Entwicklungsmitarbeiter von BMW mit VR-Brille

Dank neuen VR- und AR-Anwendungen können immer neue Berufsgruppen vom mobilen Arbeiten profitieren. (Bild: BMW)

Natürliche Heimat für die Entwicklung von zukünftigen BMW-Fahrzeugen ist das Münchener Forschungs- und Innovationszentrum. Was aber nicht heißt, dass direkt dort vor Ort Heerscharen von Entwicklern Innovationen auf die Räder stellen. „Wir können Anytime, Anywhere arbeiten“, sagt Torsten Schmitt, der unter anderem bei BMW für die digitalen Nutzererlebnismodelle zuständig ist. Der Autobauer setzt konsequent auf Augmented, Virtual und Mixed Reality, so dass global verteilte Teams kollaborieren können. „Immersive Technologien bieten unseren Teams völlig neue Werkzeuge, um Konzepte frühzeitig erlebbar zu machen, zu diskutieren und zu testen“, betont Schmitt. Remote Work, Next Level.

Keine Frage: Diese Technologien ermöglichen es, auch komplexe Jobs wie Engineering-Aufgaben aus der Ferne zu erledigen. „Ingenieure können mit AR/VR über ein Smartphone, Headset oder Tablet zusammenarbeiten und Fernhilfe leisten“, sagt Dirk Schart, Senior Director und AR Experte bei dem Lösungsanbieter PTC. Eine Marktstudie des US-Unternehmens für den DACH-Raum hat ergeben, dass bereits fast 75 Prozent der deutschen Unternehmen Virtual oder Augmented Reality einsetzen oder das planen. Und mehr als ein Drittel der Unternehmen, die AR/VR Lösungen einsetzen, haben sich für Remote Assistance Anwendungen entschieden.

Die Technologie ist wie gemacht dafür. Auch für Aufgaben in einem sehr frühen Stadium der Fahrzeugentwicklung. „Bei Designüberprüfungen etwa können Ingenieure gut remote zusammenarbeiten“, betont Schart. Durch VR/AR ließe sich der Prototyping-Prozess beschleunigen. „So wird bereits in der Entwurfsphase eine realistische Ansicht ermöglicht, ohne dass ein vollständiges Fahrzeugmodell erstellt werden muss“, sagt Schart. „Nicht zuletzt können Teams auf der ganzen Welt in Echtzeit an demselben Projekt arbeiten.“ So kommt Geschwindigkeit in die Entwicklung. Bei BMW geht man davon aus, Entwicklungszeiten dank virtuellem Engineering um bis zu zwölf Monate beschleunigen zu können.

Entwicklungsaufgaben im Multiplayer-Modus

Dabei spiele vor allem AR Remote seine Stärken aus: „Anstelle eines VR Bildes, das die vollständige Ansicht übernimmt, fügt Augmented Reality dem regulären Sehen eine zusätzliche Ebene hinzu“, erklärt Schart, „wodurch mehrere Ingenieure ihre Ideen, Verbesserungsvorschläge und ihr Know-how direkt einbringen können – egal, wo sie sich in der Welt gerade befinden.“ Und sei es im Homeoffice.

Abhängig von der verwendeten Hardware könne dies als eine einfache 2D-Überlagerung oder als vollständig interaktives und kontextsensitives 3D-Rendering erfolgen. Mit Tools von PTC lassen sich 3D-Modelle einfach in AR-Visualisierungen verwandeln. Unternehmen nutzen dazu vorhandene CAD-Daten sowie Produktinformationen und die Software platziert das Ergebnis als digitales Modell auf mobilen Endgeräten in die reale Umgebung.

Bei BMW hat die hausinterne IT unlängst einen eigenen 3D-App-Store ausgerollt. Per Cloud-Streaming können Mitarbeitende an allen Standorten weltweit ohne spezielle Highend-Rechner in 3D-Visualisierungen eintauchen. Einfach den passenden Link auf dem Smartphone oder Tablet öffnen und schon lassen sich in verteilten Teams Neuentwicklungen diskutieren. „Mehr als 200 Abteilungen im Unternehmen greifen auf den 3D-App-Store zu, der ständig um weitere Use-Cases erweitert wird“, berichtet Susanne Heger, Product Ownerin der BMW Group IT. Ein Drittel der Nutzer stammen aus dem Bereich F&E, ein weiteres aus dem Produktionsumfeld, wo die Apps vor allem für Trainings genutzt werden.

