Wege hin zu direkten Vertriebsmodellen

Durch direkte Vertriebsmodelle wird sich für Händler, OEMs und Kunden vieles ändern. (Bild: mediaphotos/iStock Illustration: Andreas Croonenbroeck)

Das Fahrzeugkauf im Autohaus bleibt weiter der stärkste Touchpoint in der Customer Journey, so eine Studie des Beraters MHP. 22 Prozent der Befragten gaben dagegen an, ein Fahrzeug online gekauft zu haben. Das entspricht einem Anstieg um 144 Prozent im Vergleich zu 2020. Dabei sind Leasing- und Abomodelle besonders attraktiv. Aus Sicht von Florian Langer, Partner und Head of Cluster Customer Experience bei MHP, drückt der Schuh am Beginn der Customer Journey besonders: „Kunden informieren sich stärker vorab und konfigurieren das Auto online. Sie wünschen sich einen direkten Termin zu einer Probefahrt und dass ihre Daten weitergegeben werden, damit Anfragen schnell beantwortet werden können. In der Praxis gibt es hier jedoch noch viele Probleme“.

Autokunden kommen immer wieder an den Punkt, an dem ihre Vorgeschichte nicht bekannt ist. Zudem wünschen sich viele Nutzer eine Begleitung, wenn es später um Service und entsprechende Servicetermine geht. Nicht immer haben die Autohersteller ihr gesamtes Händlernetz integriert. Dem Kunden dementsprechend eine Probefahrt innerhalb von zwei Stunden in seiner Nähe zu ermöglichen, sei dann eher unrealistisch. „Die Systeme in Marketing und Vertrieb sind über Jahrzehnte hinweg organisch gewachsen, diese Systeme können jedoch häufig nicht miteinander sprechen. Es muss also eine Konsolidierung stattfinden“, stellt Langer fest. Es gebe zu viele Altlasten und Brüche im Gesamtprozess. Neue Systeme aufzusetzen, sei jedoch extrem teuer.

Systeme können häufig nicht miteinander kommunizieren

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass sich durch direkte Vertriebsmodelle für Händler, OEMs und Kunden vieles ändern wird – und die Transition dorthin sich durchaus holprig gestaltet. „Das Thema Direktvertrieb ist für die Hersteller ein wesentlicher Hebel, um den seit Langem gehegten Wunsch der 360-Grad-Sicht und eine durchgängige Kundenreise über alle Kanäle hinweg zu verwirklichen“, meint Sebastian Koschinski, Partner und Automotive & Mobility Expert beim IT-Dienstleister Senacor. Wird der OEM nun zum direkten Partner, soll die Customer Journey über Konfiguration, Kauf, Finanzierung und Service für Neu- und Gebrauchtwagen im Omnichannel endlich reibungslos laufen – so lautet zumindest die Zielvision.

Kunden können sich dann darauf verlassen, dass sie für Neufahrzeuge bei jedem Agenten und auf jedem Kanal den gleichen Preis bekommen. Damit endet freilich auch die Schnäppchenjagd, die manche vielleicht vermissen werden. Das größere Wissen über die Kunden ermöglicht den OEMs neue Herangehensweisen an Loyalitätsprogramme und Incentivierung. „Erst wenn ein Hersteller seinen Kunden vollumfassend nicht nur über die Journey eines Fahrzeugs, sondern über die gesamte Historie hinweg kennt, kann ein kundenwertbasiertes Pricing greifen. Die Zeit wird zeigen, wie stark einzelne Hersteller diese neuen Möglichkeiten nutzen werden“, so Koschinski.

Standardisierte Lösungen sind keine Allheilmittel

Doch noch stehen viele Autohersteller vor einer extrem komplexen Transitionsphase. „Die IT muss vor dem Hintergrund der gewünschten Zeitleisten all diese Veränderungsanforderungen in etlichen Systemen termingerecht umsetzen, einschließlich Rollouts, die durch lokale Gegebenheiten noch komplexer werden“, erklärt Experte Sebastian Koschinski. Das Mittel der Wahl seien durch die Zentrale vorgegebene Standardlösungen, doch nicht alles lasse sich standardisieren, denn insbesondere die fiskalisch-rechtlichen Vorgaben sind sehr länderspezifisch. Zudem sind neue Skills rund um Datenanalyse und Prognostik gefragt, um die durch den Automobilhersteller wahrzunehmenden Aufgaben effizient zu erledigen. „Kernerfolgsfaktor ist die Prognose von Bedarfen als Basis für die Planung, Produktion und Allokation von Fahrzeugen“, nennt Koschinski ein Beispiel.

