
Der Druck steigt: Die Modellzyklen in der Autoindustrie werden immer kürzer, doch gleichzeitig wächst die Modellvielfalt. Entsprechend knapper bemessen sich die Zeitfenster, in denen ein neues Auto entwickelt werden muss. Entwicklungsdienstleister wie die Bertrandt-Gruppe im schwäbischen Ehningen setzen daher verstärkt auf die Simulation. „Der Bereich hat sich bei uns in den vergangenen beiden Jahren personell verdoppelt“, erläutert Hans-Gerd Claus, Fachbereichsleiter Versuch und Simulation bei Bertrandt. Mehr als hundert Entwickler unterstützen konzernweit internationale Kunden aus der Automobil- und Luftfahrtindustrie. Insgesamt beschäftigt die Bertrandt- Gruppe mehr als 6000 Menschen an 30 unterschiedlichen Standorten. In den vergangenen zehn Jahren haben auch die technischen Möglichkeiten entscheidend dazu beigetragen, dass Simulation eine feste und vor allem verlässliche Größe in der Fahrzeugentwicklung geworden ist. Die Entwicklung ging weg von den Großrechnern hin zu Rechen-Clustern. „Die Cluster bauen auf Standardhardware auf“, weiß Claus. Die Entwicklung habe dazu geführt, dass der gesamte Simulationsprozess heute viel mehr in das tägliche Geschäft eingeflossen sei. „Mit den Rechenressourcen wurde die Möglichkeit gegeben, in den immer kleiner werdenden Zeitfenstern klare Aussagen zu treffen.“
Gerade beim Thema Simulationen pflegt Bertrandt den engen Schulterschluss mit den Herstellern. Der Entwicklungsdienstleister sitzt mit einem Team nicht nur vor Ort in unmittelbarer Nähe zu den OEM. Es hat sich zudem in der Simulation ein vertrauensvolles Verhältnis in der Zusammenarbeit entwickelt. „Wir haben Standorte, an denen unsere Experten Zugang zu den Großrechnern der Kunden haben“, erläutert Claus. Die Bertrandt-Ingenieure können folglich einfach von ihrem Arbeitsplatz aus die erstklassige Rechenpower der Unternehmen nutzen.Dabei sind hohe Rechnerleistungen nicht der einzige Schlüssel zum Erfolg. Bertrandt setzt parallel zur aufwändigen 3D-Simulation weiterhin auch auf 1DBerechnungen. „Man kann Strömungssimulation mit einer 3D-Simulation abbilden“, erklärt Claus. „Doch das geht zu Lasten der Rechenzeit und ist deshalb teuer.“ Auf den klassischen Feldern hält der Experte dies jedoch für verzichtbar. „In der frühen Auslegungsphase ist man mit den 1D-Tools sehr schnell unterwegs und kann Parameterstudien machen.“ Dies erfolge jedoch oftmals im Zusammen-spiel mit den 3D-Tools, um unter Umständen noch weitere Aussagen treffen zu können. Die Möglichkeiten der Simulation sind vielfältig. Passive und aktive Sicherheit gehören ebenso dazu wie die Steifigkeit der Karosserie und der Schwingungskomfort. Die gesamte Um- und Durchströmung von Aggregaten lässt sich ebenso virtuell darstellen wie die Betriebsfestigkeit einzelner Bauteile. „Vor drei bis fünf Jahren gab es noch die Vision, man könnte eine virtuelle Fahrzeugentwicklung anstreben“, blickt Claus zurück. Doch es bleiben Grenzen. Untersucht man beispielsweise das Komfortverhalten eines Autositzes, dann können virtuell Aussagen über die Festigkeit des Schaums getroffen werden. Aber das subjektive Komfortempfinden ist sehr schwer zu fassen. Ebenso zeigen gewisse Vorgänge wie das Bruchverhalten von Kunststoffen die Grenzen der Simulation auf. Im Vergleich von Varianten liegt dagegen für Claus eine große Stärke der Simulation. Nicht zu unterschätzen ist dabei der Faktor Erfahrung, mit der letztlich auch Fehlinterpretationen vermieden werden können. Bei der Plausibilisierung von Testergebnissen spielen Erfahrung und Teamarbeit nämlich eine bedeutende Rolle. Zusätzliche Felder für Simulation sieht Claus im Bereich Entertainment und Multimedia. Energiemanagement des Fahrzeugs und elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) könnten in Zukunft auch in der Simulation einen größeren Stellenwert haben. Dass die komplexen Verfahren weiter an Bedeutung zunehmen, dafür sorgen vor allem die Autobauer. Laut einer Untersuchung der Unternehmensberatung McKinsey wird die Typenvielfalt in der Autobranche von 47 auf 60 Typen im Jahr 2020 steigen. Somit kommt man um den Einsatz von Simulationen gar nicht mehr herum. „Die kürzer werdenden Entwicklungszeiten geben der Simulation Rückenwind“, ist sich der Fachbereichsleiter sicher.
3D Versus 1D
Die 3D-CFD-Simulation (computational fluid dynamics) ist aufgrund ihrer räumlichen Auflösung in drei Dimensionen rechnerisch anspruchsvoll. Dies fällt vor allem bei der Simulation von innermotorischen Strömungen ins Gewicht. Hier müssen besonders engmaschige R chengitter für die Diskreditierung gewählt werden, um eine verwertbare Genauigkeit zu erzielen. Rechenzeiten von mehreren Stunden sind die Folge. Ob sich diese künftig drastisch verkürzen lassen, ist schwer abzuschätzen. Eine Alternative ist die 1D-Simulation, da sie mit weniger
aufwändigen, eindimensionalen oder quasidimensionalen A bbildungen arbeitet. So können Einflussparameter schneller abgeschätzt werden – Szenarien und Lösungsansätze lassen sich ohne hohen echenaufwand sofort vergleichen.
Autor: Ulrich Bethscheider-Kieser
Sie möchten gerne weiterlesen?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos:
Sie sind bereits registriert?
Hier anmeldenAktuelle Beiträge

