Cloud-Technologien werden zum Rückgrat moderner IT-Architekturen – zwischen Flexibilität, Sicherheit und geopolitischen Grenzen.(Bild: Adobe Stock / kunakorn)
Cloud first war gestern: Die Autoindustrie setzt auf Hybrid-Multicloud und Agentic AI. Verschiedene IT-Experten erklären, wie Kosten, Governance, Sicherheit, Energie und Talente die Architektur prägen.
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Die automobile IT-Infrastruktur befindet sich in einer Phase der Neujustierung. Nach Jahren des ungebremsten Cloud-Enthusiasmus rückt nun die strategische Vernunft in den Vordergrund. „Cloud ist wie ein Fitnessstudio – alle schwören darauf, aber kaum einer weiß, wie man sie richtig nutzt“, sagt Alexander Stamm, CIO bei Mann+Hummel, auf dem automotiveIT Kongress 2025 in Berlin. Sein Vergleich trifft den Kern: Die Cloud hat enormes Potenzial, verlangt aber Disziplin, Strategie und ein Bewusstsein für ihre Grenzen.
Lange galt der Weg in die Cloud als Synonym für Modernität. Rechenzentren wurden geschlossen, Anwendungen migriert, Daten ausgelagert. Doch die Erfahrungen zeigen: Der Umzug ist kein Selbstläufer. „Cloud Computing ist ein Segen für die Skalierung – und ein Fluch für die Abhängigkeit“, so Stamm. Neben elastischen Ressourcen und globaler Verfügbarkeit treten Themen zutage, die viele unterschätzt haben: Datensouveränität, geopolitische Risiken, intransparente Kostenmodelle. Mann+Hummel reagiert mit einer Hybrid-Multicloud-Strategie. Sie soll Innovation ermöglichen, ohne in die Abhängigkeit weniger Hyperscaler zu geraten. Rund ein Viertel des IT-Budgets fließt bereits in Cloud-Services – kontrolliert und gezielt. „Nach Cloud first kommt Cloud smart“, betont Stamm. Der Fokus liegt auf Wirtschaftlichkeit, Transparenz und Governance.
Agentic AI als nächste Entwicklungsstufe der Cloud
Was „smart“ bedeutet, präzisiert Lukas Winklmann,Vice President General Practice Management Deutschland bei Kyndryl. Für ihn markiert Agentic AI die nächste Entwicklungsstufe: weg von starren Wenn-Dann-Automatisierungen hin zu Systemen, die auf Basis von Daten eigenständig Entscheidungen vorbereiten und Schritte ausführen. Beispiele reichen von Wartungsagenten, die Verschleißprognosen mit Verfügbarkeiten, Schichtplänen und Beständen verknüpfen, bis zu Sicherheitsagenten, die Trends zu Regelverstößen erkennen und umgehend Schulungen anstoßen. „Der Mensch bleibt im Loop“, unterstreicht Winklmann. Ohne Nachvollziehbarkeit, Auditierbarkeit und klare Leitplanken lasse sich Agentic AI nicht im industriellen Maßstab skalieren. Die Technologie sei selten das Problem – die Gestaltung sinnvoller Agenten entlang realer Rollen und Prozesse umso mehr.
In einer Panel-Diskussion zum Thema IT-Infrastruktur auf dem automotiveIT Kongress zeichnete sich ein breiter Konsens ab: Der Zielzustand ist hybrid.„Der Mittelweg ist für die meisten das richtige“, sagt Bret Rohloff, Head of Cloud bei AMD. Sichere oder sehr stabile Dauerlasten bleiben eher on-prem, stark schwankende Workloads profitieren von Cloud-Elastizität. Eine endgültige Blaupause gebe es nicht, die optimale Mischung werde kundenspezifisch sein und sich in den nächsten Jahren weiter einpendeln.
Marc Votteler, CIO der Schaeffler AG, bestätigtden Weg als kontinuierliche Reise. Sein erster Schritt vor Jahren: die On-prem-Landschaft auf Cloud-Niveau heben – ein softwaredefiniertes Datacenter, das schnelles Verschieben von Workloads in beide Richtungen erlaubt. „Cloudfirst, aber nicht cloudonly“, so Votteler. Christian Ley, CIO bei Brose, ergänzt die kulturelle Dimension: Am Anfang stehe ein klares „Warum“. Teams müssten Experimente wagen dürfen, solange die Richtung stimmt. Fehler seien Teil des Lernens.
