
Es gilt, schnell und verlässlich zu klären, in welchem Maß ein Partner die Compliance- und IT-Sicherheitsvorgaben erfüllt, meint Christian Decker, Partner bei ISG. (Bild: ISG)
Das Lieferkettenmanagement der Automobilindustrie gilt seit vielen Jahren als Blaupause für Prozesseffizienz. Eine offene Flanke zeigt sich nun jedoch in der Business-IT: Agile Entwicklungsthemen wie zum Beispiel das autonome Fahren stellen Fachbereiche und deren Einkaufsabteilungen vor neue Herausforderungen. Einerseits wächst die Vielfalt der Partnerbeziehungen zu, andererseits steigt die Zahl der an einer Vergabe Beteiligten. Hier ist insbesondere das Engineering zu nennen – ein Bereich, der mit Lieferantensteuerung, etwa von IT Services, bisher nur am Rande vertraut war, meint Christian Decker, Partner beim Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Information Services Group (ISG). Im Interview mit automotiveIT spricht er sich für transparentere Beschaffungsprozesse und leicht bedienbare Governance-Werkzeuge aus.
Welche Risiken ergeben sich aus der zunehmenden Vergabe von Entwicklungsarbeit an externe Dienstleister im Engineering?
Zunächst muss man sich den Kontext des aktuellen Wandels klarmachen: In Entwicklungsnetzwerken haben wir es mit funktionsübergreifenden Teams zu tun, die überwiegend agile Praktiken und Organisationsformen anwenden. Einer der zentralen Gedanken dieser Methoden liegt darin, Verantwortung und Entscheidungsbefugnisse an denjenigen im Team zu delegieren, der die beste Expertise mitbringt. Für die Beschaffung bedeutet dies, dass sowohl die Anzahl der an Sourcing-Prozessen Beteiligten steigt, als auch neue Beteiligte involviert sind, die mit den Anforderungen eines systematischen Lieferantenmanagements bislang wenig vertraut sind. Gibt man diesen Kollegen keine ausreichende Unterstützung, drohen Alleingänge und Fehlentscheidungen, die oft erst zu einem viel späteren Zeitpunkt transparent werden. Entsprechend steigt das Risiko, dass Entwicklungsvorhaben langwieriger und teurer werden oder selbstgesteckte Ziele nicht erreichen. Auf jedem Fall steigt der administrative Gesamtaufwand von Beschaffungen. Zudem birgt jede individuell gemanagte Partnerbeziehung das Risiko, Kostenvorteile nicht vollständig auszuschöpfen, welche bei Bündelung der Einkaufsvolumina erzielbar gewesen wären.
Werden herkömmlichen Steuerungsplattformen für Lieferantenbeziehungen den sich wandelnden Gegebenheiten gerecht?
Aus Sicht der neuen Beteiligten an Beschaffungsprozessen eher nicht. Die über Jahrzehnte gewachsenen Supplier-Relationship-Management-Systeme adressieren in erster Linie die Bedürfnisse des Einkaufs und bieten beispielsweise den dort tätigen Beschaffungsspezialisten sehr ausgereifte Werkzeuge. Wenn jedoch agile Entwicklungsteams in kürzester Zeit Qualifikation und Leistungsvermögen eines möglichen Lieferanten beurteilen sollen, ist ein wesentlich transparenterer und intuitiverer Zugang zu den Informationsquellen erforderlich. Zumal der Bedarf an Betriebsleistungen wächst, die über die reine Entwicklungsarbeit hinausgehen.
Viele Beteiligte könnten die Datensicherheit gefährden. Wie muss die Zusammenarbeit hinsichtlich dieses Aspekts optimiert werden?
Genau das ist einer der zentralen Punkte, an dem sich zeigt, wie wichtig es ist, den Teams verständliche Prozesse und leicht bedienbare Steuerungswerkzeuge an die Hand zu geben. Schließlich gilt es, schnell und verlässlich zu klären, in welchem Maß ein Partner die Compliance- und IT-Sicherheitsvorgaben erfüllt. Zusätzlich zur Aufbereitung der damit verbundenen Prüfnachweise geht es auch darum, ein leicht administrierbares Revisions- und Auditwesen aufzusetzen und weitgehend automatisiert betreiben zu können. Doch der Governance-Bedarf bei Ökosystemen, die heute vielfach aus komplexen Beziehungen zu Lieferanten, Geschäftspartner und teilweise sogar Wettbewerbern bestehen, reicht noch weiter. Die Verantwortlichen brauchen eine Steuerungslösung, welche auch Anforderungen abbildet, die sich erst in der Betriebsphase ergeben. So etwa beim Management von Sicherheits-Patches oder auch bei klassischen Betriebsaufgaben wie dem Ticket-Handling im Servicemanagement. Es geht darum, den gesamten Lebenszyklus der Lieferantenbeziehung abzubilden.
Sie möchten gerne weiterlesen?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos:
Sie sind bereits registriert?
Hier anmeldenAktuelle Beiträge

„Dem Kunden ist es egal, woher die Software stammt“
Seitdem Magnus Östberg letzten September die Rolle als Chief Software Officer bei Mercedes-Benz eingenommen hat, wurden viele Weichen für die Zukunft gestellt: Das softwaredefinierte Fahrzeug soll in den Mittelpunkt des Handelns gestellt werden.Weiterlesen...

„Die Konsolidierung wird weiter voranschreiten“
Für Autoexperte Stefan Bratzel ist klar: Die Transformation der Autoindustrie wird zu einigen unschönen Verwerfungen führen. Autobauer müssten daher bei Software oder Elektromobilität Fahrt aufnehmen, um die eigene Zukunftsfähigkeit zu garantieren.Weiterlesen...

„Security wird zu oft als Verhinderer gesehen"
Die Digitalisierung im Eiltempo hat ihre Tücken: Sie entwickelt sich meist schneller, als Security-Konzepte mithalten können. ISG-Experte Roger Albrecht erklärt, wie Firmen auf diese komplexen Anforderungen reagieren können.Weiterlesen...

„Lidar wird in der Zukunft nur noch eine Nische darstellen“
Einst ging Tesla mit seinem Lidar-Verzicht beim autonomen Fahren einen Sonderweg. Durch die neuen Möglichkeiten eines 4D Imaging Radar könnte die Strategie jedoch bald Nachahmer finden, erläutert Matthias Feulner, ADAS-Experte von NXP.Weiterlesen...

„Es wird keine Trennung zwischen IT und OT mehr geben"
Der Amtsantritt von Hanna Hennig als IT-Chefin von Siemens war turbulent: Es galt, die Folgen der Coronapandemie zu managen sowie neue Cloud- und Security-Konzepte auf den Weg zu bringen. automotiveIT gewährt sie einen Einblick in ihre Agenda.Weiterlesen...
Diskutieren Sie mit