Seokhyun Eun, LG Vehicle Solution Company

„LG versteht sich als Orchestrator des Content-Ökosystems“

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Ein Mann mittleren Alters mit Brille und dunklem Haar sitzt in einem hellen Raum und spricht gestikulierend mit einer weiteren Person. Er trägt ein blaues Sakko, ein helles Hemd und eine Armbanduhr.
Im Interview erläutert der LG-Manager, wie das Unternehmen seine Erfahrungen aus der Unterhaltungselektronik auf das Auto überträgt.

Das Auto wird zum smarten Lebensraum: LG verbindet seine Consumer-Erfahrung hierfür mit Automotive-Kompetenz. Seokhyun Eun, Präsident der LG Vehicle Solution Company, erklärt, wie HMI, OLED und Partnerschaften das neue Fahrerlebnis prägen.

Viele Hersteller beschreiben das Auto zunehmend als „Wohnraum auf Rädern“. Es soll ein Ort zum Entspannen, Arbeiten und Erleben sein. Welche Rolle spielt die HMI-Entwicklung in dieser Vision und wie passt sie in die Digital-Car-Strategie von LG?

Unser heutiges Leben ist von einer Vielzahl digitaler Geräte geprägt – nicht nur im Auto, sondern auch Zuhause. LG ist seit vielen Jahren führend in der Unterhaltungselektronik und hat große Erfahrung im Bereich HMI-Design für den Wohnraum gesammelt. Dieses Wissen erweitern wir nun gezielt auf das Fahrzeug. Wir verstehen sehr gut, wie Menschen mit digitalen Oberflächen interagieren, welche Erwartungen sie an Komfort, Entertainment und Kommunikation haben und wie wichtig intuitive Bedienung ist. Die Herausforderung besteht darin, dieses Wissen auf die spezifischen Bedingungen des Automobils zu übertragen – also Aspekte wie Sicherheit, Ablenkungsvermeidung oder die Interaktion während der Fahrt zu berücksichtigen. Unser Ziel ist es, alle Perspektiven in einer ausgewogenen Nutzererfahrung zusammenzuführen. Sicherheit, Komfort, Entertainment und Kommunikation müssen in einem harmonischen Gesamterlebnis verbunden werden. Dafür setzen wir auch auf bestehende Plattformen wie WebOS. Mit unserer Automotive Content Platform (ACP) können Nutzer Inhalte aus dem Wohnzimmer nahtlos ins Auto mitnehmen – ein Beispiel für die Verschmelzung zweier Lebenswelten.

Automobilhersteller wollten anfangs oft eigene Lösungen entwickeln, stellten aber fest, dass es ohne Partner nicht funktioniert. Wie haben Sie die Anfangsphase solcher Partnerschaften erlebt?

Die Idee, das Zuhause-Erlebnis ins Auto zu bringen, klingt einfach, ist in der Realität aber komplex. OEMs haben rasch erkannt, dass die Integration von digitalen Diensten in das Fahrzeug deutlich schwieriger ist als zunächst angenommen. Systeme müssen nicht nur technisch zusammenpassen, sondern auch auf Sicherheitsaspekte, regulatorische Vorgaben und die besonderen Nutzungssituationen in der Kabine abgestimmt werden. Kein Unternehmen kann diesen Prozess alleine bewältigen. Deshalb ist enge Zusammenarbeit unverzichtbar. Für uns bei LG bedeutet das, dass wir uns als Orchestrator des Content-Ökosystems verstehen: Wir bringen unser Know-how aus der Consumer-Elektronik ein, entwickeln gemeinsam mit OEMs Lösungen und schaffen so einen Mehrwert, der weit über klassische Infotainment-Systeme hinausgeht. Am Ende geht es darum, den Nutzerinnen und Nutzern ein intelligenteres, stärker vernetztes und menschenzentriertes Erlebnis zu ermöglichen.

Welche Ansätze verfolgt LG, um HMI-Lösungen stärker zu personalisieren – etwa über KI, Kontextbewusstsein oder multimodale Interfaces?

Personalisierung ist ein zentrales Thema unserer Arbeit. Wir entwickeln Head-Unit-Displays und In-Cabin-Systeme, die auf multimodaler Technologie basieren. Das bedeutet: Sprache, Touch, Gestik und auch Kontextinformationen werden intelligent miteinander kombiniert, um eine reichhaltigere, individuell zugeschnittene Nutzererfahrung zu schaffen. Das System kann beispielsweise bewusstes wie unbewusstes Verhalten erkennen und daraus Rückschlüsse auf Bedürfnisse ziehen – etwa welche Inhalte im Moment relevant sein könnten. Hinzu kommt: Wir kombinieren Daten aus der Fahrzeugnutzung mit Informationen aus dem häuslichen Umfeld. So entsteht ein vielschichtigeres Bild der Fahrercharakteristika, was es uns ermöglicht, Inhalte und Services noch nahtloser und personalisierter anzubieten. Am Ende profitieren Fahrer wie Passagiere von einer durchgängigen, konsistenten Erfahrung, die weit über einfache Bedienoberflächen hinausgeht.

Wie stellen Sie sicher, dass HMI- und Content-Angebote den strengen Sicherheitsanforderungen und Regularien entsprechen?

