensberatung Oliver Wyman geht davon aus, dass im Jahr 2028 deutschlandweit insgesamt neun Milliarden Pakete unterwegs sein werden. Denn von Autoreifen über Blumenerde bis zum Wochenvorrat an Lebensmitteln wird mittlerweile so ziemlich alles online bestellt. Ist ja so bequem und günstig - für den Käufer. Der Zusteller denkt anders darüber.
Und insgesamt betrachtet geht günstig anders: Die meisten Zustellfahrzeuge sind immer noch dieselnde Transporter, die mit ihrem Schadstoffausstoß der Umwelt zusetzen, für Lärm und Stau sorgen. Und die Logistikbranche klagt, dass die Auslieferung von Paketen auf der letzten Meile, also vom örtlichen Lager zur Haustür des Kunden, mehr als die Hälfte der gesamten Kosten des Pakettransports verschlingt. „Der Hauptkostentreiber auf der letzten Meile ist der Stopp: Je weniger Pakete pro Stopp zugestellt werden, desto teurer ist der Zustellprozess“, erklärt Marten Bosselmann, Vorsitzender des Bundesverbandes Paket und Expresslogistik (BIEK). Zumal für die Zustellung am meisten Mitarbeiter und Fahrzeuge unterwegs sind – die langsam die Städte verstopfen. Ein ressourcenfressender Luxus, den wir uns so wohl bald nicht mehr leisten können.
Bis zu 40 Prozent mehr Zustellungen durch neue Lieferfahrzeuge
Es müssen neue Lösungen her, an denen momentan weltweit gearbeitet wird. Uns sollen Päckchen automatisiert und emissionsfrei mit möglichst kleinen, gehwegtauglichen Gefährten erreichen. Und das nicht erst in ferner Zukunft, sondern schon morgen. Dieses Ziel verfolgt jedenfalls Kai Kreisköther. „Wir brauchen für das Problem der urbanen Logistik eine Lösung, die jetzt funktioniert“, sagt der Gründer des Aachener Startups Droid Drive. Kreisköther und seine Kollegen haben den „Duck Train“ entwickelt. Der heißt nicht von ungefähr so: Bei dem „Entenzug“ watscheln kleine mit Paketen beladene Wägelchen wie Küken in einer Kolonne ihrer „Mutter“, dem Zusteller, hinterher. Der fährt mit einem E-Bike voran, während ihm bis zu fünf autonome Elektro-Wägelchen von Haustür zu Haustür mit maximal 25 km/h folgen. Die „Ducks“ können 300 Kilogramm (ein ganzer Ducktrain 1,5 Tonnen) laden, kommen mit einer Batterieladung 50 Kilometer weit, sind 2,2 Meter lang und einen Meter breit – ähnliche Abmessungen wie eine Europalette. Damit sind sie wendig genug, um über Gehwege zu kutschieren oder zwischen Pollern hindurch zu kommen.
Laserscanner checken die Umgebung und melden der Steuerungssoftware, wo sie ausweichen müssen. Die Ducks sind untereinander und mit dem Zusteller über dessen Handheld verbunden, sodass sie ihm stoisch folgen können. Wobei der Postbote auch bei Bedarf seine Gefolgschaft von Hand steuern kann. „Da es für autonome Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr noch kein Regelwerk gibt, ist das für uns ein guter Zwischenschritt“, erklärt Kreisköther. Denn teilautomatisiertes Fahren ist mit Sonderstraßenzulassungen schon jetzt möglich. Daher wird der Ducktrain bereits unter anderem in Aachen und Hamburg bei Citylogistikern getestet.
Ziel der Entwicklungsmannschaft ist, in wenigen Jahren die Küken völlig allein losschicken zu können – ohne Führungsperson. Dann sollen sie vom regionalen Verteilzentrum autonom in die Stadt ausschwärmen. „Diese Funktion wird per Software-Update nachgerüstet“, sagt Kreisköther, „Denn schon jetzt sind die Fahrzeuge dafür vorbereitet.“ Dann können sie entweder autonom den Zusteller vor einem Haus aufsuchen oder den Kunden, der sein Paket selbst aus dem Duck entnimmt. Allerdings hält selbst Kreisköther die letzte Variante für weniger wahrscheinlich, da Onlinekäufer Lieferungen bis direkt vor die Haustür erwarten. Heißt: Menschlichen Zustellern geht die Arbeit wohl nicht aus. Sie müssen sich nur nicht mehr mit lästiger Parkplatzsuche oder langen Fußwegen herumschlagen und schaffen so mehr: Kreisköther geht davon aus, dass Paketboten bis zu 40 Prozent mehr Sendungen am Tag zustellen können. Und das weitgehend emissionsfrei. Er glaubt, auf diese Weise alle konventionellen Lieferfahrzeuge aus den Städten verbannen zu können.
E-Commerce-Riese Alibaba setzt autonome Lieferroboter ein
Daran arbeitet auch das US-Unternehmen Deka Research & Development, das unter anderem durch den Segway bekannt erlangte. Salopp formuliert haben die Ingenieure einen elektrischen Rollstuhl so aufgebohrt, dass er autonom Pakete zustellen kann. An Bord hat der „Roxo“ die gesamte Bandbreite von Sensoren und Kameras, mit denen auch selbstfahrende Autos ausgestattet sind, damit er sich allein auf Gehwegen durchschlagen kann, ohne Passanten umzuholzen. Der US-Lieferdienstleister Fedex testet das Gefährt bereits unter anderem in Arizona, North Carolina, Pennsylvania, Tennessee, Texas, Utah und Virginia, wo mit ihm Pizzas, Ersatzteile und Lebensmittel ausgeliefert werden. Allerdings: Roxo wäre – in Serie produziert – wegen seiner umfangreichen Sensorik und Rechenpower an Bord recht teuer und hat mit acht Kilometern eine begrenzte Reichweite. Immerhin: Roxo erklimmt durch ein bewegliches Fahrwerk mit kleinen Hilfsrädern Bordsteine und schafft Treppen, solange deren Stufen flach sind.
Mercedes ist derweil bei dem 2014 gegründeten estnischen Startup Starship Technologies eingestiegen, das einen autonomen Lieferroboter entwickelt hat, der bereits in Hamburg testweise Pizzas und Burger lieferte. Ein recht futuristischer Anblick, denn das sechsrädrige Gefährt, etwa so groß wie eine Kiste Bier, erinnert eher an einen Mars-Rover als an einen Roboboten. Die Technik ist schon so weit gediehen, dass sie der chinesische E-Commerce-Riese Alibaba einsetzt. Für Bosselmann vom BIEK führt künftig an autonomen oder teilautonomen Fahrzeugen kaum ein Weg vorbei - nicht zuletzt, weil es an Fahrern mangelt. Bedingung: „Die Automobil- und Tech-Branche muss Paketdienstleistern entsprechend skalierbare Lösungen zur Verfügung stellen und es muss eine klare gesetzliche Regelung geben.“ Dann werden Robowägelchen, Ducks & Co. unsere Paketzusteller sein. Und das hoffentlich in Städten, in denen in zweiter Reihe parkende Lieferfahrzeuge, die für lange Staus sorgen, der Vergangenheit angehören werden.
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