Herr Külpp, vor allem die Wirtschaftspresse berichtet derzeit viel über die Integration von Opel/Vauxhall in die PSA-Gruppe und die Zukunftschancen des Unternehmens. Über Aktivitäten im IT-Bereich liest man dagegen gar nichts. Dabei müssten Sie doch eigentlich alle Hände voll zu tun haben, oder?
Genau das ist der Fall. Wir arbeiten seit Monaten unter Hochdruck an der Umstellung der Unternehmens-IT. Die IT war hochgradig in die GM-Welt integriert – jetzt müssen wir sie Stück für Stück herauslösen. Das ist eine komplexe und zeitintensive Angelegenheit. Es geht nicht nur um technische Fragen, sondern auch um die Wahrung geistigen Eigentums auf beiden Seiten. Gleichzeitig müssen wir natürlich die Integration in die IT-Landschaft der Groupe PSA vorantreiben und so schnell wie möglich Synergien heben.
Klingt nach einen strammen Programm …
Stimmt. Von den rund 600 Mitarbeitern, die in der IT von Opel/Vauxhall tätig sind, ist jeder voll eingespannt. Es ist aber auch eine sehr spannende und motivierende Aufgabe für das gesamte Team. Zudem muss auch der reguläre Geschäftsbetrieb störungsfrei und in gewohnt guter Qualität weiterlaufen. Entwicklung, Produktion, Händlerbetriebe und alle anderen Unternehmensbereiche sind auf unsere IT-Systeme angewiesen, die sie bei ihrer täglichen Arbeit unterstützen.
Viele der Aufgaben waren sicher bereits vor dem Verkauf absehbar. War das der Grund, in Rüsselsheim einen Chief Information Officer zu bestellen?
Zuletzt saß der Gesamt-IT-Verantwortliche für Opel/Vauxhall in Irland. Um den derzeitigen Anforderungen in Bezug auf kurze Entscheidungswege, schnelle Kommunikation zwischen den Entscheidungsträgern und einer kurzfristigen Umsetzung Rechnung zu tragen, machte es Sinn, den Sitz des CIO nach Deutschland zu verlegen.
Opel-CEO Michael Lohscheller arbeitet auf das Ziel hin, bei Qualität und Kundenzufriedenheit Benchmark in der Automobilbranche zu sein. Verfolgen Sie in der IT einen vergleichbar ehrgeizigen Anspruch?
Ich habe die IT immer als Dienstleister gesehen und will mit Leistung überzeugen. Alle Mitarbeiter in der IT – gerade auch Führungskräfte – sind so oft wie möglich am Ort des Geschehens, dort, wo die Wertschöpfung stattfindet: in den Fachbereichen, in der Entwicklung und in den Werken. So erwerben sie ein ausgeprägtes Verständnis für das operative Geschehen und die Herausforderungen, die es gemeinsam zu bewältigen gilt. Eine japanische Managementphilosophie bezeichnet diesen direkten Kontakt als „Gemba“. Er macht uns zu Fachleuten, die ihr Handwerk verstehen und die wissen, wovon sie sprechen. Für eine optimale Betreuung ist das unerlässlich – und unsere internen Kunden schätzen es.
War das zu GM-Zeiten anders?
Nein. Aber wir spüren, dass wir nicht mehr von Detroit abhängig sind und Entscheidungen tatsächlich schneller treffen können als früher. Wir stehen selbst am Steuer und müssen nicht mehr auf Anweisungen warten – egal ob es darum geht, wie wir Prozesse gestalten oder wo wir unsere Ressourcen einsetzen. Auf der Bilanzpressekonferenz der Groupe PSA Anfang März war mehrfach zu hören, dass die IT bereits erhebliche Einsparpotenziale erzielt hat. Das motiviert uns, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.
Tatsächlich will Opel außer bei Dienstreisen vor allem in der IT sparen, um bis 2020 die allgemeinen Verwaltungskosten von 5,6 auf 4,7 Prozent zu senken. Was kommt konkret auf Ihren Bereich zu?
Ich denke, es geht weniger darum, in den Reihen der IT zu sparen, als vielmehr mithilfe von IT Kosten zu senken – und zwar quer durchs ganze Unternehmen. Das ist der Hauptansatz, den wir verfolgen. In sämtlichen Geschäftsbereichen von Opel steckt IT, deshalb können wir entsprechend großen Einfluss ausüben.
Wo werden Sie zuerst Hand anlegen?
Unsere größte Herausforderung ist, dass vieles gleichzeitig geschehen muss. Wir arbeiten aktuell daran, unsere Systeme und Prozesse von GM zu lösen und gestalten parallel die Reise in die Systemlandschaft der PSA-Gruppe. Wir müssen uns über 1000 einzelne Applikationen ansehen. Beispiel Engineering: Wir haben uns entschieden, in gemeinsamen Entwicklungsprojekten mit PSA die 3D-Experience-Plattform von Dassault Systèmes einzusetzen. 400 Opel-Ingenieure sind bereits auf die neue Software migriert, inklusive Schulung. Ende des Jahres sollen es 2500 sein. Für einen erfolgreichen Umstieg müssen alle technischen Voraussetzungen erfüllt sein und der Zeitpunkt muss stimmen.
Alle künftigen Opel- und Vauxhall-Modelle sollen im Entwicklungszentrum Rüsselsheim entstehen. Mit welchen weiteren Applikationen unterstützen Sie Engineering, Simulation und Softwaretesting?
