40-41_VR in der Produktion_IMP

Manches geht einfach besser, wenn man die Hände frei hat. Dies war für Renault Trucks die Überlegung bei der Entwicklung einer Augmented-Reality-Anwendung für die Qualitätssicherung in der Motorenherstellung. Gemeinsam mit dem AR-Spezialisten Immersion hat der Lkw-Hersteller Anfang des Jahres in seinem Motorenwerk in Lyon ein entsprechendes Pilotprojekt gestartet: Mitarbeiter in der Qualitätskontrolle tragen eine HoloLens von Microsoft, mit der sich alle Motorkomponenten visualisieren lassen.

Die Mitarbeiter bekommen dann in ihr Sichtfeld Erläuterungen eingeblendet, um bei der Qualitätskontrolle die richtigen Entscheidungen zu treffen. Bislang mussten sie sich dazu an einer Checkliste auf Papier orientieren. Renault Trucks hofft, dass durch Mixed Reality die Qualitätskontrolle rascher abläuft und insgesamt besser wird. Ist das Pilotprojekt erfolgreich, soll die Anwendung 2019/2020 in Lyon in den Regelbetrieb übergehen.

VR-/AR-Anwendungen gelten in der Automobilindustrie schon seit Jahren als wichtige Technologie. Fast klischeehaft sind in der öffentlichen Kommunikation Ingenieure im Bereich Forschung und Entwicklung an VR-Modellen tätig. Doch das, sagt Gabriel Seiberth, dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Technologie insgesamt – selbst im Bereich Forschung und Entwicklung – noch in den Kinderschuhen stecke. Seiberth ist Geschäftsführer im Bereich Digital bei Accenture und dort für Automobilthemen zuständig.

„Jeder erprobt nun VR/AR, in allen Bereichen, aber oft fehlen noch die Business Cases.“ Die Produktion ist in seinen Augen dabei ein ganz spezieller Fall: „Sie ist bereits so optimiert, dass es durch AR/VR nur wenige relativ leicht zu realisierende Einsparungen gibt.“ Diese können es aber durchaus in sich haben: „Training, Wartung und das flexible Produzieren verschiedener Fahrzeuge auf derselben Fertigungslinie sind interessante Anwendungsfelder für virtuelle Technologien“, sagt Experte Seiberth.

Wichtig sei es nun auch, dass es bei der Hardware weitere Fortschritte gebe: „Die Brillen etwa müssen besser werden, damit ein Arbeiter sie die gesamte Schicht über tragen kann, ohne dass ihm unwohl wird.“ Ein weiteres zentrales Element für den Durchbruch von VR/AR ist in Seiberths Augen der Übergang zur automatisierten Datenaufbereitung und -versorgung: „Das wird für die Akzeptanz essenziell sein – heute ist alles noch zu sehr Manufaktur.“ Daher erwartet der Accenture-Manager, dass VR/AR-Technologien in der Automobilproduktion „erst gegen 2025 in voller Blüte“ stehen werden.

Volkswagen hat im vergangenen Jahr konzernweit mit dem Rollout von VR-Technologien auf Basis der Vive-Brille von HTC begonnen. Interaktive Lösungen für die Produktion und Logistik spielen dabei eine wichtige Rolle. „In der 3D-Welt können Mitarbeiter neue Arbeitsabläufe lernen, noch bevor zum Beispiel eine neue Produktionslinie fertiggestellt ist“, sagt Dennis Abmeier aus der Konzern-IT, der gleichzeitig Mitglied im Team Digital Realities ist.

Beim Anlauf neuer Modelle, beim Bau neuer Fabriken oder bei Systemeinführungen müssen Mitarbeiter in kurzer Zeit qualifiziert werden. Anstatt aufwendige und teure Trainingszentren oder -flächen zu bauen, sollen die Schulungen künftig auch im virtuellen Raum stattfinden.

In diesem Jahr will Volkswagen 10 000 Mitarbeiter mit Virtual Reality qualifizieren. Ein Beispiel für den VR-Einsatz im Produktionsumfeld sind Schulungen für die Mitfahrplattform im Wolfsburger Werk: Früher mussten die Mitarbeiter schwere Wagen durch die Fertigungshalle schieben, um die Teile an den einzelnen Stationen abzuholen. Die Mitfahrplattform dagegen befördert den Mitarbeiter gleich mit, was Zeit und Kraft spart.

„Die Plattform ist sehr individuell auf den spezifischen Einsatzort zurechtgeschnitten“, erklärt Dennis Abmeier. „Vor Einführung des VR-Trainings wurden die Mitarbeiter im laufenden Betrieb auf die Anlage eingewiesen. Gerade in der Anlaufphase eines neuen Modells waren dadurch mehrere Mitarbeiter eingebunden, um die Anlage zu bedienen. Dank VR können sie nun lange vor Inbetriebnahme der Anlage geschult werden – „entkoppelt vom Fertigungstakt, ohne dass sie physisch in einem Trainingszentrum installiert sein muss“.

Ein Beispiel aus dem VW-Werk in Emden zeigt in Abmeiers Augen einen weiteren Vorteil von VR in der Produktion: „Früher wurden die Mitarbeiter für ihre späteren Aufgaben auf speziell hergerichteten, großen Flächen im Trainingszentrum qualifiziert. Die Vorbereitung dafür war jedes Mal ein erheblicher Aufwand.“

Und trotzdem blieb alles recht abstrakt: Fotos von Gabelstaplern und Routenzügen stellten eine konkrete Situation im Werk in Verbindung mit einem Rollenspiel dar. „Mit VR lassen sich dagegen echte, virtuelle Lastwagen und komplette Werke darstellen, auf nur 25 Qua­dratmetern.“ Die Fläche kann abhängig vom Einsatzszenario mit unterschiedlichen Situationen und Programmen genutzt werden – ohne Umbauten.

Die visualisierten Informationen beruhen laut Abmeier zum Großteil auf Daten der Bestandssysteme der digitalen Fabrik. Die digitale Fabrik arbeitet bei Volkswagen seit vielen Jahren daran, alle Daten, die in der Planung benötigt werden, digital zur Verfügung zu stellen und zu visualisieren. „Fehlende Daten für ein konkretes VR-Training werden von unseren Spezialisten nachträglich erstellt und in die Datenbank eingespeist“, erklärt Dennis Abmeier. „Des Weiteren sind Tools im Einsatz, die die Daten automatisiert für VR/AR aufbereiten.“

Diese Werkzeuge und Datenbanken werden im Rahmen eines Konzernprojekts der digitalen Fabrik konzipiert und dann zentral von der IT über eine Plattform zur Verfügung gestellt. „Jedem Konzern-Stakeholder steht es dann frei, seine eigenen Prozesse zu digitalisieren und über die Plattform zu veröffentlichen. So schaffen wir Transparenz und heben Synergien.“ Ziel sei es, möglichst wenig zu programmieren und ein umfassendes Framework aus Tools und Daten bereitzustellen. Künftig sollen die Fachabteilungen die benötigten Inhalte per Drag & Drop selbst erstellen können, wobei der Weg dorthin „noch lang“ sei, wie Dennis Abmeier zugibt.

Bild: Volkswagen

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