Die ersten Erfahrungen zeigen: Das ist für keinen Hersteller ein einfacher Prozess. Es hakt besonders beim Einhalten von Budgets und dabei, alle geplanten Features zum Go-live fertigzustellen“, sagt der Senacor-Partner. Dennoch gelinge es, die Basisfunktionalität hinzustellen und es gebe steile Lernkurven. Allerdings, so gibt Koschinski zu bedenken, basiere der ganze Business Case des Direktvertriebs auf der Annahme, dass man Prozesse vereinfachen und Skaleneffekte generieren kann, um letztlich Kosten zu sparen. Basisfunktionalität reiche jedoch nicht aus, diese Vorteile tatsächlich einzufahren.

Experten fordern eine fundierte Datenstrategie

Auch bei MHP sieht man Probleme mit Blick auf den Direktvertrieb. Hier müsse neben der KPI-Matrix geklärt werden, an welchen Stellen Kennzahlen gemessen werden sollen und wie ein System zur Verbesserung über die Gesamtstrecke aussehen soll. Dafür sei eine fundierte Datenstrategie notwendig. „Die größte Herausforderung liegt darin, dass die Kunden nicht bereit sind, das Autohaus herauszulassen. OEMs müssen also auch im Direktvertrieb den Händler als Touchpoint einbeziehen“, konstatiert Florian Langer. Wenn etwa im CRM der Anrufwunsch eines Kunden vorliege, müsse flexibel entschieden werden, ob eine Servicekette eröffnet oder der Lead an den Händler gegeben wird. Hier werden Kunden-ID und Identity Management IT-seitig noch entscheidender, meint Langer. Die Frage, welche Informationen zum und für Kunden benötigt werden, berühre grundlegende Architekturfragen und habe Implikationen für das Gesamtsystem.

Die Knackpunkte liegen vor allem in der Umsetzung einer Omnichannel Customer Journey“, meint Sebastian Koschinski. Nahezu alle Hersteller hätten mit gewachsener Retail-Bebauung zu kämpfen. Gerade die Anwendungen für die stationären Verkäufer seien hochkomplex und teilweise über mehr als ein Jahrzehnt gewachsen. Die Verbindung mit – meist separat gebauten Online-Sales-Lösungen – zu einer echten Omnichannel Customer Journey stelle eine Herausforderung dar.

Es mangelt noch an adäquater Beratung

Der MHP-Studie zufolge wünschen sich Kunden auch mehr digitale Beratungsangebote. Das ist nicht nur bei Auswahl und Probefahrt wesentlich, sondern auch mit Blick auf Finanzierungs- und Leasingangebote oder Abomodelle. Demnach wären 69 Prozent bereit, einen Autokredit online abzuschließen, doch mangelt es an adäquater Beratung. Auch bei Predictive Maintenance, bei der etwa proaktiv basierend auf den spezifischen Fahrzeugdaten ein Termin für einen Ölwechsel vorgeschlagen wird, bietet sich ein Feld für digitale Assistenten. „Um den ganzen Service über den Fahrzeuglebenszyklus hinweg zu steuern, müssen OEMs einen ,Digital Companion‘ aufbauen. Man findet derzeit auf den Seiten der Hersteller noch viele einzelne Apps. Das ist aus Sicht der Customer Experience problematisch, denn im Idealfall sollten Kunden nur mit einer App zu tun haben“, sagt MHP-Partner Langer. 43 Prozent der Befragten gaben in der Studie jedoch an, Onlinelösungen mit individuellen Logins oder Apps wegen zu hoher Hürden oder Datensicherheitsbedenken nicht zu nutzen.

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