Wafer in der Produktion bei Infineon

Die Nachfrage nach Halbleitern wird in Zukunft weiter stark steigen. (Bild: Infineon)

Laut Volkswagen kommt es herstellerübergreifend zu „erheblichen Störungen" in der Fahrzeugproduktion. „Wir sind bisher gut durch die Krise gekommen, dank eines hervorragenden Beschaffungs- und Produktionsmanagements“, so Murat Aksel, Vorstand für den Bereich Einkauf im Volkswagen Konzern, „allerdings bekommen wir nun die Auswirkungen der globalen Engpässe bei Halbleitern zu spüren. Wir tun alles, um Produktionsausfälle so gering wie möglich zu halten, um unsere Kunden schnellstmöglich beliefern zu können.“ Doch viele Konkurrenten sehen die Probleme offenbar nicht ganz so gravierend. Sicher gebe es auf dem Markt für Halbleiter „eine Knappheit", erklärte zum Beispiel BMW auf Anfrage. Aber die Münchner sehen sich aktuell dennoch gut versorgt. Auch bei Mercedes in Stuttgart ist von Panik wenig zu spüren. Und Opel erklärt gleich „für die gesamte Groupe PSA, dass es keine Auswirkungen auf unsere Produktion gibt".

Nicht nur Corona führt zu Engpässen

Der Hauptgrund für die relative Knappheit an Halbleitern: Covid-19. Die Pandemie hat weltweit zu erheblichen Absatzrückgängen in der Automobilindustrie gesorgt. In den ersten fünf Monaten 2020 wurden in der EU gut 3,3 Millionen Pkw neu zugelassen, das sind 41,5 Prozent weniger als ein Jahr zuvor. VW hatte ursprünglich für 2020 die Produktion von weltweit 3,6 Millionen Neuwagen geplant. Inzwischen rechnen die Wolfsburger offenbar mit gerade mal 2,7 Millionen Stück. Das starke Wachstum der elektrisierten Fahrzeuge treibt den steigenden Bedarf an Halbleitern in der Automobilindustrie an, da diese Modelle deutlich mehr Halbleiter benötigen als herkömmliche Antriebssysteme.

Das schlägt auch auf die Zulieferer durch. Die führenden Halbleiterhersteller etwa stellten als Folge ihre Produktion auf andere Abnehmer um, wie zum Beispiel Unterhaltungselektronik. Der Anstieg der Produktion neuer Smartphones, die 5G-Funktionen nutzen, und die jüngste Einführung neuer Spieleplattformen, darunter Sonys PlayStation 5 und Microsofts Xbox Series X, führten dazu, dass diese Segmente die verfügbaren Front-End-Kapazitäten verbrauchten, die aufgrund früherer Stornierungen durch Automobilhersteller verfügbar waren, während die Nachfrage niedrig und die Aussichten auf eine Erholung unbekannt waren.

„Die aktuellen Herausforderungen sind keine strukturellen Probleme, die eine Erhöhung der Investitionen erfordern, um sie zu beheben. Sie sind das Ergebnis eines perfekten Sturms von nicht-automobilen Segmenten, die mit neuen Produkten vor den Feiertagen Wafer-Fab-Kapazitäten verbrauchen", sagt Phil Amsrud, Senior Principal Analyst bei IHS Markit. „Mit Intels historischem Auftrag an die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, bevor die Automobilerholung Gestalt annahm, gepaart mit der Tatsache, dass Automobilkunden die höchsten Prioritäten mit anderen Segmenten teilen müssen, scheint es, dass die erste Hälfte des Jahres 2021 eine schwierige Zeit für die Branche werden wird."

Fünf Unternehmen liefern knapp die Hälfte aller Halbleiter an die Automobilindustrie. Der Gesamtumsatz in diesem Bereich lag 2019 bei 37,3 Milliarden Dollar jährlich. Infineon ist mit 13,4 Prozent Marktführer und macht 43 Prozent seiner Umsätze im Automobilbereich. Zu den Kunden zählen unter anderem Bosch und Continental ebenso wie ZF oder Denso. Der Gesamtumsatz von Infineon lag im ersten Halbjahr 2020 mit rund 3,9 Milliarden Euro zwar nur geringfügig unter dem des Vorjahreszeitraums. Der Grund für den leichten Rückgang: Die Umsatzerlöse im Segment Automotive sanken um 49 Millionen Euro auf 1,675 Millionen Euro, ein Rückgang von drei Prozent. Allerdings: Das Segmentergebnis halbierte sich nahezu von 228 auf 118 Millionen Euro – die Marge sank entsprechend von 13,2 auf 7,0 Prozent.

Wachstum Chipindustrie
Die weltweite Halbleiterindustrie wächst stetig. Quelle: statista/WSTS

Krisenlage entspannt sich nur langsam

Mittlerweile steigt weltweit die Zahl der Pkw-Zulassungen wieder – wenn auch noch deutlich unter denen in Vor-Corona-Zeiten. Vor allem in China, wo VW rund 40 Prozent seiner Fahrzeuge verkauft, erholte sich der Automarkt nach dem Abflauen der Pandemie schneller als erwartet. Continental, neben Bosch ein Hauptzulieferer von Halbleiterkomponenten an VW, hat nach eigenen Angaben zwar bereits die Kapazitäten erweitert. Die zusätzlichen Volumina könnten aber wegen langer Vorlaufzeiten erst in sechs bis neun Monaten geliefert werden. So beträgt die Bestellzeiten des Rohmaterials für Wafer bis zu fünf Monate, der Herstellungsprozess der Halbleiter kann bei bis zu 20 Wochen liegen. „Kurzfristige Lieferalternativen gibt es nicht," sagt denn auch VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh.

Das bremst VW aus. In Wolfsburg, Emden und im Komponentenwerk Braunschweig wurde das Arbeitsvolumen wegen anderer Probleme mit Zulieferern ohnehin bereits gesenkt. Nun sollen die Weihnachtsferien in Wolfsburg für Teile der Golf-Produktion bis zum 18. Januar verlängert werden. Dabei sahen die Prognosen für die Chiphersteller vor Corona einst blendend aus. Die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) etwa sagte 2019 in einer Studie noch voraus: „Die Umsätze mit Halbleitern für den Automobilbereich werden mit im Durchschnitt 11,9 Prozent jährlich am schnellsten wachsen." Den Rückgang nur auf Corona zu schieben, greift zu kurz: Bereits seit 2017 sind die Verkaufszahlen rückläufig, sogar die Absätze in China schrumpften bis 2019 um fast zehn Prozent. Und auch nach der Finanzkrise 2008, von der auch die Automobilproduktion massiv betroffen war, kam es beim Wiederanlaufen der Produktion zu deutlichen Engpässen im Halbleiterbereich. Damals kamen zu den stark schwankenden und rückläufigen Absatzzahlen noch fehlende Abnahmegarantien. Daraus hätte man lernen können.

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