Mann mittleren Alters mit Vollbart und kariertem Hemd in Serverraum, die Arme verschränkt

Das Paradoxon: Einerseits sind mehr als 130.000 Stellen in der IT unbesetzt und andererseits entlassen große Konzerne gerade genau dort Mitarbeitende. (Bild: Adobe Stock / Framestock)

Die Liste der auf die Kostenbremse tretenden IT-Konzerne ist lang. Meta, die Muttergesellschaft von Facebook, Whatsapp und Instagram, gab bekannt, dass sie 11.000 Mitarbeiter entlässt, etwa 13 Prozent der Belegschaft. Bei Amazon sollen Jobs in einer ähnlichen Größenordnung verloren gehen, auch wenn dies bei insgesamt 1,6 Millionen Beschäftigten ein wesentlich kleinerer Anteil an der Belegschaft ist. Auch Salesforce, Lyft, Stripe, Snap und andere Tech-Unternehmen haben in jüngster Zeit im großen Umfang Mitarbeiter entlassen. Tech-Milliardär Elon Musk hat sogar die Mitarbeiterzahl von Twitter halbiert, nachdem er das Unternehmen gekauft hatte.

Zwar hüllen sich die Tech-Giganten in Schweigen, wenn man sie nach den Details der Jobverluste fragt. Doch klar ist, dass nicht nur in der Verwaltung oder den Personal- oder PR-Abteilungen Stellen gestrichen werden, sondern auch in der Produktentwicklung. Dabei wurden auch in den betroffenen Firmen noch vor wenigen Monaten Ingenieure und Software-Entwickler händeringend gesucht.

Die verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bringen aber selbst hochprofitable Konzerne wie Amazon dazu, genauer hinzuschauen, in welchen Bereichen man Geld verdient und in welchen Bereichen sich Verluste anhäufen. Der neue Konzernchef Andy Jassy setzt nun nach Berichten der New York Times und des Wall Street Journal den Rotstift vor allem bei Amazons Hardware-Team an, das auch für die Weiterentwicklung des Sprachassistenten Alexa und der smarten Echo-Lautsprecher verantwortlich ist.

An deutschen Standorten herrscht Unklarheit

Ein Amazon-Sprecher in München wollte nicht sagen, ob die Entlassungswelle auch das Amazon-Entwicklungszentrum für künstliche Intelligenz in Berlin erreichen wird. Hier schreiben Programmierer an Algorithmen für die Amazon-Hardware. Auch das Entwicklungszentrum von Amazon in Aachen für Spracherkennung könnte theoretisch von den Stellenstreichungen betroffen sein.

Doch sollten IT-Experten von Amazon oder anderen Tech-Konzernen in Deutschland ihren Job verlieren, dürften sie nicht lange arbeitslos bleiben. Denn der Mangel an IT-Fachkräften in der deutschen Wirtschaft hat sich weiter verschärft. Nach Angaben des Digitalverbandes Bitkom stieg die Zahl der offenen Stellen im vergangenen Jahr um knapp 43 Prozent auf 137.000. Damit sei die Lage am IT-Arbeitsmarkt noch angespannter als im Vor-Corona-Jahr 2019. Damals konnten 124.000 offene Stellen für IT-Experten nicht besetzt werden. Die Corona-Pandemie hatte den Fachkräftemangel in den Jahren 2020 und 2021 leicht abgemildert. Die Untersuchung des Bitkom erfasst nur die offenen Stellen in den Unternehmen. Aber auch Behörden und Organisationen suchen dringend nach Programmierern und anderen IT-Experten.

Bitkom-Präsident Achim Berg sprach bei der Präsentation der Zahlen von einem strukturellen Fachkräftemangel. "Der Mangel an IT-Experten macht den Unternehmen zunehmend zu schaffen und wird sich in den kommenden Jahren dramatisch verschärfen." Berg verwies auf die Tatsache, dass zahlreiche Fachkräfte aus der Boomer-Generation in Rente gingen und gleichzeitig signifikant weniger junge Menschen mit IT-Qualifikationen auf den Arbeitsmarkt kämen.

Keine Besserung in Sicht

Der Mangel an Informatikern und anderen IT-Experten werde auch nicht signifikant durch die entlassenen Mitarbeiter der Tech-Konzerne ausgeglichen werden können. "Wir sehen keinen Trend, der die bestehende Lücke spürbar schließen könnte", so Berg. Der Fachkräftemangel entwickele sich zum Haupthindernis in der digitalen Transformation. Er warb dafür, gezielt IT-Experten aus Russland und Belarus abzuwerben. Nach der Bitkom-Umfrage sei gut ein Drittel (37 Prozent) der Unternehmen mit offenen IT-Stellen dazu bereit, IT-Fachkräfte aus den Nationen einzustellen, sofern sie vorher eine behördliche Sicherheitsprüfung durchlaufen haben. Tatsächlich habe nur ein Prozent der Firmen IT-Expertinnen oder -Experten aus diesen beiden Ländern eingestellt. "Insgesamt gibt es ein Potenzial von 59.000 Stellen, die mit IT-Fachkräften aus Russland und Belarus besetzt werden könnten."

In der Umfrage verlangten 9 von 10 Unternehmen (88 Prozent) von der Politik, die Fachkräfteeinwanderung stärker zu fördern und bürokratische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Überflüssig sei beispielsweise, bei IT-Fachkräften aus dem Ausland bereits bei der Einreise einen Nachweis von Deutschkenntnissen zu verlangen, sagte Berg. "Die Sprache der Fachleute ist ohnehin Englisch."

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dpa