Thomas Tack, Interos

Es sei dringend erforderlich, dass alle Branchen ihre Beschaffungsansätze neu bewerten, meint Thomas Tack von Interos. (Bild: Interos)

Mittlerweile sind weltweit nahezu alle Automobilhersteller vom Chip-Mangel betroffen. Welche OEMs haben die Krise am besten gemeistert?

Viele Automobilhersteller haben ihr Augenmerk auf widerstandsfähigere Wettbewerber wie Toyota gerichtet. Nach dem Erdbeben in Fukushima vor zehn Jahren begann Toyota damit, von den Lieferanten wichtiger Teile – darunter auch Chips – zu verlangen, dass sie einen Vorrat von etwa sechs Monaten anlegen. Ein Ansatz, der in der Vergangenheit wie Mikromanagement aussah. In unserem Zeitalter der Unterbrechungen ist jedoch klar, dass dieses Maß an Transparenz und Widerstandsfähigkeit der Lieferkette von großer Bedeutung ist. Die aktuelle Chip-Knappheit hat Toyota schließlich dazu gezwungen, die weltweite Produktion um 40 Prozent zu kürzen, aber noch im Mai 2021 konnte das Unternehmen die Produktion weitgehend im Plan halten.

Weshalb sind die Lieferketten bei Chips derart anfällig und wie lässt sich einer weiteren Verschärfung der Lage vorbeugen?

Die Halbleiterlieferkette ist äußerst komplex. Die Herstellung eines einzigen Computerchips erfordert oft mehr als 1.000 Schritte, die über 70 internationale Grenzen überschreiten. Außerdem weisen die Lieferketten an kritischen Punkten einen hohen Konzentrationsgrad auf. Beispielsweise durchlaufen etwa zehn Prozent aller weltweit hergestellten Chips denselben Stadtteil im malaysischen Penang, um dort montiert, verpackt und getestet zu werden. Dies macht ihre Lieferketten relativ anfällig, wie die derzeitige Knappheit verdeutlicht hat. Um eine Verschlimmerung der Situation zu verhindern, müssen Unternehmen die betriebliche Resilienz zu einer zentralen Geschäfts- und Auftragspriorität machen. Sie müssen die betriebliche Widerstandsfähigkeit sowohl auf organisatorischer als auch auf technologischer Ebene etablieren. Nur so sind die Unternehmen in der Lage, ihre gesamte Lieferkette in Echtzeit zu erfassen, sodass sie Störungen wie die derzeitige Knappheit weit im Voraus erkennen und sich genau so viel wie nötig bevorraten können. 

Der Bedarf an Halbleitern wird zweifelsohne rasant zunehmen. Können die Kapazitäten in gleichem Maße erweitert werden?

Die Kapazitäten können in gleichem Maße wie die Nachfrage erweitert werden, wenn man die gesamte Lieferkette – und nicht nur die erste oder zweite Stufe – versteht und sie auf verschiedene Arten von Lieferkettenrisiken hin überwacht, um diese Art von Engpässen in der Zukunft zu antizipieren und zu verhindern. Der derzeitige Engpass wurde durch eine Reihe unterschiedlicher Ereignisse verursacht und verstärkt, darunter eine Dürre in Taiwan, der Kälteeinbruch in Texas, Fabrikbrände bei Renesas in Japan und natürlich die anhaltende Pandemie. Diese scheinbar unzusammenhängenden Ereignisse wirkten sich auf die globale Lieferkette aus und führten zu einem weltweiten, branchenübergreifenden Engpass. Es ist dringend erforderlich, dass alle Branchen ihre Beschaffungsansätze neu bewerten, um eine ganzheitlichere und umfassendere Prüfung ihrer Lieferketten vorzunehmen.

Zeitlicher Ablauf der Halbleiterkrise.
Die Halbleiterkrise wurde durch eine Vielzahl von Ereignissen verschärft. (Bild: Interos)

Zur Person:

Thomas Tack, Interos

Thomas Tack ist Direktor für Nordeuropa bei Interos. Er hat Wirtschaftsinformatik studiert und war zuletzt im Software-Bereich „Marketing Automation“ tätig, um amerikanischen Unternehmen zu helfen, in Deutschland Fuß zu fassen. Der Bereich Supply Chain Risk Management bietet für ihn Potenziale zur digitalen Transformation, wie es sie die letzten zehn Jahre im Marketingumfeld gab. Daher hat er sich 2021 dem Innovationstreiber Interos angeschlossen.

Sie möchten gerne weiterlesen?