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Helmut Matschi: Aus Sicht von Continental spielt die Vernetzung des Automobils – also von Pkw, Lkw und sicherlich einer steigenden Anzahl von Sonderfahrzeugen – eine ganz wesentliche Rolle. Wir sehen die Vernetzung aus zwei Blickwinkeln: einerseits die stärkere Vernetzung innerhalb des Fahrzeugs. Das kann man mit dem Trend zur steigenden Vernetzung zum Beispiel von Wohnhäusern vergleichen. Wo bislang nur einfache Stromkabel lagen, werden heute Daten ausgetauscht, um neue Funktionen zu ermöglichen. Im Auto heißt dies, dass wir ständig neue Funktionen erleben werden, da Fahrzeugsysteme enger miteinander arbeiten und damit dem Fahrer und der Umwelt neue Funktionen zur Verfügung stellen. Gleichzeitig treibt uns die Vernetzung der Fahrzeuge nach außen und miteinander an. Hier geht es um die automotive-taugliche Etablierung modernster Mobilfunkstandards, um Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation und natürlich auch um vernetztes Infotainment.

Wie sehen die Ziele von Conti diesbezüglich aus?

Das Ziel sind Fahrzeuge, die nicht nur einfach ihre primäre Funktion erfüllen – das Transportieren von Menschen und Waren von A nach B –, sondern in dieser Zeit nahtlos mit ihrer Umwelt vernetzt sind, um so sicherer, effizienter und komfortabler ihre Funktion erfüllen zu können. Der Fahrer will einfach langfristig nicht mehr von seiner digitalen Außenwelt abgeschnitten sein, nur weil er in seinem Auto unterwegs ist.

Was sind die künftigen Megatrends im Zusammenhang mit der Connectivity?

Die Vernetzung von Fahrzeugen ist einer der technologischen Pfeiler für alle Megatrends. Langfristig ist hier das automatisierte Fahren zu nennen. Was brauchen wir während einer Autofahrt am wenigsten? Ärgerliche oder sogar gefährliche Überraschungen! Mit Hilfe der Vernetzung, mit Hilfe des „Internet of Everything“, wird es möglich, dass tatsächlich der allergrößte Teil der Fahrsituationen automatisiert ablaufen kann – wenn der Fahrer dies wünscht. Dann geht es um Geschwindigkeit: LTE wird jetzt Schritt für Schritt ins Fahrzeug kommen.

Wobei die Implementierung nicht einfach ist.

Hier gehen wir den Schritt der Qualität vor kurzfristig implementierter Quantität: Automotive-Tauglichkeit ist das Schlüsselwort, denn wir wollen, dass entsprechende Systeme das gesamte Fahrzeugleben hin ihren Dienst tun. Qualität ist auch das Stichwort, wenn es um die Informationen selbst geht. Dabei sehen wir eine Schlüsselrolle im Sammeln, Auswerten und Verteilen großer Verkehrsdaten: Je mehr vernetzte Fahrzeuge, Infrastruktur­einheiten, Verkehrsleitzentralen et cetera Daten – natürlich anonymisiert – anbieten, desto genauer, aktueller und lückenloser können wir diese Informationen als zusätzliche Sensorgröße für die Fahrzeugsysteme und damit für den Fahrer anbieten. Schließlich geht es um die Personalisierung: Fahrzeuge werden ihren Fahrer frühzeitig erkennen, ob über den Funkschlüssel oder über das Handy, und sich ganz individuell auf ihn einstellen.

Welchem dieser Trends schreiben Sie den höchsten Stellenwert zu?

Wir beschäftigen uns mit einem großen Entwicklerteam mit der Realisierung des automatisierten Fahrens. Das ist der wichtigste Trend und für alle beteiligten Industrien gleichzeitig auch eine besondere Herausforderung. Eine Herausforderung, die evolutionär angegangen wird und neben der Weiterentwicklung von Umfeldsensorik und Sicherheitsarchitektur auch wesentlich von einem leistungsfähigen Backend, von schnellem Datenaustausch und Hochleistungsdatenverarbeitung im Fahrzeug gemeistert werden wird.

Bis dato erlebt der Fahrer die Vernetzung primär via Infotainmentsystem. Wie wird sich das verändern?

