Bei Mercedes-Benz betreibt man Technologiefrüherkennung in allen relevanten Technologiefeldern, auch non-automotive. „Unser Ziel ist es, mit branchenübergreifender Forschung die Technologien nutzbar zu machen, die in fünf bis zehn Jahren wettbewerbsdifferenzierend sein können“, erklärt Katrin Lehmann, CIO von Mercedes-Benz. Dazu gehörten neben Quantum Computing auch etwa weiterhin Themen wie Metaverse, Web 3.0 und Bionic Computing. Zu den wichtigsten Themen 2025 zählt für sie vor allem „Agentic AI“ auf Basis von Large Language Models (LLM) als nächste Evolutionsstufe von KI, insbesondere in der Softwareentwicklung und bei der Analyse großer Datenbanken. „‘Agentic AI‘ wird vielfältig verwendet, meint aber immer den Schritt weg vom reinen Chat – also ein Mensch fragt und das System antwortet auf Basis des Chats – hin zu Systemen, die konkrete Aktionen durchführen: Etwa wenn es darum geht, Tickets anzulegen, Antworten automatisch zu schreiben oder Datenbanken zu ändern“, so Lehmann.
Multi-Agentensysteme ab Ende 2025
Laut „TechnoVision Top 5 Tech Trends to Watch in 2025“ sehen 32 Prozent von 1.500 weltweit befragten Top-Führungskräften KI-Agenten als den wichtigsten Technologietrend im Bereich Daten und KI für 2025. Auch aus Sicht von Markus Wambach, Group-COO bei MHP, werden skalierbare, generative KI-Plattformen in Zukunft noch deutlich wichtiger: „Sie helfen uns, große Datenmengen nicht nur zu sammeln, sondern auch intelligent zu verarbeiten und zu strukturieren. Das Spannende ist: Wir sprechen hier nicht mehr von isolierten Anwendungsfällen, sondern von Systemen, die wie ein lernendes Wissenssystem funktionieren – immer besser, immer smarter“. Damit das funktioniere, werde ein ganzheitliches Framework gebraucht, auf dem die Anwendungen verknüpft sind.
Ab Ende 2025 und 2026 könnten sich laut Robert Engels selbstorganisierende Multi-Agenten-Systeme durchsetzen, die noch flexibler und anpassungsfähiger sind. „Der Fokus wird auf der Kommunikation zwischen Agenten liegen, auf der Darstellung von Intention und Zweck. Die Agenten müssen erklären, was sie tun wollen und was sie benötigen. Gleichzeitig sollen sie die Absichten anderer Agenten verstehen können. Aktuell ist dies noch nicht möglich, doch selbstorganisierende Systeme sind der Schlüssel für die Zukunft“, berichtet der Leiter des Capgemini Gen-AI und AI Futures Lab.
Software-Entwicklung auf LLM-Basis
Durch GenAI-Sprachmodelle werde sich die Mensch-Computer-Beziehung grundlegend verändern, konstatiert Katrin Lehmann. Bei Mercedes ist die Technologie sowohl für effizienteres Arbeiten als auch für die Produktverbesserung im Einsatz. Die IT-Entwicklung arbeitet bereits mit dem GitHub Copilot von Microsoft. „Als ich vor 20 Jahren mit dem Coden angefangen habe, konnte ich von den Möglichkeiten nur träumen. Es fehlt nicht mehr viel und man kann schneller coden, als eine SMS zu schreiben – das Prinzip ist dank KI tatsächlich ähnlich“, stellt Lehmann fest.
Komplexe Unternehmensprozesse mit GenAI verändern
Bisher gehen viele Unternehmen das Thema GenAI und LLM-basierte Wissenssysteme stark verzögert an. Für Andreas Nienhaus, Partner im Automotive- und Mobility-Team von Oliver Wyman, gibt es noch eine Verzerrung bei der Wahrnehmung von LLM-Technologie wie ChatGPT. Hier liege der Fokus zu sehr auf den bekannten Anwendungsszenarien wie Text- oder Bilderstellung. „Der große Hub, der jetzt in den Unternehmen angegangen werden muss, sind Prozessoptimierung, Effizienzsteigerung und Arbeitsbegleitungsassistenz durch LLM. Das kann beispielsweise die Prüfung von Ausschreibungsunterlagen sein, bei der KI einen deutlichen Effizienz- und Geschwindigkeitsgewinn bedeutet“, so Nienhaus. Es gebe bereits tolle Beispiele in vielen Unternehmen. Hier falle meist das Stichwort Copilot. „Der nächste Schritt ist die flächendeckende Umsetzung. Wenn nicht nur Tech-affine, sondern alle Anwender GenAI-Tools regelmäßig in ihrem Arbeitsalltag nutzen, kann das einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert bringen“, so Nienhaus. Das gelte gerade am Anfang der Wertschöpfungskette in Entwicklung und Produktion, wo die Technologie viele aufwendige Aufgaben rund um Dokumentation, Audits oder Qualitätssicherung vereinfachen könne.
