Bosch-Mitarbeiter kooperiert mit einem Roboter

Autozulieferer müssen auch in Zeiten der Krise in neue Technologiethemen wie die Digitalisierung investieren. (Bild: Bosch)

Für kein Unternehmen aus der Autobranche war das Jahr 2020 ein gutes. Eine Industrie, die durch Elektrifizierung und Digitalisierung ohnehin in einem radikalen Transformationsprozess begriffen ist, wurde durch die weltweite Coronapandemie hart getroffen. Die Absatzzahlen, die schon vor Covid-19 rückläufig waren, erfuhren im letzten Jahr einen beispiellosen Einbruch und erholen sich erst jetzt wieder einigermaßen. Eingepreist ist dabei noch nicht die anhaltende Mangelsituation bei Halbleitern, die dieses Jahr nach Ansicht von Experten wie Ferdinand Dudenhöffer erneut Millionen von Neufahrzeugen kosten wird.

Während die Autobauer die Coronakrise einigermaßen abfedern konnten, traf es die Zulieferindustrie besonders hart. Die deutschen Zulieferer um Continental, Bosch oder ZF ­– um nur die Spitze des Eisbergs zu nennen ­­­– fahren seit Beginn der Krise erhebliche Sparrunden, schließen Werke und kündigen teilweise massiven Stellenabbau an. Das allein auf die Pandemie zu schieben wäre zu einfach, die Problemlage ist weitaus komplexer. Der Strukturwandel in der Autoindustrie, der weg vom Verbrennungsmotor hin zur batterieelektrischen Mobilität führt und auf eine neue digitale Wertschöpfung abzielt, scheint die Produkte und Geschäftsmodelle vieler Zulieferer grundlegend infrage zu stellen.

Zulieferer schwenken um auf Elektromobilität

Im Bereich der Antriebstechnik scheinen die Zulieferer die Zeichen der Zeit erkannt zu haben: In einer gemeinsamen Studie des VDA und Deloitte bestätigen über 80 Prozent der befragten Supplier, bereits mit der Umstellung auf Elektromobilität begonnen zu haben, über 30 Prozent der Ausgaben für Forschung und Entwicklung fließen in entsprechende Technologien. Dagegen fällt ihr Anteil am Gesamtumsatz mit 15 Prozent noch deutlich geringer aus. Immerhin nutzen laut VDA-Studie 85 Prozent der befragten Zulieferer die Gewinne aus dem Bereich Verbrennertechnologie für den Aufbau von E-Kompetenzen.

Den klaren Shift der Zulieferer hin zur E-Mobilität sieht auch Andreas Schlosser, Partner bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little: „Die Elektrifizierung schreitet mit Siebenmeilenstiefeln voran und setzt viele Unternehmen der Branche unter Druck. Insbesondere für die Zulieferer ist es vielerorts entscheidend, sich auf eigene Fähigkeiten und Stärken zu konzentrieren und zu sondieren, welche Rolle man im Ökosystem von morgen spielen kann.“

Sind die Zulieferer auf die Disruption vorbereitet?

Die Fähigkeit zur schnellen Anpassung sieht Philipp Obenland, Director im Consulting bei Deloitte, vor allem bei den marktdominierenden Tier-1-Suppliern. „Es gab zwar teilweise einen langsamen Start, aber gemeinsam mit den OEMs haben meist größere Zulieferer schon länger begonnen, die Mobilitätswende aktiv zu gestalten. In der Regel haben sie die finanziellen und operativen Kapazitäten, um die Transformation aus eigener Kraft zu stemmen.“ Anders schätzt Obenland jedoch die Situation bei kleineren Zulieferern ein, die oft nicht über die finanziellen Mittel verfügten, um ohne Weiteres auf neue Geschäftsfelder zu setzen. „Für diese Unternehmen ist es ratsam, eine Nische zu besetzen, die weniger komplexen Strukturen in Geschwindigkeit umzusetzen und sich als Technologieführer zu positionieren. Einige haben das bereits so umgesetzt.“