Nehmen wir als Beispiel den Sitz. Heute finden wir bereits die ersten Fahrzeuge mit Massagefunktionen. Wie wäre es, wenn diese Massagefunktion ganz individuell an die Bedürfnisse des einzelnen Fahrers eingestellt wäre? Wenn zuhause am Rechner, unterwegs beim Besuch des Physiotherapeuten oder im Fitness-Studio ein ganz individuelles Massageprogramm eingerichtet werden könnte? Das wäre Vernetzung auch außerhalb des Infotainments. Ziel wird es auch sein, dass wir dank der Vernetzung mit einem leistungsfähigen Backend aus den Sensordaten anderer Fahrzeuge die genaue Information über die vorausliegende Strecke erhalten. Der Datenteppich wird zusammen mit den Daten aus der Umfeldsensorik die Basis sein für eine sehr viel komfortablere und sicherere Fahrt.

Welchen Einfluss hat die Vernetzung letztlich auf die Bedienung des Fahrzeugs?

Die Mensch-Maschine-Schnittstelle wird eine elementare Säule als Grundvoraussetzung für die Einführung von automatisierten Fahrfunktionen bilden: Wir Autofahrer müssen nämlich Vertrauen aufbauen in die zahlreichen neuen Systeme.

Wie wollen Sie das fördern?

Indem wir dem Fahrer mit entsprechenden Informationen zum Beispiel in einem Augmented-Reality-Head-up-Display (AR-HUD) beweisen, dass die Umfeldsensorik die Fahrzeugumgebung ganz genau erkannt hat. Das beginnt heute mit der Verkehrszeichenerkennung, das wird deutlich bei AR-HUD-unterstützten Abstandsregeltempomaten und wird Schritt für Schritt die Autofahrer von der Leistungsfähigkeit der Systeme überzeugen. Das Ziel ist tatsächlich der sinnbildliche „Chauffeursknopf“, der dem Fahrer deutlich macht, ab wann automatisiert gefahren werden kann. Ebenso wichtig ist die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine auch im umgekehrten Fall: Das Fahrzeug muss erkennen, ob der Fahrer die Fahraufgabe wieder übernehmen kann beziehungsweise die Systeme müssen in der Lage sein, im Ablenkungsfall die Fahreraufmerksamkeit auf intelligente Weise zurück zur Fahraufgabe zu lenken – wenn es die Fahrsituation erfordern sollte.

Sie arbeiten daran, Fahrsituation und Aufmerksamkeit des Fahrers zu vernetzen. Klären Sie uns auf?

Das Continental Driver Focus Vehicle ist ein Konzeptfahrzeug, in dem wir den Regelkreis Mensch-Fahrzeug-Umwelt tatsächlich geschlossen haben. Assistenzsysteme – zum Beispiel ein Notbremsassistent – überwachen die Fahrzeugumgebung. Erkennen unsere Sensoren eine potenzielle Gefahr wie ein plötzlich stark bremsendes Fahrzeug, so reagiert das Fahrzeug in Abhängigkeit zum Fahrerzustand, zur Fahreraufmerksamkeit.

Wie lösen Sie das technisch?

Eine Infrarotkamera erkennt die Blickrichtung des Fahrers und kann daraus ableiten, ob dieser die Situation auch erkannt hat oder nicht. Falls der Fahrer also zum Beispiel gerade nach hinten zu seinen Kindern schaut, so wird über ein LED-Lichtband ein Lichtsignal so gestartet, dass die Aufmerksamkeit des Fahrers intuitiv nach vorne gelenkt wird. Dann kann der Fahrer entscheiden: ausweichen oder bremsen. Sollte der Fahrer die Situation direkt im Blick haben, so wird er natürlich auch gewarnt – nur zeitlich leicht versetzt. Reagiert der Fahrer dann nicht, greift der Notbremsassistent ein und bremst entsprechend sicher herunter.

Wann ist so ein System in der Serie denkbar?

Wir sind derzeit in der Forschungsphase. Das Konzept ist Teil eines Forschungsprojektes von Continental gemeinsam mit der TU Darmstadt. Serienreife könnte das System in den typischen drei Jahren erlangen.

Brauchen wir künftig noch Kombiinstrumente – können Tablets oder Smartphones das nicht übernehmen?