„Dem Kunden ist es egal, woher die Software stammt“
Seitdem Magnus Östberg letzten September die Rolle als Chief Software Officer bei Mercedes-Benz eingenommen hat, wurden viele Weichen für die Zukunft gestellt: Das softwaredefinierte Fahrzeug soll in den Mittelpunkt des Handelns gestellt werden.Weiterlesen...

„Die Konsolidierung wird weiter voranschreiten“
Für Autoexperte Stefan Bratzel ist klar: Die Transformation der Autoindustrie wird zu einigen unschönen Verwerfungen führen. Autobauer müssten daher bei Software oder Elektromobilität Fahrt aufnehmen, um die eigene Zukunftsfähigkeit zu garantieren.Weiterlesen...

„Security wird zu oft als Verhinderer gesehen"
Die Digitalisierung im Eiltempo hat ihre Tücken: Sie entwickelt sich meist schneller, als Security-Konzepte mithalten können. ISG-Experte Roger Albrecht erklärt, wie Firmen auf diese komplexen Anforderungen reagieren können.Weiterlesen...

„Lidar wird in der Zukunft nur noch eine Nische darstellen“
Einst ging Tesla mit seinem Lidar-Verzicht beim autonomen Fahren einen Sonderweg. Durch die neuen Möglichkeiten eines 4D Imaging Radar könnte die Strategie jedoch bald Nachahmer finden, erläutert Matthias Feulner, ADAS-Experte von NXP.Weiterlesen...

„Es wird keine Trennung zwischen IT und OT mehr geben"
Der Amtsantritt von Hanna Hennig als IT-Chefin von Siemens war turbulent: Es galt, die Folgen der Coronapandemie zu managen sowie neue Cloud- und Security-Konzepte auf den Weg zu bringen. automotiveIT gewährt sie einen Einblick in ihre Agenda.Weiterlesen...
Diskutieren Sie mit