Wir nutzen überwiegend Standardsoftwareprodukte. Es gibt nur wenige interne Tools, die besonders auf die Gegebenheiten bei Opel/Vauxhall zugeschnitten sind und unsere Ingenieure optimal unterstützen.
Stichwort Softwareentwicklung: Setzen Sie auf externe Dienstleister oder können Sie alles selbst stemmen?
Im Laufe der Zeit haben wir schon alle denkbaren Varianten erlebt und kennen beide Extreme: Unsere IT war bereits komplett outgesourct, in der jüngeren Vergangenheit haben wir wieder alles selbst gemacht. Derzeit haben wir nicht die Aufstellung, um alle Softwareumfänge komplett selbst zu programmieren und zu testen. Eine ähnliche Situation, in der sich übrigens unsere IT-Kollegen in Frankreich befinden. Die Lösung liegt auf der Hand: Wir müssen gemeinsam einen gesunden Mittelweg finden. Definierte Kernthemen werden wir selbst bearbeiten, ausgewählte Aufgaben geben wir nach draußen.
Sicher eröffnen sich in einer solchen Situation Chancen, alte Zöpfe abzuschneiden, oder?
Wir haben heute höhere Freiheitsgrade als früher und nutzen sie. In enger Abstimmung mit unseren IT-Kollegen der Groupe PSA stellen wir den Anwendern bei Opel/Vauxhall bedarfsgerechte, skalierbare Systeme zur Verfügung und sorgen für eine messbare Betriebsqualität. Wir werden auch unsere Prozesse verschlanken und sie innerhalb des Konzerns abstimmen.
Viele Autohersteller gründen Labs, die neue Technologien testen und sich Gedanken über digitale Geschäftsmodelle machen. Verfolgen Sie solche Pläne?
Die aktuelle Situation macht es uns sehr schwer, Kapazitäten für das Internet der Dinge, für die Blockchain oder Ähnliches abzustellen. Obwohl wir exzellente Fachleute zu vielen Themen in unseren Reihen haben, müssen wir unsere Kräfte derzeit auf das Wesentliche fokussieren und klar priorisieren. Mittelfristig wollen wir uns selbstverständlich wieder verstärkt Innovationsthemen widmen.
Verraten Sie uns bitte Ihr Mission Statement? Wie definieren Sie Ihren Geschäftsauftrag?
Die Frage kann ich kurz und bündig mit dem Schlagwort „Pace!“ beantworten – die Unternehmens-IT unterstützt den Zukunftsplan, der Opel/Vauxhall wieder wettbewerbsfähig und profitabel machen wird. Wir können und werden einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen leisten.
Sie berichten an Finanzchef Philippe de Rovira. Sieht er in der IT einen Kostenfaktor oder doch mehr Potenzial?
Philippe de Rovira weiß aus seiner Zeit bei PSA sehr genau, wie IT funktioniert. Er sieht uns nicht als reinen Kostenblock, sondern weiß, was wir leisten können. Auf den Synergien mit PSA liegt unser Hauptaugenmerk. Der Fo
kus des gesamten Unternehmens liegt derzeit auf der Kostenoptimierung und darin, nachhaltig profitabel zu werden. Mit den von uns bereits erzielten und noch geplanten IT-Einsparungen unterstützen wir hier maßgeblich.
Bis 2022 will Opel 20 neue Exportmärkte erschließen und dabei das weltweite Vertriebsnetz der PSA-Gruppe nutzen. Wie werden Sie die Sales-Systeme von Opel darauf vorbereiten?
Die derzeit eingesetzten Systeme sind flexibel genug, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Erst Anfang des Jahres haben wir Südafrika von GM übernommen – dabei hat es keine größeren Schwierigkeiten gegeben.
Erwarten Sie bei den Dealer-Management-Systemen in Deutschland und Europa neue Vorgaben?
Ich habe dazu gerade heute Morgen im Händler-IT-Ausschuss ein Update gegeben. Wir wollen das Beste aus beiden Welten kombinieren, ohne Redundanzen aufzubauen, aber im Wesentlichen in Richtung PSA-Systeme gehen. Händlerprozesse, die heute optimal abgebildet sind, versuchen wir möglichst beizubehalten.
In einem Stuttgarter Einkaufszentrum bietet der sogenannte Cayu-Store ein digitales Autokauferlebnis und verknüpft Offline- und Onlineshopping miteinander. Welchen Anteil hat die IT an diesem Zukunftsszenario?
Wir waren von Anfang an in die Planung eingebunden und haben das Konzept IT-seitig unterstützt. Wir stellen alle Systeme zur Verfügung, die der Store braucht, vom Fahrzeugkonfigurator bis zur Onlinebestellung. Auch hier im Adam-Opel-Haus in Rüsselsheim gibt es einen Cayu-Store für Mitarbeiter, der sich großer Beliebtheit erfreut.
Bitte beenden Sie zum Schluss folgenden Satz: Die IT von Opel ist erfolgreich, wenn …
… mit ihrer Hilfe das Zukunftsprogramm „Pace!“ erfolgreich umgesetzt wird. Wir können einen wertvollen Beitrag leisten, weil wir keine Erfüllungsgehilfen sind, sondern Entscheidungsträger. Wir nutzen die Freiheiten, die wir jetzt haben, aktiv, um das Unternehmen voranzubringen.
Das Interview führten: Ralf Bretting und Hilmar Dunker
Bilder: Claus Dick