Ein Porsche Taycan an einer Straße mit mehreren Ionity-Ladesäulen.

Die Autohersteller treiben vor allem den Ausbau der Schnelllade-Infrastruktur voran. (Bild: Porsche)

Wabenförmig spannt sich das Dach über der Tankstelle. Luftige Ästhetik in einem Industriegebiet nahe der A3. Nebenan ein Italiener, bei dem könnte man Kaffee trinken, wäre er aufgrund der Anti-Corona-Maßnahmen nicht geschlossen. Doch der Versuch, das Elektroauto, ein Testfahrzeug, mit neuem Strom zu versorgen, scheitert ohnehin. Denn mit Kreditkarte zahlen kann man hier nicht. Die Karte des Ladesäulenbetreibers befindet sich in Obhut des eine halbe Stunde später eintreffenden Pressesprechers, der auch eine passende App auf dem Smartphone hat. Es sind kleine Hürden, die den Alltag mit einem Elektroauto erschweren. So lange nur Enthusiasten sich für batterieelektrische Mobilität begeisterten, spielte das kaum eine Rolle. Doch das Jahr 2020 soll für die Autoindustrie den Wendepunkt darstellen: Elektromobilität für alle und jeden, daran arbeiten nahezu alle europäischen Hersteller. Getriebenen von den CO2-Flottenzielen der Europäischen Union haben sie kaum eine andere Wahl, treffen dabei jedoch auf einen höchst fragmentierten Markt für die elektrische Infrastruktur.

Notwendigkeit der Vereinheitlichung

Die Zeit, in der ein halbes Dutzend Mineralölkonzerne mit ihren Tankstellen den Energienachschub für die Mobilität sicherten, läuft ab. Stattdessen wirbt eine Heerschar von Anbietern mit Wallboxen, Ladekabeln, Schnellladetankstellen und zugehörigen Dienstleistungen um Kunden. Die Vielfalt ist nicht nur Ausdruck eines jungen Marktes, der noch vor der Konsolidierung steht, sondern auch der unterschiedlichen Gesetze und Richtlinien, die in den EU-Mitgliedsstaaten für die Elektroinstallation gelten. Ein eher kurioses Beispiel: Während nahezu alle Wallboxen in Deutschland über ein fest montiertes Ladekabel verfügen, ist dieses im Nachbarland Frankreich verboten. Jede Wallbox verfügt dort über eine Steckdose, in die das Ladekabel zunächst gesteckt werden muss. In dieser Situation bleibt den Autoherstellern nichts Anderes übrig, als das Heft selbst in die Hand zu nehmen: Mit umfangreichen Paketen aus Hardware und Dienstleistungen versuchen sie, für ihre Kunden den Umstieg in die elektrische Mobilität so einfach wie möglich zu gestalten.

Volkswagen als Europas größter Autohersteller gründete dafür Anfang 2019 eine eigene Tochtergesellschaft und nannte sie Elli, ein Akronym für „Elektrik Life“. Das Unternehmen tritt als Dienstleister in verschiedenen Rollen auf: Zum einen koordiniert es die Installation der Ladeeinrichtungen für Privat- und Flottenkunden. Sicherungen setzen, Kabel verlegen und Wallboxen anschließen kann jedoch nur der Elektrofachbetrieb vor Ort. Deshalb gab Elli im März 2020 eine Kooperation mit dem Zentralverband des Elektrohandwerks bekannt, unter dessen Mitgliedern sich rund 1.000 Fachbetriebe für Elektromobilität befinden. Ein Basisinstallationspaket, das 15 Meter Kabel weg und zwei Wanddurchbrüche umfasst, ist für rund 1.700 Euro bestellbar. Erste Zielgruppe sind die Käufer eines ID.3 von Volkswagen. „Wir bündeln die notwendigen Kompetenzen“, sagt Elli-CEO Thorsten Nicklass und macht deutlich, dass er auch den Autohandel entlasten will. Zweite Säule des Geschäftsmodells ist die Versorgung mit Ökostrom, wobei Elli vorerst nur als Zwischenhändler ohne eigene Stromproduktion auftritt. Seit Gründung des Unternehmens soll dafür bereits eine fünfstellige Zahl an Kunden gewonnen worden sein.

Autohersteller sind auf Kommunen angewiesen

Das Wechselstrom-Laden zuhause und am Arbeitsplatz, in der Regel mit maximal elf Kilowatt, soll Experten zufolge bis zu 80 Prozent aller Ladevorgänge ausmachen. Aber auch die restlichen 20 Prozent können den Autoherstellern nicht gleichgültig sein, denn nur eine flächendeckende Infrastruktur löst das Versprechen unbegrenzter individueller Mobilität ein, das mit jedem Auto unabhängig vom Antrieb verlauft wird. Die dafür notwendigen Ladepunkte müssen größtenteils noch geschaffen werden. Anfang des Jahres standen deutschlandweit nach Zählung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) rund 24.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte zur Verfügung – das entspricht einer Steigerung um 50 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitpunkt, ist aber nur ein Bruchteil der Million, die von der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität für das Jahr 2030 gefordert wird. Die Autohersteller können selbst einen Beitrag leisten. So will Volkswagen in eigenen Werken und bei den Händlern des Konzerns 36.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte bauen.