AR und VR erobern den Shopfloor

Aber auch in der Produktionsplanung werden immersive Technologien zunehmend remote verwendet. Dann wird, wie bei Mercedes-Benz, eine neue Fabrik anhand eines digitalen Zwilling frühzeitig auf Herz und Nieren geprüft: „Bei der virtuellen Montagestation beispielsweise können erfahrene Mitarbeitende durch Virtual Reality verschiedene Montagetätigkeiten vorab testen, um bei Bedarf Anpassungen in der Planung und Gestaltung der Produktion vornehmen zu können“, so ein Sprecher. „In dieser virtuellen Umgebung arbeiten verschiedene Unternehmensbereiche von Mercedes-Benz eng zusammen und können darin sogar direkt mit Lieferanten interagieren, wodurch eine völlig neue Dimension der Kollaboration ermöglicht wird.“ Durch VR-Streaming könnten Mitarbeitende weltweit gemeinsam zusammenarbeiten. „Das ermöglicht unserem globalen Ingenieursteam CAD-Daten gemeinsam zu diskutieren und zu optimieren“, betont der Sprecher. Vorher mussten entsprechende Daten mühsam konvertiert und versendet werden. Sobald erste Hardware-Prototypen von Fahrzeugen entstehen, kommt Augmented Reality zum Einsatz: „Auch hier können Mercedes-Benz Mitarbeitende auf der ganzen Welt via AR-Streaming kollaborieren.“

So verbessert VR die Produktentwicklung

„Der jederzeit verfügbare Zugang zu aktuellen Entwicklungsständen, das gemeinsame Erleben von Funktionen und die Interaktion mit den Produktdaten anstelle von Präsentationen sorgt für maximal kundenorientierte Entscheidungsprozesse“, sagt Torsten Schmitt von BMW. Die intuitive Interaktion mit 3D-Modellen in Echtzeit fördere vor allem die produktfokussierte Zusammenarbeit, ganz ohne langatmig physische Meetings koordinieren zu müssen. „Während sich früher Expertinnen und Experten des globalen Mercedes-Benz Teams zu einem Workshop vor Ort trafen, um Hardware-Prototypen zu besprechen, können diese heute mittels VR-Brille an virtuellen Workshops teilnehmen“, heißt es bei den Untertürkheimern. „Das spart Zeit, Kosten und Ressourcen, wie beispielsweise Hardware-Prototypen und erhöht gleichzeitig den Reifegrad der Entwicklungsstände.“

Schmitt benennt weitere Vorteile dieser Form der Zusammenarbeit: „Darüber hinaus erleichtern AR, VR und XR die Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen, wie Design, Fertigung und Marketing, was zu einem stärkeren interdisziplinären Austausch führt.“ Die Kooperation remote sei mit Multi-User-Sessions unkompliziert und effektiv. Damit das rund läuft, nutzt der Autobauer Gaming-Engines, arbeitet mit Nvidia und Spielentwicklern von Unity oder Epic zusammen. Was sich jetzt schon bemerkbar macht: „Die Produktreife wird durch die Möglichkeit, Modelle früh in 3D zu erleben und mit ihnen zu interagieren deutlich gesteigert“, sagt Schmitt.

„Automobilhersteller können den Nutzen von AR erweitern, indem sie es mit Daten aus dem computergestützten Design, dem Produktlebenszyklusmanagement und dem Internet der Dinge verbinden, um einen digitalen Thread zu erstellen“, eröffnet Schart eine Zukunftsperspektive, „Durch diese Kombination können Hersteller 3D-Arbeitsanweisungen sowie Remote-Kollaborationsmöglichkeiten zügig anstoßen und im gesamten Unternehmen skalieren.“

Werden Ingenieurinnen und Ingenieure also künftig mit ihren Kollegen weltweit vom heimischen Küchentisch aus konstruieren? „Das könnten sie heute schon“, sagt Schmitt, „das ist aber nicht unser Ziel. Unser Hauptfokus ist nicht, Mitarbeitende ins Homeoffice zu schicken, sondern dass globale Teams näher an das Forschungszentrum in München heranrücken.“ Und das werden sie, dank immersiver Technologien.

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