Ganz klar: Wir werden auch in den nächsten Jahren automotive-taugliche Instrumentierungen im Fahrzeug haben. Zu viele Emotionen hängen am Tacho, zu wichtig ist die Schnittstelle, mit der wir täglich bestens „Auge in Auge“ zusammenarbeiten. Schließlich sind die Anforderungen an die Instrumentierung im Auto grundsätzlich andere als für die Unterhaltungsindustrie. Wir müssen in der Instrumentierung sowohl die gesetzlichen Anforderungen erfüllen, als auch die Markenidentität der Fahrzeughersteller unterstützen. Das Kombiinstrument behält in Kombination mit den jüngeren Geschwistern Head-up-Display und Sekundär-Display die Informationshoheit im Fahrzeug.

Continental hat im Mai einen Feldversuch in Frankreich gestartet, der sich mit dem digitalen Fahrzeugschlüssel in Form eines Smartphones beschäftigt. Können Sie uns dazu schon etwas sagen?

Vor 20 Jahren hatten wir den ersten Funkschlüssel auf den Markt gebracht und so schauen wir heute in die Zukunft: Wie werden wir in zehn Jahren Autos öffnen? Dabei sehen wir zwei Trends: Die Autoschlüssel werden hochwertiger, neue Materialien und neue Funktionen. Der andere Trend steckt noch in den Kinderschuhen: Es gibt den Bedarf für alternative Zugangsmöglichkeiten zum Auto – insbesondere durch alternative Mobilitätskonzepte. So sehen wir digitale Schlüssel im Smartphone – sicher abgelegt – gerade im Carsharing, bei Mietwagen als mittel- und langfristige Alternative.

Welchen Vorteil soll das am Ende haben?

Vor allen Dingen machen sie die Fahrzeugübergabe bequemer. Es ist einfacher, sein eigenes Smartphone kurz an die Fahrzeugtür zu halten, als erst in der Vermietstation einen Schlüssel abzuholen. Der Feldversuch in Frank­reich funktioniert jedenfalls gut.

Ein Schwerpunkt bei Continental ist das Thema Sicherheit. Durch die Vernetzung mit anderen Fahrzeugen, Cloud-Anbindungen und Echtzeitdaten wird sich das Unfallrisiko weiter reduzieren lassen. Continental erwartet erste Serienanwendungen 2016. Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen.

Für das automatisierte Fahren haben wir einen klaren Fahrplan: Ab 2016 teilautomatisiertes Fahren, 2020 hochautomatisiertes Fahren und ab 2025 vollautomatisiertes Fahren auf Autobahnen. Teilautomatisierte Systeme entlasten den Fahrer in Stop-and-Go-Situationen im geringen Geschwindigkeitsbereich bis 30 km/h auf der Autobahn. In der Hochautomatisierung werden Geschwindigkeitsbereiche über 30 km/h im Autobahnumfeld abgedeckt. Der Fahrer wird seine Zeit für andere Tätigkeiten nutzen können. Dabei muss jedoch der Fahrer in der Lage sein, die Kontrolle über das Fahrzeug jederzeit wieder zu übernehmen. Mit der Vollautomatisierung ab 2025 könnte auch dies nicht mehr erforderlich sein – wenn der rechtliche Rahmen geschaffen ist.

Das ist die Vision – und der Weg dorthin?

Mit Hilfe des Backends sollen die Sensoren für das hoch- und das vollautomatisierte Fahren um die Daten über die Radar- und Videoreichweite ergänzt werden. Neben dem automatisierten Fahren werden aber auch andere vernetzte Anwendungen zur Fahrsicherheit beitragen: Die Kommunikation zwischen Fahrzeugen und zwischen Fahrzeugen und der Infrastruktur wird dabei helfen, den Fahrer vor kritischen Situationen zu warnen, die mit den Sensoren nicht erfasst werden können. Passiert trotzdem ein schwerer Unfall, können vernetzte Fahrzeuge einen automatisierten Notruf (eCall) absetzen und für schnelle Hilfe sorgen. Die Initiative der Europäischen Kommission, um die entsprechende Gesetzgebung in ganz Europa voranzutreiben, sehen wir als wichtigen Schritt, um die Zahl der Verkehrstoten zu reduzieren.

