
Nicht jede Verschiebung in die Cloud ist mit Einsparungen verbunden. (Bild: Adobe Stock / suldev)
Cloud Computing ist in der Automobilbranche ein alter Hut. IDC sagt, dass bereits zwei Drittel aller Hersteller die Cloud nutzen. Die Hauptanwendung ist der Bereich Connected Car. Auch unter den Gewinnern der IT Teams Awards 2024 waren interessante Cloud-Projekte, wie die Industrial Cloud von MHP, die unter Beteiligung von Porsche, Volkswagen und AWS als SaaS-Lösungen entwickelt wurde. Vor allem im Zusammenhang mit KI gewinnt die Cloud zunehmend an Bedeutung. AWS berichtet von einem BMW-Projekt, bei dem über 140 Softwareteams in verschiedenen Bereichen ein LLM verwenden, das Empfehlungen für die nächstbeste Aktion liefert. Damit rationalisiert BMW den gesamten softwaregesteuerten Entwicklungsprozess.
Doch trotz der vielen Leuchtturmprojekte macht sich eine breite Ernüchterung breit. IDC kommt in der oben erwähnten Studie zu dem Schluss, dass alle aktuellen Cloud-Strategien in der Automobilbranche auf dem Prüfstand stehen. Nur noch 16 Prozent planen weitere Cloud-Investitionen in den nächsten 12 bis 18 Monaten. „Es gibt OEMs, die wollten bis zu diesem Jahr zu 100 Prozent in der Cloud sein, andere peilten 80:20 an, doch tatsächlich hat sich das vielerorts auf 50:50 verschoben“, sagt Thomas Meier, Senior AI Enterprise Architect bei HPE. „Es heißt heute nicht mehr Cloud First sondern nur noch Cloud Economics“, bestätigt IDC diesen Trend.
Eigene Infrastruktur fast immer günstiger
Die Gründe dafür sind vielfältig. Da sind zunächst die Kosten. Nicht jede Verschiebung in die Cloud bedeutet Einsparungen – im Gegenteil: eine gut ausgelastete eigene Infrastruktur ist fast immer günstiger als alle Cloud-Angebote. Hinzu kommen technologische Hürden. Viele nutzen weiterhin Mainframes mit hunderten an Mission-critical Anwendungen, die sich nicht ohne Weiteres verschieben lassen. Auch Latenzprobleme sind nach wie vor kritisch. Das betrifft nicht nur den Shopfloor, sondern beispielsweise auch die Fahrzeugentwicklung. René Te-Strote, General Manager & Product Owner bei BMW berichtete jüngst von der Nutzung einer HPE-Private-Cloud im Rahmen der Datenauswertung bei den Testfahrzeugen. „Pro Testfahrt fallen bis zu 64 TB an, die schnellstmöglich auszuwerten sind“, lautet seine Problembeschreibung. Eine solche Datenmenge lässt sich nicht effizient in die Cloud hochladen. Seine Lösung: Überall auf der Welt, wo solche Testfahrten stattfinden, gibt es lokale Private Clouds, die auf HPEs Greenlake basieren. Sie sind mit allen erforderlichen Geräten und Programmen ausgestattet, um die Daten sofort aufzunehmen und auszuwerten. An die zentrale Cloud werden dann nur noch die Ergebnisse geschickt, die höchstens zehn Prozent der Ursprungsdatenmenge ausmachen.
Inzwischen zeichnet sich eine weitere Hemmschwelle ab: Organisatorische Mängel. „Ein tief verwurzeltes On-Premise-Mindset mit einer entsprechenden Organisationsstruktur ist praktisch Cloud-ungeeignet“, sagt Tayfun Hatipoglu, Plattform Architekt bei Oracle. Und das betrifft nicht nur die Anwender. „Die Hyperscaler erkennen plötzlich, dass sie zwar „großartige Technologien haben, doch dass sie das Organisationsmodell vernachlässigt haben“. Auch die zugehörigen Datenstrategien wurden laut Hatipoglu immer nur technologisch gesehen. Die Fragen, die sich daraus ergeben: Wer übernimmt die Verantwortung für die Zertifizierung, wer managet das alles, wie beherrschbar ist es oder wo und wie groß sind die Risiken?
Cloud-Computing muss neu gedacht werden
Hinzu kommen die neuen Qualitätsanforderung beim Datenmanagement durch KI. „Viele große OEMs haben zwar einen Data-Hub, doch wenn man in die Fachbereiche reingeht, ist es mit der Nutzung überschaubar“, weiß Hatipoglu aus seinem Alltag zu berichten. Er kennt sich mit diesem Thema besonders gut aus, denn Oracle ist nahezu überall mit seinen Datenbanken vertreten. "Bei den Herstellern sind viele Datenbanktechnologien entlang der Wertschöpfungskette im Einsatz. Daher ist eine integrierte Daten- & Plattformstrategie erforderlich, um die Daten effektiv für neue Cloud- und KI-Lösungen nutzen zu können", so Hatipoglu weiter. IDC sieht das ähnlich: „Die Komplexität von Datensouveränität und regulatorischen Anforderungen sowie der operative Aufwand für die Voraussetzungen der Anwendungsmigration sind in der Automobilindustrie die größten Hemmnisse für die Cloud-Adaption.“
Diese Einschränkungen führen dazu, dass Cloud-Computing neu gedacht werden muss. IDC sieht hierbei einen klaren Schwerpunkt in der Fertigung. „Eine moderne Cloud-Strategie umfasst einen Ansatz, der die Agilität unterstützt – insbesondere die Fähigkeit, Workloads von der Edge bis in die Cloud problemlos zu verschieben“, heißt es in deren Bericht. In diesem Punkt sieht auch Hatipoglu die größten Chancen für die weitere Cloud-Entwicklung. „Hier beginnen jetzt die ganz großen Veränderungen, indem die gesamte Automation virtualisiert und digitalisiert wird“, lautet seine Einschätzung.
KI dürfte prägend werden
Das alles bedeutet aber zumeist auch eine Neuausrichtung der Architektur. „Die neuen Lösungen benötigen eine sinnvolle Aufgabenteilung zwischen Private und Public-Cloud“, meint Thomas Meier und verweist dabei auch auf den rasant zunehmenden KI-Einsatz. Eine Private Cloud bedeute aber nicht das Aufbohren des eigenen Rechenzentrums; viele Unternehmen der Autobranche bauten ihre eigenen Zentren zugunsten von Co-Locations, beispielsweise bei Equinix, ab.
Insgesamt dürfte vor allem der zunehmende Einsatz von KI prägend sein. „Cloud-gestützte virtuelle persönliche Assistenten (VPAs) mit GenAI-Unterstützung werden in Zukunft ein entscheidender Differenzierungsfaktor für das Automobilerlebnis der Kunden sein, meint beispielsweise Gartner-Analyst Gaurav Gupta. Und auch die gesamte Softwareentwicklung, einschließlich Debugging, Verifizierung und Evaluierung, werde KI-basiert und Cloud-nativ erfolgen.