
Im Projekt ATLAS-L4 untersuchen verschiedene Unternehmen und Institutionen Möglichkeiten, in der Hub-to-Hub-Logistik auf autonome Lkw zu setzen. (Bild: MAN)
Die Lkw-Branche steht weltweit unter Druck. Staus verursachen jedes Jahr einen volkswirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe und rund 90 Prozent der Unfälle auf den Straßen resultieren laut Statista aus menschlichem Versagen. Zudem leidet die Branche unter einem Fahrermangel, der das Wachstum vieler Unternehmen bremst. Autonome Lkw könnten hier Lösungsansätze bieten, indem sie die Sicherheit im Verkehr verbessern, Staus reduzieren, Einsatzzeiten optimieren und darüber hinaus kraftstoffeffizienter und umweltfreundlicher unterwegs sind.
Förderprojekte sollen dazu beitragen, autonome Nutzfahrzeuge bis Mitte des Jahrzehnts Realität werden zu lassen. Seit Januar 2022 arbeiten beispielsweise MAN Truck & Bus, Knorr-Bremse, Leoni, Bosch, das Start-up Fernride, BTC Embedded Systems, Fraunhofer AISEC, die Technischen Universität München und Braunschweig, TÜV SÜD, Autobahn GmbH und das Würzburger Institut für Verkehrswissenschaften (WIVW GmbH) im Forschungs- und Entwicklungsprojekt ATLAS-L4 (Automatisierter Transport zwischen Logistikzentren auf Schnellstraßen - im Level 4) gemeinsam daran, autonome Trucks auf die Straße zu bringen.
Inhaltlich orientiert sich das Projekt am 2021 verabschiedeten Gesetzesrahmen, der autonomes Fahren auf fest definierten Strecken unter einer technischen Aufsicht grundsätzlich ermöglicht. Nach den ersten 22 Monaten hat das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte Projekte bereits wichtige Meilensteine erreicht: „Mit ATLAS-L4 wird bald erstmals ein autonom fahrender Truck auf einer Autobahn in Deutschland unterwegs sein“, nennt Frederik Zohm, Vorstand für Forschung und Entwicklung bei MAN Truck & Bus, das gemeinsame Ziel der zwölf Projektpartner von ATLAS-L4. „So wollen wir zur Hub-to-Hub-Automatisierung, also zum fahrerlosen Pendeln zwischen Logistikhöfen, und damit zu mehr Sicherheit, mehr Effizienz und weniger Staus auf den Straßen beitragen – auch dem Fahrermangel kann mit Automatisierungskonzepten begegnet werden.“
Control Center steht im ständigen Kontakt mit Fahrzeugen
Was wurde seit dem Projektstart von ATLAS-L4 erreicht? Die bisherigen Arbeitsergebnisse präsentierten die Partner Ende Oktober in München. So hat MAN Truck & Bus in seiner Projektverantwortlichkeit für die Gesamtsystementwicklung mittlerweile ein Prototypenfahrzeug aufgebaut. Es zeichnet sich durch Sensoren auf dem Dach, an der Front und an den Seiten der Fahrerkabine aus sowie durch verbaute Rechner im Innern. Im ersten Schritt dient es als Sensorfahrzeug zur Sammlung von Daten, bevor mit ihm die Funktionsentwicklung für das autonome Fahren unter anderem mit ersten Testfahrten auf der Autobahn mit Sicherheitsfahrer beginnt. Die ersten Kilometer hat das Fahrzeug bereits erfolgreich auf dem Münchner Testgelände von MAN zurückgelegt. Funktionalitäten und Schnittstellen standen dabei auf dem Prüfstand: Erstmals haben die Komponenten miteinander kommuniziert und erstmals haben die Sensoren eine realitätsgetreue Umfelderkennung vorgenommen.
Auch die für die Level-4-Architektur sicherheitsrelevanten Subsysteme Bordnetz, Lenkung und redundantes Bremssystem sind konzeptioniert und bereits in ersten Musterständen erfolgreich getestet. Das Control Center für die technische Überwachung wurde im September in Betrieb genommen und die Verbindung zum Fahrzeug installiert. Das Web-Interface stellt nun das Fahrzeug auf einer Karte mit allen relevanten Informationen wie Geschwindigkeit und Automatisierungsstatus dar. Des Weiteren haben MAN und das Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit AISEC die projektbegleitende Risikoanalyse für das Fahrzeug erfolgreich durchgeführt.
Auf dieser Grundlage wurden Cybersicherheitsmaßnahmen wie authentische und verschlüsselte Kommunikation sowie funktionale Sicherheitsmaßnahmen wie Redundanzen und Degradationskonzepte für das autonome Fahrsystem definiert. Dabei werden umfangreiche Angriffs- und Ausfallszenarien durchgespielt und entsprechende Schutzkonzepte entwickelt.
Kommen autonome Lkw in den Realverkehr?
Der nächste große Meilenstein ist die Premiere im öffentlichen Straßenverkehr: Voraussichtlich noch in 2023 soll es für das Testfahrzeug zu ersten Fahrten auf die Autobahn A9 zwischen München und Nürnberg gehen – natürlich ebenfalls mit einem Sicherheitsfahrer an Bord. Alle Meilensteine tragen zum langfristigen Ziel von ATLAS-L4 bei: den Beweis, dass der Einsatz von Level-4-automatisierten und damit von fahrerlosen Fahrzeugen auf der Autobahn machbar ist. Das ist der Grundstein für künftige Serienanwendungen für eine Logistik 4.0 – ermöglicht durch das Netzwerk, das das engagierte Konsortium von ATLAS-L4 bietet. Das Projekt läuft bis Dezember 2024. Dann soll ein auf die Industrialisierung übertragbares Konzept für den Betrieb automatisierter Lkw auf der Autobahn vorliegen.