Wettbewerber Opel baut Rüsselsheim zur „Elektrik City“ um: Der Kleinstadt mit rund 65.000 Einwohnern wurden 350 Ladesäulen spendiert – mit der Quote von einem öffentlichen Ladepunkt für je 186 Einwohner schlägt Rüsselsheim damit München. Die Millionenstadt, vom BDEW offiziell zur Hauptstadt des Ladens erkoren, kam Anfang 2020 gerade einmal auf 1.103 öffentlich zugängliche Ladepunkte. Letztlich können die Hersteller aber nur fordern, sie sind auf die Umsetzung durch die Politik angewiesen, vor allem in den Kommunen. Anders sieht es bei der Schnelllade-Infrastruktur aus: Das Gemeinschaftsunternehmen Ionity, an dem neben dem Volkswagen-Konzern auch BMW und Daimler beteiligt sind, kommt mit dem Aufbau der ultraschnellen Ladesäulen an den Autobahnen voran. Von den für Ende 2020 versprochenen 400 Schnellladestationen an den Hauptverkehrsadern Europas, jede mit sechs bis acht Ladepunkten ausgerüstet, waren zu Beginn des zweiten Quartals bereits 225 operativ. Allerdings klagt Geschäftsführer Marcus Groll genauso wie alle anderen Marktteilnehmer über die unterschiedliche Regulierung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union: „Jedes Land hat eigene Bauvorschriften und Genehmigungswege, die beachtet werden müssen.“

„Laden ist ein digitaler Dienst“

Die vorhandenen Ladepunkte zu finden und mit dem Betreiber abzurechnen, stellt eine weitere Facette des für die Autohersteller neuen Geschäfts dar. So ermöglicht die Volkswagen-App WeShare den digitalen Zugang zu 150.000 öffentlichen Ladepunkten in Europa. Wettbewerber PSA nennt 140.000 Ladepunkte, die über die App free2move ansteuerbar sind. Doch für Flottenbetreiber ist die bargeldlose Zahlung durch den Fahrer nur dann sinnvoll, wenn er die Sammelrechnungen direkt erhält und vor allem die dahinterliegenden Daten auswerten kann. Genau da setzt das Unternehmen Digital Charging Solutions (DCS) an, eine gemeinsame Tochter von BMW und Daimler. Mit „Charge now for Business“ wird eine ursprünglich als White-Label-Produkt für Autohersteller gedachte Plattform nun auch an Fuhrparkmanager vermarktet. Sie ermöglicht nicht nur die kaufmännische Abwicklung, sondern auch ein Reportingsystem zu allen Ladevorgängen.

Ladestationen auf dem eigenen Betriebshof können über standardisierte Schnittstellen eingebracht werden, ebenso die von einem Dienstwagenfahrer zuhause installierte Wallbox. Sogar die Rückerstattung privater Stromkosten soll über die Plattform abgewickelt werden können. Damit eine solche Plattform Ladestationen in 30 Ländern einbinden kann, ist bereits viel Detailarbeit erforderlich. DCS-Geschäftsführer Markus Bartenschlager geht aber einen Schritt weiter und will Flottenkunden in einem fragmentierten Markt auf dem Weg in die Elektromobilität begleiten. „Wir werden weder Hardware verkaufen und bieten auch keinen Installationsservice“, so Bartenschlager. Auch Strom will er nicht verkaufen. Stattdessen hat er europaweit 450 Einzelkooperationen geschlossen und konzentriert sich auf das Geschäft mit IT-Systemen und Beratung. „Laden ist ein digitaler Dienst“, sagt er im Brustton der Überzeugung.

Der fragilste Punkt der E-Mobilität

Die digitale Steuerung des Ladens ist nicht nur eine Frage der Informations-, sondern auch der Elektrotechnik. „Wenn alle Mitarbeiter an meinem Stammsitz mit dem Elektroauto zur Arbeit kämen“, klagt der Chef eines mittelgroßen Zulieferers aus Baden-Württemberg, „dann müsste ich ein kleines Kraftwerk bauen lassen.“ Das gilt freilich nur, wenn alle Mitarbeiter ihren Akku gleichzeitig mit voller Leistung laden. Sinnvoll ist das allerdings nicht, denn der durchschnittliche Deutsche pendelt nur 17 Kilometer zur Arbeit und zurück. Eine zentrale Steuerung der Ladeleistung für alle angeschlossenen Fahrzeuge durch ein „Smart Charging“-System staffelt den Bedarf – und entlastet so auch die öffentlichen Verteilnetze. Denn die sind langfristig der vielleicht fragilste Punkt bei der Frage, wie der Strom ins Auto kommt.

