Mobilitätsexperte Andreas Knie

"Die Gefahr, dass die alte 'Monomodalität' zurückkehrt, besteht auf jeden Fall", sagt Mobilitätsforscher Knie. (Bild: David Ausserhofer)

Die Coronakrise zwingt neue Mobilitätsanbieter momentan zu drastischen Einschränkungen ihres Angebots oder sogar zum absoluten Betriebsstillstand. Zudem zeigen aktuelle Umfragen, dass ÖPNV und Sharingdienste momentan deutlich an Zustimmung verlieren. Wird COVID-19 zum Brandbeschleuniger bei der Konsolidierung auf dem Mobilitätsmarkt?

In der Tat. Seit dem Shutdown stellen wir einen dramatischen Rückgang im Nah- und Fernverkehr fest, die Nutzung des Autos ist um ein Drittel, die des Fahrrads sogar um die Hälfte zurückgegangen. Und was wir gar nicht mehr sehen, ist eben Bike-, E-Scooter und Carsharing. Es bleibt zu befürchten, dass diese neuen Mobilitätsangebote auch nach Corona erst einmal gar nicht mehr auf den Straßen auftauchen werden. Die Gefahr, dass die alte „Monomodalität“ zurückkehrt, besteht auf jeden Fall.

Einige Car- und Ridesharer haben ihr Angebot auf Krisenmodus umgestellt, indem sie beispielsweise nur noch den Transport von systemrelevantem Personal anbieten. Ein gutes Zeichen, dass sich junge Mobility Provider schnell und flexibel den Marktgegebenheit anpassen können?

Wir machen hier zwei Gruppen aus: Die einen sind wirklich mit Herzblut bei der Sache und versuchen jetzt staatsdienliche Services anzubieten, indem sie zum Beispiel Krankenhauspersonal chauffieren – eine begrüßenswerte Dynamik, die sich da gerade entfaltet. Andere wiederum, die in erster Line von Venture Capital finanziert werden, sind seit der Corona-Pandemie gänzlich vom Markt verschwunden, förmlich eingefroren, um nicht noch mehr Geld zu verbrennen. Da werden dann nicht nur Produkte vom Markt genommen, sondern nach amerikanischer Art des Hire and Fire auch viel Personal entlassen. Ich kann nur hoffen, dass sich die Mobilitätsszene wieder erholt, wenn wir wieder über mehr Bewegungsfreiheit verfügen.

Corona legt momentan einige Schwächen des New Mobility Business offen. So haben beispielsweise die E-Scooter-Verleiher den Markt mit riesigen Flotten geflutet und müssen nun bei ausbleibender Nachfrage ums Überleben kämpfen. Sollten neue Player künftig ihre Geschäftsmodelle überdenken?

Der Ansatz, sogenannte Free-floating-Angebote über die bloße Zahl der Einheiten zu verbessern, ist ja nicht neu. Nach dem Motto „Viel hilf viel“ hat man versucht, an Netzwerkeffekte zu appellieren – ein Plan, der nicht immer aufgeht. Solche Geschäftsmodelle brauchen definitiv mehr Zeit, mehr Raum und nicht zuletzt benötigen die Player einen besonders langen Atem. Das ist natürlich besonders schwierig für durch Risikokapital finanzierte Firmen, die gezwungen sind, ihr Geschäftsmodell ständig neu zu überdenken. Die Coronakrise beschleunigt diesen Prozess nun radikal.

Glauben Sie, dass sich Konzerne hinter bestimmten Services – wie zum Beispiel Autohersteller – in einer sich möglicherweise verschärfenden Krise als erstes von Ihren Mobility-Abenteuern trennen?

Diese Möglichkeit besteht ohne Zweifel, jedoch bestand sie schon vor Corona. Das Joint Venture von Daimler und BMW beispielsweise wurde von beiden mit hohem Aufwand forciert und sollte ein eigenes Leben bekommen, welches ihm nun bereits schon wieder ausgehaucht wird. Volkswagen hat viel Geld in die Tochter Moia investiert, die in der Coronakrise brach liegt und – wie man in der Branche munkelt – wahrscheinlich gar nicht mehr hochgefahren wird. Daher bin ich sicher, dass sich die deutschen OEMs vom Sharing-Markt weitgehend verabschieden werden – die Pandemie wird dies nur beschleunigen.

Wie sollten sich Ihrer Ansicht nach Mobilitätsunternehmen künftig aufstellen, um auf Krisen wie die aktuelle Corona-Pandemie besser vorbereitet zu sein?

Eine derartige Krise konnte niemand wirklich voraussehen, dennoch halte ich gerade kleinere Startups für geeignet, flexibel auf solch eine Situation reagieren zu können. So können sie ihre Kosten „atmend“ organisieren, indem sie zum Beispiel ihre Fixkosten schnell reduzieren. Wenn ich Mobilitätsunternehmen einen Rat geben müsste, würde ich sagen: Denkt politischer. Es ist ein Irrtum zu glauben, in einem örtlichen Verkehrsraum allein mit einer guten Idee und viel Geld eine Revolution in Gang setzen zu können. Der Bund und auch die EU haben in den vergangenen Jahrzehnten ein Verkehrsmittel durch finanzielle Förderung und rechtliche Rahmenbedingungen massiv vorangetrieben, und zwar den privaten Pkw. Um den Platz auf der Straße – der nebenbei durch Corona gerade größer wird – gegen das Auto zu verteidigen, kann man nur politisch agieren. Das sollten Startups bedenken, wenn sie die Möglichkeiten ihres Geschäfts ausloten.

Anstatt den diskutierten Kaufanreizen für Autos fordern Verkehrsverbände eine „Mobilitätsprämie“, die die Nachfrage nach alternativen Mobilitätsformen wieder ankurbeln könnte. Ein sinnvolles Instrument?

Absolut. An dieser Stelle müssen wir zunächst konstatieren, dass die deutsche Autoindustrie nicht mehr systemrelevant ist. Sie hat mit wenigen Ausnahmen keine Antworten auf die Zukunft, weder bei der Antriebs- noch bei der Nutzungsfrage. Die Branche produziert Vergangenes in die Zukunft und wird dies zudem auf anderen Märkten als dem unsrigen tun. Wenn man dies noch durch Kaufprämien anheizen will, verlängert man nur die Vergangenheit künstlich. Stattdessen muss die Vielfalt der Mobilität unterstützt werden. Eine Vielfalt, die jedoch momentan darunter leidet, dass die einzelnen Preise noch zu hoch sind. Daher sollten Nutzer von Sharing-Diensten oder dem ÖPNV zur Hälfte vom Staat bezuschusst werden, sodass die an sich teureren Angebote zumindest für eine bestimmte Zeit durch solch eine Mobilitätsprämie verbilligt werden.

Prof. Dr. Andreas Knie ist Leiter der Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung - WZB. 

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