Wie viel weniger Energie- und Ressourceneinsatz im Vergleich zum Stand der Technik ist bei der Herstellung von Automobilkarosserien möglich? Nach Antworten auf diese konkrete Frage wurde in allen Produktionsteilbereichen gesucht – im Presswerk ebenso wie beim Werkzeugbau, beim Karosseriebau und in der Lackierung. Die Referenzfabrik von InnoCat stellt zu dieser Frage die Summe der Ergebnisse von 30 Einzelprojekten dar. In jedem dieser Teilprojekte wurden Prototypen, Demonstratoren und Systeme entwickelt. Anhand der Referenzfabrik sind die Einsparungseffekte bei Energie und Material mess- und belegbar. Diese Referenzfabrik können alle Automobilhersteller, nicht nur die am Projekt beteiligten OEMs, als Benchmark nutzen. Von den 30 Einzelprojekten werden fünf als zeitnah umsetzbar, 19 als mittelfristig (zwei bis drei Jahre) und fünf als langfristig (bis zu fünf Jahre) realisierbar eingestuft. Der Vorschlag für ein Energiemanagement etwa gehört zu der Masse der mittelfristig umsetzbaren Projekte. Wie in fast allen Projekten wurden dafür Energie- und Prozessdaten der realen Produktion bei Volkswagen in Wolfsburg erfasst. „Es gibt da noch kaum Erfahrungswerte zum Beispiel über den Energieverbrauch etwa des Roboters beim Schweißen, das ist ein blinder Fleck“, sagt Frank Knafla, bei der IT-Firma Phoenix Contact für InnoCat zuständig.
Für die Ermittlung der Energiedaten wurde bei Volkswagen eigens eine Produktionsstraße aufgebaut und mit 420 Messpunkten samt Verbrauchszählern und Aufnehmern versehen. In Zehn-Millisekunden-Taktung wurden die Daten abgenommen und gespeichert – für alle in der Automobilfertigung prozesstypischen Funktionen wie Laser- und Punktschweißen, Löten, Kleben, Stanzen und Falzen. Das bedeutet pro Sekunde 200 000 Datensätze. So genau dürfte weltweit noch nie der Energieverbrauch in einer Automobilfabrik gemessen worden sein. Der Verbrauch ist je nach Betriebszustand unterschiedlich – der Roboter kann ausgeschaltet, betriebsbereit, produktionsbereit oder in Produktion sein. Betriebsbereit gestellt werden Maschinen und Geräte vor allem bei kurzen Fertigungspausen. Ist das Gerät produktionsbereit, kann die Maschine ohne Verzögerung in die Produktion gehen. Entsprechend diesen Betriebszuständen schwankt natürlich auch der Energieverbrauch. Ein bei Volkswagen beispielhaft untersuchter Roboter etwa war niemals ganz ausgeschaltet, zu 22 Prozent betriebsbereit, zu 49 Prozent produktionsbereit sowie zu 29 Prozent tatsächlich in der Produktion. Aufschlussreiche Zahlen.
Energie sparen kann man durch eine geschickte Steuerung dieser Betriebszustände. Das sei komplizierter als es zunächst scheint, so Knafla: „Es macht wenig Sinn, den Roboter für zehn Sekunden Pause abzuschalten. Da ist ein Standby-Status sinnvoller, aus dem der Roboter automatisch wieder erwacht. Oder Klebegeräte, die kann man nicht einfach abschalten. Die müssen den Kleber auch in Pausen auf Temperatur halten.“ Eine optimale, automatisierte Schaltstrategie kann aber dafür sorgen, dass immer der je nach Einsatz des Gerätes günstigste Betriebszustand erreicht wird. Das steuert automatisiert ein Energiecontroller, der die notwendigen Informationen durch ein übergelagertes Leitsystem erhält. Bis zu 15 Prozent der Energie können mit dieser Strategie eingespart werden. In produktionstechnischen Prozessketten wie dem Bau lackierter Karosserien ist die Steuerung der Prozesse ein Schlüsselfaktor. InnoCat hat dafür neue Ansätze verfolgt und neue Werkzeuge entwickelt. Dabei stellte sich schnell heraus, dass das Wissen über Energie- und Materialflüsse in der Produktion nicht nur in Bezug auf Roboter lückenhaft ist. Um Lösungsstrategien zu entwickeln, muss man zunächst über exakte Daten des Ist-Zustandes verfügen. Einsparpotenziale und Verbrauchsschwerpunkte wurden im Rahmen des Einzelprojekts Datenintegration ermittelt, dann wurden Zustands- und Prozessmodelle entwickelt, mit denen Energiedaten einheitlich aufgearbeitet, bewertet und abgelegt werden können.
Diese Datenmodelle sind die Grundlage für die Entwicklung von Softwaretools zur Simulation, Prognose und Auswertung der Energiedaten. Aus der Simulation ergibt sich in der Referenzfabrik ein Energieeinsparpotenzial von bis zu zehn Prozent allein durch Abschalten in Pausen und an den Wochenenden. Der Löwenanteil davon entfällt auf Laserquellen, Druckluft, Roboter und Arbeitsstationen. Punktschweißen und Laserkühlung hingegen sind da weit weniger relevant. Auch in Konzepten der Digitalen Fabrik für die Produktionsplanung spielt die Energieeffizienz noch keine oder kaum eine Rolle – da geht es eher um Fertigungszeiten, Qualität, Ergonomie, Herstellbarkeit und Investitionsplanung. Im Verbundprojekt „Niedrigenergie-Produktion“ wurden Kennzahlen, Modelle, IT-Konzepte und Komponenten für energiebezogene Fertigungsleit- und Energieinformationssysteme entwickelt. Neue Systeme überwachen und steuern den optimalen (geringstmöglichen) Energieeinsatz.
Mit der Referenzfabrik glauben sich die Akteure der Innovationsallianz ihrem Ziel, 50 Prozent der Energie bei der Produktion lackierter Karosserien einzusparen, schon recht nahe. „Als Gesamtfabrik wohl nicht 50 Prozent über alles, in Einzelprojekten wurden Einsparungen selbst in dieser Größenordnung nachgewiesen“, meint Matthias Putz, Hauptabteilungsleiter Produktionsmanagement beim Fraunhofer IWU. Aber das muss nicht das Ende der Fahnenstange sein. Das Modell Referenzfabrik wird weiterentwickelt. Die stetig steigenden Energiekosten (in der Autoproduktion vor allem Strom und Gas) zwingen zu innovativen Lösungen. „Die Einsparung von Energie hat auch immer einen wirtschaftlichen Nutzen“, heißt es bei Volkswagen. Und Matthias Putz präzisiert: „Die Kosten für Industriestrom haben sich in der letzten Dekade verdoppelt.“ Man muss also wohl oder übel handeln.
Autor: Gert Reiling
Fotos: Audi, Fraunhofer