In der aktuellen Phase des Umbruchs müssen hochspezialisierte Lieferanten, aber auch die breiter aufgestellten Zulieferunternehmen eine Risikoabwägung treffen: Setzt man weiterhin auf momentan noch sehr lukrative Komponenten für den Verbrennungsmotor oder sucht man die Technologieführerschaft in den Zukunftsthemen Elektromobilität, autonomes Fahren oder Vernetzung? „Insbesondere für kleinere Zulieferer sind technologische Innovationen, die Differenzierung darüber und schnelles Handeln wichtig. Kleine, inkrementelle Schritte reichen bei der Veränderungsgeschwindigkeit vermutlich nicht aus“, betont Obenland. „Neben strategischen Zukäufen – wenn finanzierbar – müssen zukunftsfähige Geschäftsfelder aus den bestehenden Produkten und Kompetenzen heraus entwickelt werden.“

Welche Komponenten im Fahrzeug haben eine Zukunft?

Solche Gretchenfragen spiegeln sich auch im aktuellen Global Supplier Risk Monitor von Deloitte wider. In dem Report haben die Analysten 19 verschiedene fahrzeugbezogene Komponenten einer Risikobewertung unterzogen. Dabei spielen zum einen externe, eher unkontrollierbare Risikofaktoren wie Marktstruktur und Wettbewerbsdruck sowie regulatorische Rahmenbedingungen eine Rolle. Zum anderen müssen Zulieferer auch auf interne Unwägbarkeiten achten, beispielsweise beim Thema Cash-Generierungskraft, bei der Anpassungs- und Innovationsfähigkeit innerhalb des jeweiligen Fahrzeugclusters und der Bonität.

Risiko-Map von Deloitte
Vor allem Verbrenner-Komponenten und Abgassysteme sind mit hohen Risiken in der Zukunft behaftet. Quelle: Deloitte

Wie eigentlich zu erwarten war, identifizierten die Deloitte-Experten bei Verbrennungsmotoren und Abgassystemen das größte Risiko - beeinflusst vor allem von äußeren Kräften. So sehe sich dieser Bereich mit einem sinkenden Marktvolumen, einer hohen Marktkonsolidierung sowie starken negativen Auswirkungen seitens des Gesetzgebers konfrontiert, sagen die Studienautoren. Dagegen seien die Herausforderungen bei ADAS und Sensoren sowie Komponenten rund um elektrische Antriebe eher zu bewältigen. Laut Deloitte wirken sich hier besonders die internen Faktoren Anpassungs- und Innovationsfähigkeit sowie die Bonität positiv für die Unternehmen aus.

Der Abschied von der Idee des Teile-Lieferanten

Gerade bei neuen Technologiethemen aus den Bereichen alternative Antriebe, autonomes Fahren oder Infotainment schwenken größere Zulieferer wie Schaeffler strategisch vom Komponentenfabrikanten zum ganzheitlichen Systemlieferanten um. Nach Ansicht der Deloitte-Experten ist diese Transformation ein Schlüssel für mehr Diversifikation.

„Tatsächlich nehmen OEMs das Angebot eines kompletten Systems oft als vorteilhaft war, da dies Komplexität reduziert. Somit ist der Wandel zu einem Komplettsystem-Anbieter eine mögliche Strategie“, erklärt Philipp Obenland, der an dem Deloitte-Monitor mitgewirkt hat. Klar ist für ihn jedoch: Ein solch fundamentaler Kurswechsel sei angesichts der Komplexität und des Wettbewerbs für kleinere Lieferanten wohl kaum zu stemmen, Profitabilität sei häufig nur über große Volumina möglich.

Quo vadis Mittelstand?

Während also der Weg in die elektrifizierte und digitalisierte Zukunft für finanz- und marktstarke Zulieferer einigermaßen erkennbar scheint, stehen kleinere und mittelständische Unternehmen weiterhin vor der Existenzfrage. In einer Roland-Berger-Studie geben 90 Prozent der Mittelständler an, dass die Elektrifizierung spürbare Auswirkungen auf ihre Geschäftsmodelle hat, 61 Prozent nennen hier die fortschreitende Digitalisierung. Viele kleinere Zulieferer scheinen überrascht von der Geschwindigkeit, mit der sich vor allem die Elektrifizierung in der Branche durchsetzt. Für jeden zweiten Befragten erfolgt die Umstellung hin zu elektrischen Fahrzeugen laut Studie schneller als erwartet, im Segment Motor und Antriebsstrang sind es sogar fast zwei von drei Teilnehmern.

