Eine Audi-Mitarbeiterin führt den Nutzer virtuell durch das Werk in Ingolstadt.

Während der Echtzeit-Führung durch das Werk kann der Nutzer schriftliche oder mündliche Fragen stellen. (Bild: Audi)

Seit jeher versuchen Automobilhersteller Kunden an ihre Marke zu binden und ein ganz bestimmtes Lebensgefühl zu vermitteln. Neben Anzeigen-, Radio- und Fernsehwerbung ermöglichen es heute vor allem digitale Auftritte, wesentlich zielgerichteter und tiefgreifender zu werben und das Unternehmen weltweit zu präsentieren. Inwieweit sich Kunden von einer Marke angezogen fühlen, hängt nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Ipsos maßgeblich vom Grad der emotionalen Bindung ab. Die Analysten kommen zu dem Ergebnis, dass der Zusammenhang zwischen Markenbindung und der Bereitschaft der Kunden, Geld auszugeben, im Automotive-Bereich zwar geringer als in anderen Branchen ist, aber dennoch beeindruckend hoch ausfällt. Starke Automarken erreichen einen Share of Wallet (SOW), der um den Faktor 14 größer ist als bei schwachen Marken.

Porsche initiiert virtuelle Museumstour

Während klassische Produktwerbung weiterhin ein probates Mittel bleibt, setzen insbesondere Premiumhersteller darauf, die Marke für Kunden neu erlebbar zu machen. In der analogen Welt sind es neben dem Rennsport vor allem Automuseen, die Groß und Klein begeistern und den Markennamen mit Historie und Emotionen aufladen. Doch auch hier hinterlässt die digitale Transformation Spuren. So hat automotiveIT bereits über die virtuelle Tour berichtet, die das Porsche-Museum in Stuttgart anbietet – ein Versuch, die analoge Welt als digitales Erlebnis abzubilden.

Das Angebot erlaubt es, die Marke Porsche zu erleben und die Geschichte des Sportwagenbauers interaktiv zu verfolgen, ohne dafür an den Unternehmensstammsitz in Zuf­fenhausen zu reisen. Interessierte können sich durch das architektonisch prägnante Gebäude klicken und einen 360-Grad-Blick in jeden der Ausstellungsräume werfen. Auf diese Weise lassen sich auch Werkstatt, Kaffeebar und Shop virtuell erkunden. Allerdings fehlen Informationen zu den ausgestellten Modellen und es gibt keine Möglichkeit, etwas online im Shop zu bestellen. Die möglichen Verknüpfungen mit dem Handel sind noch nicht ausreichend ausgebaut.

Unterschiede bei Premium-Herstellern

Auch das Museum von Mercedes-Benz ist virtuell erkundbar. Obwohl die Aufbereitung des 360-Grad-Blicks im Vergleich zu Porsche weniger interaktiv erscheint, bindet Daimler Informationen zu den gezeigten Fahrzeugen ein. Da sich sogar Sonderausstellungen virtuell besuchen lassen, bietet das Erlebnis auch bei einem zweiten oder dritten Besuch noch reichlich Mehrwert. Ein virtueller Rundgang durch das Audi-Museum in Ingolstadt ist im Vergleich dazu dürftig: Wenig ansprechend aufbereitet, kann der Nutzer zwei Ebenen – eine Sonderausstellung und den Museumsladen – mittels 360-Grad-Blick einsehen. Fahrzeuginformationen oder die Möglichkeit von Onlinekäufen gibt es auch hier nicht.

Allein die Innenansicht des Horch 670 zeigt, welche technischen Möglichkeiten künftig in diesem Segment bestehen. Ein wirklicher Ersatz für einen Museumsbesuch ist jedoch keines der drei kostenlosen Angebote. In anderer Ausgestaltung wäre dies jedoch durchaus denkbar. Idealerweise würden Nutzer sich nahezu frei durch die Räume bewegen können, detaillierte Infos zu jedem Fahrzeug per Mausklick inklusive. Die an Google Street View angelehnte Erkundung der BMW-Niederlassung in Fröttmaning zeigt beispielhaft, wie viele Freiheiten derartige Konzepte bieten.

