Audi packt beherzt die Digitalisierung von Produktion und Logistik an und startet dazu die „Automotive Initiative 2025“ (AI25). Gemeinsam mit Tech-Partnern wie Amazon Web Services und SAP, der Management- und IT-Beratung Capgemini sowie wissenschaftlicher Begleitung durch die TU München und des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation will der Autohersteller seine Fabriken transformieren. Auch das im letzten Jahr von Audi und Capgemini gegründete Joint Venture XL2 soll eine wichtige Rolle spielen, um IT-Innovationen schneller in die weltweit verteilte Fahrzeugfertigung zu bringen.
50 Prozent der Altsysteme abschalten
In den nächsten fünf Jahre werden im Rahmen der AI25 neue Digitallösungen für die Fabrik der Zukunft entwickelt und in den Serieneinsatz überführt, teilte Audi mit. Übergeordnetes Ziel sei, die Produktion und Logistik effizienter und flexibler zu gestalten. Andreas Lehe, seit November 2020 als Leiter des Bereichs Strategische Planung für die Weiterentwicklung der Audi-Produktionsstrategie verantwortlich, spricht von vollvernetzten Fabriken mit Datenflüssen und Prozessen, die nahtlos ineinandergreifen. Das Fundament dafür lege eine standardisierte und einheitliche Informationstechnik. Im Gespräch mit automotiveIT betonte Lehe, die derzeit fragmentierte IT-/OT-Landschaft mit ihren Gewerkestrukturen aufbrechen zu wollen. Mehr noch: „Die Digitalisierung bietet uns ein Riesenpotenzial, um künftig die Anzahl der Systeme zu reduzieren. Wir streben an, 50 Prozent davon herunterzufahren.“
Neckarsulm wird als Pilotwerk und Reallabor dienen. Dort fertigt Audi die Modelle A4, A5 Cabrio, A6, A7 und den A8 sowie deren Derivate. Im rund sechs Kilometer entfernten Industriepark Böllinger Höfe entstehen in Kleinserie der R8 sowie der vollelektrische E-Tron GT. Diese Kombination aus Großserienfertigung und Manufaktur erlaubt es, unterschiedliche Konzepte und neue Verfahrensweisen auszuprobieren. „Gemeinsam mit unserem engagierten Expertenteam und den Partnern der ‚Automotive Initiative 2025‘ entwickeln wir den Standort zu einem führenden Werk für digitale Produktion und Logistik im Konzern“, zeigt sich Audi-Produktionsvorstand Peter Kössler überzeugt.
Mehr Tempo beim digitalen Wandel
Als technologische Basis dient die Digital Production Platform (DPP), in der die Daten aller Maschinen, Anlagen und Systeme sämtlicher Werke des Volkswagen-Konzerns zusammengeführt werden. Mit Neckarsulm und Ingolstadt sind die ersten beiden Audi-Standorte bereits an die DPP angebunden. Die übrigen folgen im Laufe dieses Jahres. Audi und die in der Automotive Initiative 2025 zusammengeschlossenen Partnerunternehmen setzen auf AWS-Technologien in den Bereichen Internet der Dinge, maschinelles Lernen und Computing Services. Sie werden speziell für das Produktionsumfeld entwickelt und auf die Anforderungen der Automobilindustrie erweitert. Zudem dient die Plattform SAP S/4HANA als Grundlage, um die nächste Generation digitaler Produktionsprozesse aufzusetzen. Im Fokus stehen neue Lösungen rund um die modulare Fertigung und die interoperable Fahrzeuglogistik. „Die AI25 zeichnet sich durch eine ganzheitliche Betrachtung des digitalen Wandels und ihren klaren Realbezug aus“, erklärt Audi-CIO Frank Loydl. „Wir betrachten sowohl strategische Themen als auch konkrete Use Cases, die den digitalen Wandel beschleunigen und neue innovative Impulse setzen. Neckarsulm kann zum Gravitationszentrum für die Digitalisierung der Produktion werden.”
Vorbild für die Fabriktransformation
Die Initiative will zudem Ideenschmiede und Impulsgeber für den gesamten Volkswagen-Konzern sein. Läuft alles nach Plan, werden die gewonnenen Erkenntnisse in die zukünftige IT-Bebauung der mehr als 120 Automobilwerke einfließen. Konkret geht es darum, allgemein gültige Standards zu definieren und konkrete Use Cases über die Industrial Cloud auszurollen. Parallel verfolgt die Automotive Initiative 2025 das Ziel, das weltweit führende Kompetenznetzwerk für digitale Fabriktransformation und -innovation zu werden. Für Helmut Krcmar, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsinformatik an der Technischen Universität München und Gründungsdekan des TUM Campus Heilbronn, steht der Erfolg außer Frage. „Heute wissen wir aus der Softwareentwicklung, wie wir die vielen einzelnen Aufgabenstellungen in Produktion und Logistik mit Microservices adressieren und die Erkenntnisse in einer Referenzarchitektur abbilden können. Vor zehn Jahren, als der Begriff Industrie 4.0 geprägt wurde, wäre das nicht möglich gewesen. Die Systemwelten hätten selbst vor fünf Jahren einen durchgängigen Datenfluss, wie wir ihn heute brauchen, nicht zugelassen.“ Insofern komme IA25 nicht zu spät, es sei nun aber höchste Zeit, unterschiedliche Player in einem Ökosystem zielgerichtet zusammen zu bringen.