Für Deloitte-Experte Obenland geht es für die „Kleinen“ nur über das Thema Kosten: „Entscheidend für den Erfolg kleiner und mittelständischer Unternehmen sind eine hohe Effizienz und schlanke Kostenstrukturen sowie maximale kaufmännische Transparenz über interne Abläufe und Deckungsbeiträge, um richtungsweisende Entscheidungen zu treffen. Wenn Geschäftsprozesse und Produkte zudem digitalisiert werden, können weitere Kosten eingespart werden.“

Zudem müssten sich auch kleinere Supplier über strategische Zukäufe außerhalb der Autoindustrie Gedanken machen – vorausgesetzt die finanziellen Mittel sind vorhanden. Obenland: „Auch die Konsolidierung mit anderen kleinen Zulieferern kann die eigene Position stärken. Gleiches gilt für das gezielte Sondieren nach strategischen Partnerschaften, um die Kräfte zu bündeln, sowie der Einstieg eines Finanzinvestors, da so neues Kapital für die Transformation zur Verfügung steht.“

statistik roland berger
Das Tempo der Elektrifizierung scheint vor allem kleinere Zulieferer unvorbereitet zu treffen. Quelle: Roland Berger

Diversifizierung als Erfolgsformel der Zukunft?

Tatsächlich haben zahlreiche Automobilzulieferer in den vergangenen Jahren den Blick über den Tellerrand der eigenen Branche gewagt. In einer Studie von Arthur D. Little gibt etwas weniger als die Hälfte der befragten Entscheider aus Zulieferunternehmen (49 Prozent) an, in den letzten fünf Jahren in Industrien fern der Automobilbranche investiert zu haben, 45 Prozent wollen dies in den kommenden fünf Jahren tun. Lediglich 16 Prozent hätten keine entsprechenden Diversifizierungspläne.

„Zulieferer werden zunehmend versuchen, ihre Kompetenzen auch in wachstumsstärkere Felder zu transferieren und die eigene Zukunftsfähigkeit durch Transformation des Geschäfts und Ausrichtung auf Zukunftstrends im erweiterten Umfeld der Automobilindustrie sicherzustellen“, erläutert Andreas Schlosser. „Gerade klassische Komponentenhersteller zum Beispiel im Bereich Antriebsstrang müssen sich aus unserer Sicht ansonsten auf signifikante Rückgänge im Kerngeschäft einstellen.“

Welche Geschäftsfelder Zulieferer fokussieren sollten

Die Frage nach den passenden Zielindustrien, in denen sich Automobilzulieferer künftig tummeln könnten, hängt Schlosser zufolge stark von den jeweiligen Material-, Technologie-, Produkt- und Prozessfähigkeiten ab. „Die Motivation zur Diversifikation entsteht ja aus dem Willen, bestehende Geschäftsfelder zu ergänzen oder perspektivisch gefährdete Umsätze aus aktuellen Geschäftsfeldern zu kompensieren. Dies geschieht durch eine Erschließung von Geschäftsbereichen in Märkten mit stabilerem Zukunftsausblick“, sagt der Experte.

Für Metallkomponentenhersteller beispielsweise liegen die Bereiche Industrial Equipment oder Off-Highway-Applikationen für Baumaschinen oder in der Landwirtschaft nahe. Für die Diversifikation in automobilferne Branchen sollten Zulieferer laut Schlosser technologiebasierte Wachstumsfelder in den Fokus nehmen, in denen sich Prozess-, Material- und Technologie-Kompetenzen nutzen lassen. Dazu würden beispielsweise Building Automation, Medizintechnik oder Smart City Equipment gehören.

Klar ist: Der Trend zur Diversifizierung wird sich in den kommenden Jahren weiter verstärken. Laut Studie erwarten so gut wie alle befragten Entscheider (98 Prozent), dass ihr Zulieferunternehmen von dieser Branchenentwicklung künftig beeinflusst wird – egal um welchen Technologiebereich es sich handelt. Mit einem spürbaren Effekt auf die Umsatzstruktur: Mehr als die Hälfte (51 Prozent) rechnet damit, dass der Erlösanteil des Automotive-Business in den kommenden fünf Jahren spürbar sinken wird. Die Zeit, das eigene Geschäftsmodell zu überdenken, läuft.

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