Virtuelle Werksführung als Novum

Zusätzlich zur Digitalisierung seines Museums beschreitet Audi seit November 2019 einen neuen Pfad und bietet erstmals virtuelle Werksführungen an. Mit AudiStream können Interessierte aus aller Welt einen Blick in das Werk Ingolstadt werfen. Derzeit wird die von automotiveIT getestete Führung nur auf Deutsch angeboten, Interessierte müssen den Webbrowser Google Chrome auf ihrem Endgerät installiert haben. Audi arbeitet aber bereits an der Optimierung für andere Browser.

Der Ablauf ist denkbar einfach: Auf der Website werden für Montag und Mittwoch Termine zwischen 14 und 18 Uhr angeboten. Die Werksführung erfolgt dann entweder per Livechat oder Livegespräch. Weil meistens ausreichend Plätze verfügbar sind, lassen sich noch am Tag der Reservierung Touren ergattern. Ein Makel könnte allerdings die Vorabauswahl sein, die den Chat oder das Gespräch je nach Uhrzeit zwingend vorgibt. Nachdem ein freier Slot gefunden ist, können Interessensschwerpunkte gesetzt werden – seien es bestimmte Modelle, Techniken wie Batteriefertigung oder Assistenzsysteme sowie unterschiedliche Unternehmensbereiche. Diese Auswahl hat jedoch keinen Einfluss auf die virtuelle Tour – keiner der ausgewählten Punkte wurde während der Führung behandelt. Vielmehr kam das Gefühl auf, dass es sich um eine standardisierte Abfolge von Stationen handelt, die aber immerhin live moderiert wird.

Die Interaktivität ist verbesserungswürdig

Wer die Führung über den E-Mail-Link startet, bekommt zunächst ein ansprechendes Intro-Video und einen Überblick über das Werk zu sehen. Darin werden die verschiedenen Produktionsbereiche auf einer Geländekarte gezeigt und mit Zahlen und Fakten erläutert. Anschließend folgt ein Blick ins Werk, der von der Stahlanlieferung über den Produktionsprozess mit Karosseriebau, Lackiererei und Montage bis hin zur Endabnahme des Fahrzeugs reicht. Insbesondere die von Audi gedrehten Videos wissen optisch und inhaltlich zu überzeugen und sind einer der Hauptgründe, die für eine solche Führung sprechen. Allerdings handelt es sich um nichts, was nicht in einem längeren Erklärvideo abgehandelt werden könnte. Ein Gefühl von Interaktivität stellt sich tatsächlich nur dann ein, wenn der Moderator auf Fragen eingeht.

Trotzdem: Die Moderation und die Möglichkeit, Fragen zu stellen, zählen eindeutig zu den Pluspunkten des neuen Konzepts. In Anbetracht des teilweise stockenden und wenig enthusiastischen Vortrags wäre es jedoch angebrachter, einen Teil vorher aufzuzeichnen. Dann könnten sich die Vortragenden besser auf Abweichungen vom Standardablauf konzentrieren. Bis auf kleinere Mängel ist die Umsetzung überzeugend. Bei der Chatvariante bekommt der Moderator die Fragen von einem Co-Moderator vorgelesen und beantwortet sie zeitnah. Deutlich interaktiver erscheint die Gesprächsvariante. Die Nutzer haben bei dieser weitaus kommunikativeren Form weniger das Gefühl, dass ihre Fragen zu rasch abgehandelt werden – denn nach etwa 15 Minuten ist die Führung bereits vorbei. Wünschenswert wäre es, spontane Änderungen des Inhalts zu ermöglichen, um in den einzelnen Abschnitten noch stärker auf Teilnehmerwünsche einzugehen.

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