Ihr Unternehmen widmet sich auch dem Traffic Management und Payment? Sind Echtzeitdaten der entscheidende Schlüssel zur Verkehrslenkung?

Wer schon einmal durch einen vom Verkehrsfunk gemeldeten Phantomstau zügig durchgefahren ist, der weiß, wie sinnvoll Echtzeitdaten sind. Sie sind tatsächlich der Schlüssel für eine bessere Auslastung unserer Straßen.

Mit dem vollautomatisierten Fahren will Continental diverse Industrien vernetzen und auf eine hochskalierende IT-Infrastruktur setzen. Erläutern Sie uns das ein wenig.

Ein komfortables vollautomatisiertes Fahren muss mit mehr Daten arbeiten, als lokale Sensoren liefern können. Mit unseren Produkten und Systemen organisieren wir bereits heute die im Fahrzeug entstehenden, verteilen sie und machen jene Informationen für den Fahrer sichtbar, die er für seine Fahraufgabe benötigt. Für das vollautomatisierte Fahren bedeutet das Informationsmanagement eine Erweiterung um jene Daten, die von den Straßenverkehrsbehörden zur Verfügung gestellt werden – zum Beispiel über Baustellen –, aber vor allen Dingen sehen wir großes Potenzial in der Datenfusion der Sensordaten aller entsprechend ausgestatteten Fahrzeuge. Die Herausforderung beginnt dabei mit der Datenkomprimierung im Fahrzeug, der Echtzeitverbindung zum Backend und der leistungsfähigen Datenauswertung auf der Serverseite. Ziel ist ein Datenteppich, der für ein komfortables und sicheres Fahren sorgt. Ohne Überraschungen.

Daimler hat kürzlich die Software von der Hardware getrennt, um auf diese Art Innovationen aus der IT schneller ins Auto zu bringen. Damit wird es möglich, die Hardware diverser Lieferanten mit der Software eines Anbieters zu verknüpfen. Ist das der logische Weg, um die Entwicklungszyklen anzugleichen?

Es gibt hier unterschiedliche Ansätze. Virtualisierung ist eine Möglichkeit, die wir für unsere Systeme sehr intensiv verfolgen – und natürlich das Thema der Aktualisierung. Das Geschäft mit Infotainmentlösungen wird auch zukünftig eine komplexe Herausforderung sein, der wir mit Standardisierungen wie Genivi und strategischen Partnerschaften begegnen. Die Integration von Dritt-Anbieter-Software gehört bereits heute zu unserem täglichen Geschäft. Mit der Verbreitung von HTML5-Anwendungen werden wir in die Lage versetzt, mit größtmöglicher Unabhängigkeit zum verwendeten Infotainmentsystem Dienste aus der Cloud in die Fahrzeugumgebung aller Fahrzeugklassen zu integrieren – mit der entsprechend angepassten Mensch-Maschine-Schnittstelle. Wir leben den Gedanken des Netzwerkens, suchen uns für die verschiedenen technischen Herausforderungen jeweils leistungsfähige Partner, um dem Kunden am Ende ein perfekt passendes Paket zu schnüren. Alleingänge funktionieren hier in dieser eng vernetzten Industrie nicht.

Es gibt Bestrebungen in der Branche, dass Zulieferer nicht nur Hardware und Software liefern, sondern auch Cloud-Dienstleistungen anbieten wollen, um das Customer Relationship Management zu verbessern. Ein Beispiel wären Diagnosedaten. Wären solche Services bei Continental denkbar?

Wir sind bereits heute im Flottenbereich Anbieter von entsprechenden Cloud-Diensten. So können Flottenbetreiber den Einsatz ihrer Fahrzeuge und Fahrer webbasiert optimieren. Das werden wir in Zukunft weiter aufbauen und stetig weitere Dienste anbieten. Wir sehen unser Geschäft sehr deutlich im Bereich der Dienste wachsen und dazu gehören sicherlich auch Dienste rund um das Thema Diagnosedaten. Insgesamt passen entsprechende Angebote perfekt zu unserer Strategie: Wir vernetzen, wir informieren – und all dies zu niedrigen Kosten.

Das Gespräch führte: Hilmar Dunker
Foto: Continental

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