Bei der Auslegung jener Teile des Stromnetzes, die von den Ortsnetztrafos zu den einzelnen Haushalten führen, ging man ursprünglich davon aus, dass zeitgleich nur 1,5 Kilowatt pro Haushalt gebraucht werden. Zwar haben die Verteilnetze aktuell Reserven, vor allem weil sich die in den 1970er Jahren vorübergehend hochgehaltenen Durchlauferhitzer nicht durchgesetzt haben. Doch wenn viele Menschen ihr Elektroauto vor der eigenen Haustür laden wollen, überstiege die Nachfrage rasch das verfügbare Leistungsangebot. Ein Ausbau ist zwingend – doch wie schnell und mit welcher Priorität ist selbst unter Experten umstritten. So sagt Thorsten Schmude, bei der Mainova-Tochter Netz-Dienste Rhein-Main für die Koordination verantwortlich: „Wir haben ein Leistungs-, kein Mengenproblem.“ Grundsätzlich reiche die Kapazität der Verteilnetze in vielen Stadtteilen, lediglich die Gleichzeitigkeit verursache das Problem.

Flexibles Laden als Grundvoraussetzung

Die Vision vom gesteuerten Laden hört sich zunächst als perfekte Lösung an: Wer nach Hause kommt, gibt auf der zu seinem Auto gehörenden App die gewünschte Abfahrtzeit ein. Die Wallbox zieht den Grünstrom erst dann aus dem Netz, wenn er reichlich vorhanden und damit billig ist – auf jeden Fall aber so, dass der Akku morgens vollständig geladen ist. „Ein rein Strompreis-basiertes Modell könnte die Netzlast sogar erhöhen“, warnt Schmude. „Wenn alle Teilnehmer in einem Markt auf das gleiche Preissignal reagieren, handeln sie auch gleichzeitig.“ Stattdessen geht es ihm wie vielen anderen Netzbetreibern um „netzdienliches Laden“. Das Preismodell der Zukunft könnte also lauten: Besonders günstig ist Strom dann, wenn die Nachfrage in einem bestimmten Netzabschnitt gering ausfällt. Das Problem: Verteilnetze werden überwiegend im Blindflug betrieben. Der Betreiber weiß oft gar nicht, wieviel Strom in einem einzelnen Netzabschnitt aktuell verbraucht wird. Und selbst wenn die Ortsnetztrafos – wie in Frankfurt – allmählich mit Messtechnik nachgerüstet werden, kann der Betreiber nicht eingreifen.

Wer immer Strom will, bekommt ihn auch. Solange bis ein Schutzschalter im Trafo eingreift und den Netzbereich abschaltet. Einen Bypass stellen – technisch eigentlich veraltete – Rundsteuergeräte dar, die von einzelnen Netzbetreibern im Zusammenhang mit sogenanntem „Autostrom“ an den Wallboxen installiert werden. Alexander Nollau, im VDE für den Energiebereich verantwortlich, ist davon überzeugt, dass sich Elektromobilität vor allem dort schnell durchsetzt, wo die Besserverdienenden wohnen. „In sogenannten Zahnarztstraßen gelangen die Verteilnetze schon bald an ihre Grenzen.“ Der Ingenieur sieht technisch wenig Hürden, um das flexible Laden umzusetzen. Mit der nächsten Generation an Smart-Metern, die er schon in rund zwei Jahren erwartet, könnte die Steuerung über die Schaltanlage im Haus erfolgen, eine direkte Kommunikation des Netzbetreibers mit der Ladeeinrichtung wäre dann gar nicht notwendig.

Mit dem 2016 in Kraft getretenen Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende sei auch der Rechtsrahmen geschaffen worden. „Jeder bekommt fünf Kilowatt unbedingte Leistung“, lautet Nollaus Interpretation. „Wer mehr will, kann bedingte Leistung dazukaufen.“  Bedingt heißt aber auch: Die maximale Leistung steht nur zur Verfügung, wenn sie auch technisch zu realisieren ist, ansonsten wird sie gedrosselt. „Unsere Berechnungen haben gezeigt, dass der Netzbetreiber pro Tag nur rund sechs Minuten pro Stunde eingreifen muss.“ Damit seien dann auseichend Ladepunkte für bis zu zehn Millionen Elektrofahrzeuge – Plugin-Hybride eingerechnet – sicher zu versorgen, ganz ohne neue Kabel zu verlegen. Eine offene Frage bleibt vorerst: Sind Kunden grundsätzlich bereit sind, auf flexible Stromtarife umzusteigen. Als Ionity im Januar sein neues Preismodell Laden vorstellte, war der Aufschrei groß: Die ultraschnellgeladene Kilowattstunde kostet für Nicht-Vertragskunden – vor allem also die Fahrer französischer, japanischer und amerikanischer E-Autos – seither 79 Eurocent, mehr als doppelt so viel als der gemütlich zuhause getankte Strom. Dafür kann man die Rechnung – ebenso flott – mit einer üblichen Kreditkarte begleichen.

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