GenAI-Trends im Fahrzeug
Auch die Personalisierung von Assistenten im Fahrzeug auf Basis von GenAI und Large Language ist aus Sicht von Nienhaus ein wichtiges Thema: „Die Integration von sich jetzt immer weiter bewährenden LLMs ins Fahrzeug, und damit auch die Verknüpfung mit weiteren Diensten und die stärkere Integration des digitalen Ökosystemnutzers, wird sicherlich ein sehr spannender Schritt in 2025 sein“. Auch bei Mercedes-Benz wurde bereits ChatGPT in erste Systeme im Bereich Infotainment integriert, etwa bei MBUX Notes und den Sprachassistenten.
KI und Robotik wachsen zusammen
Die Capgemini-Umfrage identifiziert zudem die datengetriebene Robotik als Top-Trend. „Die großen Sprachmodelle ermöglichen es Robotern, aus vielfältigen Datenquellen zu lernen und sich mit minimalem Nachtraining an unterschiedliche Umgebungen anzupassen. Im Wesentlichen kann das, was LLMs im Bereich der Konversation so leistungsstark macht, auch auf die Wahrnehmung visueller, auditiver und haptischer Informationen übertragen werden“, erklärt Sally Epstein, CIO von Cambridge Consultants. Unterschiedliche Quellen wie IFR prognostizieren ein starkes Wachstum bei Cobots. Dabei spiele GenAI eine zentrale Rolle, meint Markus Wambach von MHP: Im Prinzip könnten Cobots ebenso ein Update bekommen wie ein Smartphone und immer wieder etwas Neues lernen. „Cobots können sich dann viel natürlicher mit der Belegschaft austauschen und so in noch mehr Bereichen eingesetzt werden, sei es in der Fertigung, Logistik oder Qualitätssicherung“. KI und Robotik werden immer mehr zusammenwachsen. Für die Akzeptanz sei wichtig, die Menschen dabei mitzunehmen.
Dauerbrenner Software-Defined Vehicle
„Während längere Zeit das Thema Software-Defined Vehicle eher eine begriffliche Hülle war, und es viel Unklarheit gab, wie die Umsetzung aussehen soll, zeichnen sich jetzt die Bausteine und konkrete Entwicklungsschritte immer klarer ab“, meint Nienhaus. Dieser Trend werde sich 2025 fortsetzen, sowohl bei der Architektur, Diensten und Use Cases, aber auch bei den Monetarisierungsmodellen und der Überwindung von Grauzonen in Partnerschaften zum Beispiel zwischen OEMs und Tech-Playern. Als größte Hürde sieht Nienhaus, trotz der komplexen Hardware, das Tempo der Tech-Industrie mitgehen zu können. Schnellere Entwicklungszyklen in großen Organisationen darzustellen, bleibe eine Herausforderung.
„Das kommende Jahr wird vor allem durch Software-Defined Vehicles, Datenmanagement und KI-basierte Automatisierung geprägt sein. Fahrzeuge werden zunehmend zu Plattformen, die durch Softwareupdates verbessert und personalisiert werden können“, konstatiert auch MHP-Partner Jan Wehinger. Das erfordere eine tiefe Integration von Hardware und Software sowie kontinuierliche Updates und Wartung über die Cloud, um neue Features bei gleichzeitig hoher Software-Qualität schnell einzuführen. „Zulieferer müssen ihre Komponenten und Systeme so anpassen, dass sie mit den schnelllebigen Softwarezyklen der OEMs kompatibel sind. Das beinhaltet die Entwicklung modularer und Software-kompatibler Komponenten, die einfach in SDVs integriert werden können“, erläutert Wehinger. Mittelständische Unternehmen, die Software- und Hardwarekomponenten liefern, könnten von diesem Trend profitieren, indem sie spezialisierte Lösungen für SDVs entwickeln, wie beispielsweise Sicherheitssoftware.
Datenlandschaft für KI optimieren
Beide Themen, sowohl AI als auch SDVs fußen auf dem Thema Daten. Bei der Datenlandschaft haben allerdings viele Unternehmen 2025 weitere Hausaufgaben vor sich, denn gerade KI-Agentensysteme erfordern ein hohes Level an Datenqualität und -verfügbarkeit. „Das Wichtigste ist eine stabile und gut durchdachte Dateninfrastruktur. Ohne diese Grundlage wird es schwierig, KI effizient einzusetzen – insbesondere, wenn es um größere, generative Modelle geht“, stellt Wambach fest.
Cybersicherheit: Gefahr von Deep Fakes durch GenAI
GenAI verändert den Schutzbedarf von Unternehmen drastisch, und hier ist dringend eine Auseinandersetzung nötig. Mit den Skills von Conversational AI, aber auch Stimm- und Videoerzeugung im exakten Tonfall einer bestimmten Person, haben Kriminelle ganz neue Betrugsmöglichkeiten für Social Engineering und Deep Fakes – beispielsweise indem sie sich als CEO einer Firma ausgeben und Zahlungen anweisen. Aus großen Datenmengen wie Social Media werde der Hintergrund der Zielpersonen analysiert, um ausgefeilte Social-Engineering-Angriffe wie KI-gestütztes Spear-Phishing zu erstellen, sagt Marco Pereira, Gobal Lead Cyber Security bei Capgemini. „Es gibt eine weitere Gruppe von Angriffen, die sich hauptsächlich auf Daten konzentriert und versucht, diese zu stehlen – wie etwa durch Prompt Injection, AI-Würmer oder die Kompromittierung der Modellintegrität“, warnt der Experte.