Sicherheit hat für uns oberste Priorität. Das bedeutet, dass Inhalte immer an die Fahrsituation angepasst werden müssen. Ein Beispiel: Während das Fahrzeug im Stand ist, können Videos oder komplexe Interaktionen zugelassen sein. Sobald die Fahrt beginnt, schaltet das System automatisch in einen Audiomodus, der die Inhalte zwar weiter verfügbar macht, aber ohne visuelle Ablenkung. Dabei setzen wir nicht nur auf klassische Audioausgabe, sondern auf eine tiefe Integration von Audio, Video und Content in einer multimodalen Umgebung. Unsere KI-Strategie nennen wir Affectionate Intelligence. Das bedeutet: Systeme sollen nicht nur Informationen verarbeiten, sondern auch die Bedürfnisse und Situationen der Nutzer verstehen – und darauf proaktiv eingehen. Auf diese Weise schaffen wir Erlebnisse, die sicher, komfortabel und zugleich emotional ansprechend sind.

Sie haben im Rahmen der IAA zwei neue Partnerschaften angekündigt. Worum geht es dabei?

Ja, wir haben heute zwei neue Partnerschaften bekanntgegeben: mit Xbox und mit Zoom. Für uns sind das wichtige Meilensteine. Mit Xbox bringen wir ein völlig neues Gaming-Ökosystem ins Auto – inklusive der Möglichkeit, Controller zu nutzen und so ein echtes Spielerlebnis in der Kabine zu ermöglichen. Damit erweitern wir das Auto um eine Dimension, die bislang eher dem Wohnzimmer vorbehalten war. Mit Zoom wiederum gehen wir über Entertainment hinaus in den Bereich Produktivität und Networking. Nutzer können Besprechungen oder Konferenzen künftig auch aus dem Auto heraus führen – in einer sicheren und intuitiven Form. Damit wird das Auto zum vollwertigen Lebens- und Arbeitsraum.

Wo Sie gerade das In-Car-Gaming erwähnen: Einige Akteure behaupten, OLED-Displays werden in Zukunft LCDs im Auto ablösen, da diese flexibler einsetzbar seien. LG gilt hier als Pionier. Teilen Sie diese Einschätzung und haben Sie keine Bedenken hinsichtlich der Langlebigkeit von OLED-Displays im Fahrzeug?

LG war der erste Anbieter, der OLED in die Automobilindustrie eingeführt hat. Wir arbeiten bereits mit mehreren europäischen OEMs an Programmen und entwickeln neue Formfaktoren, die speziell auf die Kabine zugeschnitten sind. OLED bietet Vorteile wie besondere Bildqualität, flexible Formen und ein intensives Nutzererlebnis. Bedenken bezüglich Haltbarkeit sehen wir nicht. Die eigentliche Herausforderung ist aktuell der Preis. Wie wir aus der Unterhaltungselektronik wissen, sinken diese Kosten mit zunehmender Verbreitung. Deshalb erwarten wir, dass OLED vor allem im Premiumsegment eine wachsende Rolle spielen wird – insbesondere in Anwendungsbereichen wie Gaming oder immersiven Entertainment-Erlebnissen.

Nutzergewohnheiten unterscheiden sich stark zwischen Asien, Europa und Nordamerika. Wie wirkt sich das auf Ihre Plattformstrategie aus?

Hier profitieren wir von unserer Erfahrung im TV-Geschäft. Unsere webOS-Plattform ist in über 190 Ländern im Einsatz und unterstützt tausende Content-Partner. Wir wissen also sehr genau, wie unterschiedlich Nutzungsmuster in Asien, Europa oder Nordamerika sein können – sei es bei Entertainment, Kommunikation oder Interaktion mit Oberflächen. Diese Erfahrung übertragen wir nun ins Auto. Unsere Systeme sind so ausgelegt, dass sie weltweit anpassbar sind, ohne Abstriche bei Sicherheit oder Regulierung zu machen. Das Ergebnis ist ein flexibles, global ausrollbares Infotainment-Ökosystem, das gleichzeitig auf regionale Besonderheiten Rücksicht nimmt.

Wohin entwickelt sich das Thema HMI in den nächsten fünf Jahren und welche Rolle spielt LG dabei?

Die großen Treiber sind autonomes Fahren und Künstliche Intelligenz – und ich denke, KI wird den Anfang machen. Unser Ziel ist es, die gesamte Nutzererfahrung mithilfe von Affectionate Intelligence zu gestalten. Das bedeutet, dass Systeme nicht nur reagieren, sondern auch die Nutzer verstehen, ihre Situation antizipieren und passende Angebote machen. Durch die Kombination unserer Consumer-Kompetenz und unseres spezifischen Automotive-Wissens sind wir überzeugt, dass wir besser als viele andere Anbieter nahtlose, professionelle Lösungen entwickeln können – für OEMs und vor allem für die Endkunden. In fünf Jahren wird das Auto damit nicht nur ein smarter Lebensraum sein, sondern ein intelligenter Begleiter, der sich individuell an seine Nutzer anpasst.

Zur Person:

Seokhyun Eun verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Automobil- und Elektronikindustrie und hatte Führungspositionen bei LG Electronics, Bosch sowie Samsung Electronics & Samsung Motors inne. Er spiele eine entscheidende Rolle bei der Neupositionierung von LG vom traditionellen Komponentenlieferanten hin zu einem führenden Anbieter von Mobilitätslösungen der Zukunft.