Christian Ley, Alexander Stamm, Marc Votteler und Bret Rohloff (v.l.n.r.) in einer Panel-Diskussion mit Moderator Pascal Nagel (1.v.r.) zum Thema Cloud-Infrastruktur auf dem automotiveIT Kongress 2025.(Bild: Marko Priske)
Wie Unternehmen ihre Cloud-Grenzen neu ziehen
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Konkrete Use Cases zeigen, wie sehr Annahmen bröckeln. Ley berichtet von hochkritischen MES-Installationen, die man aus Latenz- und Verfügbarkeitsgründen für unberührbar hielt. Ein Pilot mit ausgelagerter Datenbank überzeugte. Der Applikationsserver blieb on-prem, die Daten wanderten in die Cloud – mit Fallback in Minuten. Die einzige harte Grenze seien Kunden- oder Rechtsvorgaben. Votteler plädiert derweil für Pragmatismus: Systeme, die ohnehin in drei Jahren abgelöst werden, müsse man nicht mehr bewegen. Ein Umzug nur, weil er möglich ist, lohnt selten.
Kosten bleiben nach wie vor ein wichtiger Prüfstein. Rohloff verweist auf die Lehren aus FinOps: Lastprofile, Datenabflüsse und Exit-Szenarien gehören in jede Rechnung. Zugleich beschleunigt sich die Technik so rasant, dass frühere Ausschlusskriterien schnell veralten. „Testen ist Pflicht“, so Rohloff. Wer nie probiert, verschenkt Datendividenden. Sicherheit wiederum ist seltener ein technisches, häufiger ein Präferenz- und Standortthema. Vertraulich Rechnen, vollständige Verschlüsselung im Betrieb und in Bewegung – all das ist verfügbar. In Europa kommt ein weiterer Faktor hinzu: Energie. KI treibt den Bedarf nach oben. „Die Frage wird sein, ob Nationen ausreichend Energie liefern, um die Ambitionen zu tragen“, gibt Rohloff zu bedenken.
Die Diskussion schlägt zudem auch die Brücke zur Organisations- und Talentfrage. Infrastruktur wird Code. „Unsere Infrastruktur ist heute programmierbar“, stellt Ley fest. Das mache schnell und schlank, ersetze klassische Dokumentation und schaffe Wiederholbarkeit. Gleichzeitig ist es sehr schwer, wie Stamm einräumt, erfahrene Administratoren in Entwickler von Infrastruktur-Automatisierung zu verwandeln. Einige blühen auf, andere tun sich schwer. Der Umbau der Belegschaft wird zum Wettbewerbsfaktor – besonders im Kampf um Talente gegen größere, glänzendere Marken.
Auch Geopolitik bleibt ein Stresstest für Architekturen. Votteler sieht gegenüber vor zwei Jahren sogar mehr Klarheit – vor allem, weil lokale Gesetze, etwa in China, inzwischen konkreter angewandt werden. Die größere Unbekannte seien kurzfristige Dekrete in den USA. „Darauf kann man kaum proaktiv planen“, so Votteler. Für Stamm führt am Szenariodenken kein Weg vorbei. De-Risking statt radikaler Entkopplung, modular gedachte Backbones, Varianten in der Schublade. „Vor zehn Jahren belegten neue Datenschutzregeln vielleicht ein halbes Prozent meiner Aufmerksamkeit. Heute sind es zehn bis zwanzig“, sagt er. Infrastruktur sei träge, Investitionen groß. Umso wichtiger ist es, Architekturprinzipien auf Flexibilität zu trimmen.
Der rote Faden dieser Stimmen: Die Branche hat die Infrastruktur modernisiert. Für die Automobilbranche insgesamt zeichnet sich damit ein klarer Trend ab, der verdeutlicht, dass der unreflektierte Glaube an die Cloud einer Phase des Realismus weicht. Unternehmen wollen verstehen, wie sich Cloud-Architekturen nachhaltig und kosteneffizient gestalten lassen. Dabei geht es nicht mehr um das „Ob“, sondern um das „Wie“.